8.3.2013 - Publik-Forum

Einer allein ändert nichts

von Eva Baumann-Lerch

Vor der Papstwahl: Das kritische Kirchenvolk erwartet kaum, dass der nächste Mann auf dem Stuhl Petri einen Wandel bewirkt. Es verlangt eine Reform des Systems

Wir schlagen Father Augustine als neuen Papst vor! Wir posten das auf Facebook und werben dafür in unseren Netzwerken!« Diese Idee kam Mitte Februar in der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) auf. Der weltweit organisierte katholische Jugendverband war gerade zu einem internationalen Kongress in Brüssel zusammengekommen, als die Nachricht vom Rücktritt Benedikts XVI. die Runde machte. »Die meisten Teilnehmer haben sich darüber gefreut«, berichtet die 26-jährige Sarah Prenger, die dort auf dem Podium saß und das Treffen moderierte. »Sie hofften, dass nun ein neuer Papst gewählt würde, der weniger konservativ sein könnte.«

Als sie dann später mit jungen Teilnehmern aus verschiedenen Kontinenten zusammensaß, sei die Idee aufgekommen, den geistlichen Leiter der internationalen christlichen Arbeiterjugend, Father Augustine Ponnaian, als Papst vorzuschlagen. Der indische Priester kenne sich in der ganzen Welt aus und habe ein Gefühl für die Lebenswelt junger Menschen. Die Idee habe sie alle beflügelt, erinnert sich Sarah Prenger: »Aber letztlich blieb es ein Witz.« Die Kardinäle in Rom würden wohl kaum auf den Rat eines Jugendverbandes hören. Der Kongress sei wieder zur Tagesordnung übergegangen. »Offiziell wurde das nicht diskutiert.«

das system ist immer stärker

Diese kleine Episode aus Brüssel kann als symptomatisch für die Situation engagierter Katholiken in diesen Tagen gelten. Der spektakuläre Rücktritt des alten und die bevorstehende Wahl eines neuen Papstes bewegt sie sehr, macht sie nachdenklich, aber auch irgendwie hilflos. Sie haben Vorschläge und Ideen, Träume und Visionen. Doch obwohl sie selbst die Kirche tragen, gibt es für sie fast keine Möglichkeit, die Wahl des neuen Oberhaupts und die Zukunft der Weltkirche zu beeinflussen. Und kaum ein aktiver Christ wagt ernsthaft zu hoffen, dass die Wahl des nächsten Papstes die Wirklichkeit der Kirche entscheidend verändern wird.

»Man traut dem Apparat das gar nicht zu«, sagt Monika Stannossek, Pastoralreferentin im Frankfurter Gallus-Viertel. Ein einzelner Mensch könne die Weltkirche nicht reformieren. Wer sich mal mit Organisationstheorie beschäftigt habe, wisse, dass die Eigendynamik des Systems den Einzelnen absorbiert, auch wenn er selbst es verändern will.

Nichtsdestotrotz benennt sie die nötigen Reformen, die ihr selbst und den Menschen in ihren Gemeinden unter den Nägeln brennen: die Öffnung des Priesteramts für verheiratete Männer und vor allem für Frauen. »Je älter ich werde, umso mehr verletzt es mich, dass Frauen vom Amt ausgeschlossen sind«, sagt sie nüchtern. Auch die Ökumene müsse endlich vorankommen: »Die Menschen in unseren Gemeinden können die Trennung nicht mehr verstehen.« Der Blick der Kirche müsse über Europa hinausgehen, fordert die Seelsorgerin: »Ich war vor Kurzem in Kamerun und bin erschrocken, wie die afrikanischen Christen auf den römischen Ritus festgelegt werden, als wenn sie keine eigene Kultur hätten.« Dagegen sei es wichtig, dass die Kirchen des Südens und die Vielfalt der Ortskirchen stärker wahrgenommen würden.

der rücktritt als erster schritt »Unsere grundsätzliche Hoffnung richtet sich nicht auf Konklave oder Päpste«, heißt es auch bei der Initiative Kirche von unten (IKvu). »Es hängt wenig davon ab, ob der Papst jetzt jünger ist oder Afrikaner oder sonst irgendwie anders«, sagt ein Sprecher des Netzwerks, der evangelische Theologe Uwe-Karsten Plisch. »Das Problem ist nicht der Papst selbst, sondern das Papsttum an sich.« Den »originellsten Schritt in diese Richtung« habe der Papst ja nun selbst mit seinem Rücktritt getan, meint Plisch. »Damit hat er ein Stück Normalität gegen den Mythos gesetzt.« Jetzt sei eine vollkommene Neuorientierung nötig, ein Paradigmenwechsel hin zu einer »Kirche der Fischer, Zimmerleute und der Schwachen«.

