4.2.2013 - Süddeutsche Zeitung

Aus Seelsorgern werden Manager

Die Strukturreform der Erzdiözese München-Freising belastet Pfarrer und Gemeindemitglieder. Allerdings sehen die neuen Pfarrverbände darin auch die Chance für ein intensiveres Miteinan der

VON BENJAMIN EMONTS

Dachau – Michael de Konincks Beruf hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Früher hat der Pater und Leiter des Pfarrverbandes Altomünster noch häufig Kindergärten besucht und Hausbesuche abgestattet. Heute findet er dafür kaum noch Zeit. Der Grund dafür ist ganz einfach: Durch die Zusammenlegung der Pfarreien zu Pfarrverbänden hat er ein großes Pensum an Verwaltungsaufgaben zu erledigen und eine so große Zahl an Gemeindemitgliedern, dass er den Ansprüchen eines jeden Einzelnen nicht mehr gerecht werden kann. Ein Problem, mit dem auch viele seiner Kollegen im Landkreis zu kämpfen haben.

Pfarrverbände sind für die Katholiken im Landkreis Dachau nichts Neues. Der Pfarrverband Erdweg besteht beispielsweise seit mehr als 40 Jahren, Indersdorf seit zehn Jahren. Aber jetzt stecken viele Pfarreien gerade mitten im Prozess der Zusammenlegung zu Pfarrverbänden. Erst im vergangenen Dezember wurden die Dachauer Pfarreien Heilig Kreuz und Sankt Peter zu einem Pfarrverband zusammengelegt, der Zusammenschluss der Karlsfelder Pfarreien Sankt Anna und Sankt Josef steht kurz bevor. „Die Zusammenlegung ist ein ambivalenter Prozess, weil er zugleich Chancen wie auch Risiken birgt“, sagt Pfarrer Albert Hack, dessen Pfarrverband Bergkirchen offiziell am 14. April feierlich gegründet wird.

Deutliche Nachteile sieht indessen Christian Weisner, der Vorsitzende der Initiative „Wir sind Kirche“. Der Dachauer kennt sich gut aus mit den Strukturen der Kirche, vor allem in seiner Heimatstadt Dachau. Weisner beklagt, dass die Strukturreform, die den Pfarreien 2010 von Kardinal Reinhard Marx „aufoktroyiert“ worden sei, vor allem auf den Schultern der hauptamtlichen Angestellten und der Gläubigen ausgetragen werde. Denn Pfarrer und Kaplane, die damals für eine Kirchengemeinde zuständig waren, sind heute für mehrere Pfarreien und damit für eine vielfache Zahl an Gemeindemitgliedern verantwortlich. In den Pfarrverbänden Indersdorf und Bergkirchen-Schwabhausen sind dies jeweils 6000 Mitglieder, in Altomünster 5500, im Dachauer Pfarrverband Sankt Jakob sogar 15 500. Der Pfarrer, folgert Weisner, werde dadurch zu einem regelrechten Manager. Denn: „Er muss delegieren, organisieren, verwalten und soll gleichzeitig noch predigen und für die Seelsorge da sein.“ Die Konsequenzen daraus liegen für Weisner auf der Hand: Es bleibt weniger Zeit für den Einzelnen, Nähe und Vertrauen gehen verloren, gemeindliche Strukturen und Kontinuität werden aufgebrochen. Probleme, die auch Pfarrer Albert Hack kennt. Er stellt fest, dass viele Gemeindemitglieder Angst haben, ein Stück Heimat zu verlieren. Denn die Dorfgemeinschaft und -entwicklung sei oft stark mit der Ortskirche verwoben.

Um den seelsorgerischen Aufgaben gerecht zu werden, ist Hack auf sein „hervorragendes“ Team aus hauptamtlichen Mitarbeitern angewiesen. Beispielsweise wenn es darum geht, Beerdigungen abzuhalten. Den Wandel des Berufsbilds kennt auch der Leiter des Pfarrverbands Indersdorf, Pfarrer Stefan Hauptmann: „Von dem Idealbild der Seelsorge, dass ein Pfarrer sein Brevier lesend durch seine Gemeinde spaziert und alle kennt, müssen wir uns verabschieden.“ Die Seelsorge, sagt Hauptmann, sei anders geworden, denn die Zentrierung auf den Pfarrer sei durch die Vielfalt der Gemeinden aufgebrochen worden. Vielmehr gehe es heute darum, Ehrenamtliche zu begleiten und zu befähigen, seelsorgerische Aufgaben zu übernehmen.

