2.4.2013 - Die Welt

Hohe Erwartungen

Deutsche Bischöfe hoffen auf Reformen

Von Gernot Facius

Kardinal Karl Lehmann hat ein sicheres Gespür für Veränderungen. Wo immer er in diesen Tagen hinkommt, sagt er: "Ich erwarte spannende Wochen." Die Veröffentlichung der Brandrede von Papst Franziskus im Vorkonklave, in der der neue Mann auf dem Stuhl Petri alle Formen klerikaler Eitelkeit, die "Selbstbezogenheit" und den "theologischen Narzissmus" seiner Kirche geißelte, befeuert im deutschen Katholizismus die Diskussionen über einen möglichen radikalen Richtungswechsel im Vatikan. Über ihre Unzufriedenheit mit der römischen Kurie, die sich immer mehr zwischen die nationalen Bischofskonferenzen und den Papst gedrängt hat, haben deutsche Bischöfe bislang meist nur hinter vorgehaltener Hand geredet. Diese Zurückhaltung hat nun ein Ende, ein Tabu ist gebrochen, bei Lehmann und anderen Hirten der Kirche. Als dringlich bezeichnet der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx (59), eine "Erneuerung" der Kurie: "Ein neues Vertrauen muss da sein – sowohl innerhalb der Kurie als auch zwischen den Bischöfen und der Kurie." In Interviews sprach Marx von einem schädlichen "Hofstaat-Gehabe" im Apparat des Pontifex. So deutlich hatte sich bis dahin noch kein Purpurträger aus Deutschland geäußert.

Der Erwartungsdruck ist groß. Die Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das oberste Laien-Gremium, haben in den vergangenen Monaten manchen Strauß miteinander ausgefochten, doch diesmal sind sie sich einig: Unter dem neuen Pontifikat bestehe eine realistische Hoffnung auf Reformschritte und mehr Kollegialität in der Kirchenführung. Ihr Optimismus gründet unter anderem auf einem programmatischen Interview, das Franziskus als Erzbischof von Buenos Aires vor fünf Jahren dem italienischen katholischen Magazin "30 Giorni" (30 Tage) gegeben hatte und das in diesen Tagen in Ordinariaten und Büros der katholischen Verbände von Hand zu Hand geht. "Man bleibt nicht gläubig, wenn man wie die Traditionalisten oder die Fundamentalisten am Buchstaben klebt", gab der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio zu Protokoll. "Treue ist immer Änderung." Aus sich selbst herauszugehen bedeute auch, aus dem Garten seiner eigenen Überzeugungen hinauszugehen. In der Deutschen Bischofskonferenz kommt man deshalb zu dem Schluss, unter Papst Franziskus werde es in der Glaubensverkündigung und der Liturgie Kontinuität geben, aber einen Wandel in Methoden und Stil.

ZdK-Generalsekretär Stefan Vesper sieht, wie er der "Welt" sagte, sogar eine "große Chance für eine wirksame Kurienreform". Franziskus werde allerdings "Schritt für Schritt" vorgehen: "Warten wir ein, zwei Monate, dann werden wir das Ausmaß der Veränderungen erkennen können." Konkret erwartet Vesper mehr Entscheidungsspielraum für die einzelnen Bischofskonferenzen. Die bekannten Reformforderungen – Nachdenken über den Zölibat, die Stellung der Frau in der Kirche, die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und eine stärkere Mitwirkung der Laien – blieben auf der Agenda: "Es sind ja nicht nur deutsche Forderungen, wir sind nur manchmal etwas lauter; wir sollten aber nicht überheblich sein." Die von Papst Franziskus verlangte stärkere Hinwendung der Kirche zu den Armen wird nach Vespers Meinung auch im deutschen Katholizismus mit seinen großen Hilfswerken zu weiteren Veränderungen im Denken führen.

In den Osterpredigten ist das schon zum Ausdruck gekommen. Kardinal Marx kritisierte den "ungezügelten Finanzkapitalismus", sein Berliner Amtsbruder Rainer Maria Woelki forderte die Kirche auf, sich intensiver mit dem eigenen Reichtum auseinanderzusetzen, und der Episkopatsvorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, thematisierte "die wachsende Armut, gerade in den Großstädten". Es zeigt sich, dass die Kategorien von "konservativ" und "progressiv" nicht mehr so recht greifen. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, knüpfte an die Warnung des Papstes vor einer zu starken Beschäftigung der Kirche mit sich selbst an und plädierte für eine "Kirche für alle, aber nicht für alles". Freundlich im Ton, aber zurückhaltend hat sich die amtskirchenkritische Gruppierung "Wir sind Kirche" zu Papst Franziskus geäußert. Sie wünscht sich neben einem neuen Verständnis des Priestertums eine "erneuerte Morallehre, vor allem bezüglich der Empfängnisverhütung und Homosexualität". Die Zurückhaltung ist verständlich. Denn der Pontifex hat in der Frage der "Homo-Ehe" stets eine klare Position eingenommen. Er nannte sie eine "Intrige des Vaters der Lügen", sprich des Teufels. Aber noch halten sich die ungeduldig auf Reformen dringenden Katholiken mit offener Kritik am neuen Kirchenoberhaupt zurück.

Anders die Piusbrüder. Sie sind vorerst die Einzigen, die ihren Unmut über den neuen Pontifex lautstark äußern. "Quo vadis, Francisce?", heißt es auf ihrer deutschen Webseite in Bezug auf die Rede des Papstes vor Repräsentanten nicht katholischer Kirchen, des Judentums und des Islam. Die Piusbrüder wenden sich nicht direkt gegen einen interreligiösen Dialog, aber sie vermissen bei Franziskus den Mut, die entscheidende Frage zu stellen: "Ist Jesus Christus der Messias für alle Menschen oder nicht?" Franziskus habe "diplomatisch die Klippen umschifft", indem er nur vom brüderlichen Dialog gesprochen habe, nicht aber von der Anerkennung Christi. Der Dialog zwischen der Piusbruderschaft und dem Vatikan ist trotz aller neuen Spannungen nicht beendet, aber die Chancen für eine mögliche Rückkehr dieser Traditionalistengruppe in die Kirche sind offenbar weiter gesunken.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article114925291/Hohe-Erwartungen.html

Zuletzt geändert am 05­.04.2013