Als ökumenische Initiative ist es das stärkste Anliegen der IKvu, »dass auch die katholische Kirche beginnt, das Christentum als plurale Angelegenheit zu denken«. Rom müsse endlich darauf verzichten, die Kirchen der Reformation auf dem Weg der »feindlichen Übernahme« zurückholen zu wollen. »Eine vollkommene Einheit ist gefährlich«, meint Plisch. »Es ist immer wichtig, dass es Alternativen gibt.« Auch die IKvu betont die Notwendigkeiten, den Zwangszölibat aufzuheben und Frauen zur Weihe zuzulassen. »Nicht nur aus Barmherzigkeit, sondern auch aus Gründen der Qualitätssicherung. Damit es weiter qualifizierte Pfarrer gibt.«

Auch die christlichen Reformgruppen in der Schweiz setzen keine großen Hoffnungen auf die Wahl eines neuen Papstes und verlangen grundsätzliche Veränderungen. »Die Macht darf nicht länger auf den Schultern eines einzigen Mannes liegen«, sagt Bruder Andreas Müller, Kapuziner und Sprecher der Tagsatzung, die sich für Reformen in der katholischen Kirche einsetzt. »Die Kirche braucht föderale Strukturen und Gewaltenteilung.« Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Exekutive müssten auch in der Weltkirche getrennt werden. Der Papst könne in diesem Gefüge »so etwas wie ein Bundespräsident sein«. Die Situation der Kirche in der Schweiz sei allerdings nicht ganz so schwierig wie in Deutschland, meint Müller: »Wir haben hier gute und offene Bischöfe, mit denen man besser reden kann. Und anders als in Deutschland liegt das Geld nicht bei den Bistümern, sondern bei den Schweizer Kirchgemeinden.«

Überall, wo man in diesen Tagen mit Christen an der Basis redet, sind die Hoffnungen auf einen raschen Wandel eher schwach. Und dennoch werden sie nicht müde, diesen Wandel einzufordern. Das zeigen auch die Reaktionen auf einen Aufruf von Wir sind Kirche. Die Kirchenvolksbewegung hat die Christen aufgefordert, Briefe an die deutschen Kardinäle zu schreiben, um ihnen ihre Forderungen an den kommenden Papst mit ins Konklave zu geben. Sofort sind zahlreiche Christen der Aufforderung gefolgt. Wenn man ihre Briefe von der Internetseite von Wir sind Kirche ausdruckt, ist der Stapel so dick wie ein Buch.

sehr geehrte würdenträger

»Sehr geehrte Würdenträger«, schreibt einer der Verfasser und fordert dann von denselben eine neue Demut. Wie mehrere andere Briefschreiber erinnert er die Kardinäle an die Fußwaschung Jesu. Die Kleriker sollten sich an dieses Zeichen erinnern, alles herrschaftliche Gehabe ablegen und wie Jesus zu Dienern ihrer Gläubigen werden. Die Briefe an die Kardinäle sind in unterschiedlichsten Stilen und Schreibweisen verfasst, aber stets mit großem Ernst geschrieben. Sie fordern eine Rückkehr zum Evangelium, zur Einfachheit, sie verlangen die Abkehr von Pomp und Macht und eine neue Zuwendung zu den Armen. Auch die Reformanliegen der Kirchenvolksbewegung werden wieder und wieder in diesen Briefen benannt: Abschaffung des Zwangszölibats, Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern, ein barmherziger Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, eine positive Einstellung zur Sexualität, mehr innerkirchliche Demokratie. Und vor allem eine Kirche, die nicht von oben herab befiehlt, sondern den Gläubigen vor Ort ein selbstverantwortliches Zeugnis für den Glauben zutraut.

kurie zum dienstleister machen

Die Briefe sind klar und deutlich. Sie dokumentieren den Schmerz, die Verzweiflung und den Zorn der Gläubigen und zugleich die Hochachtung, den Respekt und die Liebe, die sie ihrer Kirche nach wie vor entgegenbringen. Diese Briefe sind historische Dokumente. Sie zeigen, wie sehr die Christen von heute an ihrer Kirche leiden. Und wie sehr sie darauf hoffen, endlich, endlich gehört zu werden.


Es gibt auch Priester aus den Gemeinden, die in diesen Tagen ihre Stimme erheben und grundlegende Reformen verlangen. Der Münchner Kreis, ein Zusammenschluss von Priestern und Diakonen in der Erzdiözese München-Freising, beispielsweise hat sich jetzt in in einem offenen Brief an die deutschen Kardinäle gewandt. Sie bitten die Wahlberechtigten bei der Papstwahl »darauf zu achten, dass ihr Kandidat in der Lage ist, statt statisch Verhältnisse zu stabilisieren einen dynamischen Entwicklungsprozess in verschiedenen Bereichen der Kirche anzustoßen«.

Auch diese Priester fordern den Verzicht der kirchlichen Würdenträger auf Macht und Reichtum, eine Abkehr vom römischen Zentralismus sowie weitreichende Entscheidungsbefugnisse für die nationalen Bischofsgremien. Die vatikanische Kurie solle nicht mehr dirigieren und kontrollieren, sondern zu einer »Dienstleistungseinrichtung« werden, fordern die bayerischen Seelsorger. Ihren Vorgesetzten, Kardinal Reinhard Marx, fordern sie auf, »bei dieser Papstwahl auch in Alternativen zu denken« und »vielleicht sogar einen Kandidaten außerhalb des Konklave« in den Blick zu nehmen.

Alle diese Stimmen machen deutlich, dass der Strukturwandel der Kirche ganz oben auf der Tagesordnung des nächsten Pontifikats stehen muss. Wenn die katholische Kirche nicht an Erstarrung sterben will, wird sich der nächste Papst vor allem für die eigene Basis öffnen müssen, für die überreichen Begabungen und kreativen Energien der Menschen in den Ortskirchen. Dann könnte vielleicht auch der Vorschlag der internationalen christlichen Arbeiterjugend als ernsthafte Diskussionsgrundlage in der Weltkirche kursieren. Und nicht bloß als Witz.

Zuletzt geändert am 09­.03.2013