Ein Trend, der auch „Wir sind Kirche“- Sprecher Christian Weisner nicht entgangen ist. „Die Arbeit wird auf viele Schultern verteilt. Und man braucht mehr Ehrenamtliche. Doch die sind beruflich auch immer mehr belastet und können die Lücken nur schwer füllen.“ Dennoch könne man sich in Dachau glücklich schätzen, „weil wir hier sehr aufgeschlossene und kooperative Teams haben“. Pfarrer Hack sieht in der Arbeitsteilung auch eine Chance. Denn die Vielfalt an „unterschiedlichen Berufscharismen“ sei für die Gläubigen auch eine Chance, „anzudocken“. Frei nach dem Motto: Wer mit dem Pfarrer nicht so gut kann, hat auch noch andere Ansprechpartner.

Stefan Bartmann, dem Leiter des Pfarrverbands Röhrmoos- Hebertshausen, bereitet die Strukturreform kein Kopfzerbrechen. Schließlich biete sie die Chance, „über den Zaun zu blicken“, und dass die Pfarreien etwas voneinander lernten. Auf Synergieeffekte baut auch Albert Hack in seinem Pfarrverband. Beispielsweise in der Jugendarbeit, durch gemeinsame Firmkonzepte etwa. Ähnlich äußert sich der Dachauer Dekan Wolfgang Borm: „Größere Einheiten bieten Chancen, auch durch die Bildung größerer Teams.“

Ohnehin, so Albert Hack, sei mit Kirche das gesamte Volk Gottes gemeint. Deshalb müsse man zusammenhelfen und die Gemeinschaft als Chance begreifen.

Viele haben Angst, ein Stück Heimat zu verlieren





WOHIN FÜHRT DER WEG DER KIRCHE?

„Wir können voneinander lernen“
Pater Michael von Koninck, Pfarrverbandsleiter Altomünster: Für mich bedeutet die Zusammenlegung vor allem eines: mehr Arbeit. Ich war seit drei Jahren nicht im Urlaub, habe eigentlich keinen freien Tag. Dennoch habe ich noch große Freude an meinem Beruf, der zugleich Berufung ist. Auch wenn ich durch die vielen organisatorischen Aufgaben weniger Zeit für den Einzelnen habe, so bringt die Strukturreform auch Chancen. Wir haben beispielsweise doppelt so viele Ministranten als zuvor, außerdem sind die Wochenendgottesdienste besser besucht. Ich denke, die Gemeinden können auch voneinander lernen. Trotzdem bin ich froh, dass demnächst ein zweiter Priester kommt. EMO

„Ohne Ehrenamtliche geht es nicht mehr“
Gudrun Beck, Gemeindereferentin des Pfarrverbands Sankt Jakob, Dachau: Ich bin nun seit eineinhalb Jahren in St. Jakob tätig, überwiegend in Mariä Himmelfahrt. Auch wenn die Gemeindemitglieder anfangs Sorge hatten, dass sie auf etwas verzichten müssen, die Zusammenlegung der Pfarreien funktioniert hier alles in allem recht gut. Klar ist, dass die Aufgaben nicht weniger werden. Deshalb helfen wir zusammen und teilen die Aufgaben. Ich kümmere mich unter anderem um die Kommunionsvorbereitung und halte Beerdigungen ab. Alleine könnte der Pfarrer das nicht stemmen. Außerdem werden wir unterstützt von vielen engagierten Ehrenamtlichen. Ohne die ginge es nicht. EMO

„Nicht nur der Pfarrer ist der Seelsorger“
Pfarrer Michael Bartmann, Pfarrverbandsleiter Röhrmoos-Hebertshausen: Die Strukturreform ist eine Chance zur Neuorientierung – beispielsweise in der Jugendarbeit. Überhaupt sollten wir nicht jammern, sondern positiv und mit Freude in die Zukunft blicken. Bei uns hat nach wie vor jede Pfarrei ihren Sonntagsgottesdienst. Von dem Gedanken, dass nur der Pfarrer Seelsorger ist, muss man sich lösen. Schließlich habe ich hervorragende hauptamtliche Mitarbeiter – ganz abgesehen von den vielen Ehrenamtlichen. Im zweiten Vatikanischen Konzil steht geschrieben, dass das Volk Gottes miteinander unterwegs ist. So auch in unserem Pfarrverband. EMO

„Glauben ist das eine, Kirche das andere“
Verena Ziemen, Biologin aus Hebertshausen: Ich bin zwar getauft und offiziell Mitglied des Pfarrverbands Röhrmoos-Hebertshausen, aber ehrlich gesagt weiß ich überhaupt nichts von einer Strukturreform. Und es interessiert mich auch nicht weiter. Glauben ist für mich das eine, Kirche das andere. Denn von der Institution Kirche halte ich ziemlich wenig. Deshalb werde ich auch austreten, sobald ich Kirchensteuer zahlen soll. Die Ansichten der Kirche sind einfach völlig überholt und unzeitgemäß. Daran kann mit Sicherheit auch keine Strukturreform etwas ändern. Die Fehler, die die Kirche in der Vergangenheit beging und immer noch begeht, sind unentschuldbar. EMO

Zuletzt geändert am 04­.02.2013