10.6.2013 - Neue Westfälische

Erzbischof Becker: "Dieser Papst hat Stehvermögen"

Ein Interview über Franziskus, Bekenntnisschulen und die Reformgruppe "Wir sind Kirche"

Es war ein ungewöhnlich schneller Aufstieg, den Erzbischof Hans-Josef Becker erlebte: Der gebürtige Sauerländer war gerade mal zweieinhalb Jahre Weihbischof in Paderborn, als er die Verantwortung für das Erzbistum übernehmen musste. Nach dem plötzlichen Tod von Johannes Joachim Kardinal Degenhardt leitete Becker das Bistum seit Juli 2002 als Diözesanadministrator und bereits ein Jahr später als Erzbischof von Paderborn. Am Samstag feierte Hans-Josef Becker seinen 65. Geburtstag. Peter Hasenbein sprach mit ihm über Papst Franziskus, über die katholischen Bekenntnisschulen, über die Bildung der großen pastoralen Räume und die Reformgruppe "Wir sind Kirche".

Eure Exzellenz, im April haben Sie den Papst in Rom persönlich kennengelernt. Was war der Grund?

ERZBISCHOf HANS-JOSEF BECKER: Ich hatte dienstlich in Rom zu tun. Zeitgleich gab es die Generalaudienz, und da habe ich gedacht: Schau dir den neuen Papst doch einmal an.

Was wünschen Sie sich vom neuen Papst?

BECKER: Dass er einen kooperativen Führungsstil mit den Bischöfen pflegt, dass das Vertrauen zwischen Rom und der Ortskirche wächst und an tragender Kraft gewinnt.

Was glauben Sie, welche Reformen wird Franziskus anpacken?

BECKER: Er hat bereits eine Arbeitsgruppe mit einem eindeutigen Auftrag gegründet, zu der auch Kardinal Marx gehört: Sie soll die Reform der Zentralverwaltung in Rom vorantreiben. Das halte ich auch für dringend geboten. Weitere Reformen hängen mit seinen nächsten Personalentscheidungen zusammen. Dabei muss er den Vatikan erst einmal von innen kennenlernen. Papst Franziskus wird seine Vorstellungen haben, und ich habe den Eindruck, dass er auch Stehvermögen hat.

Welche konkreten Reformen wird der Papst neben der Neuordnung der Zentralverwaltung in Rom noch auf den Weg bringen?

BECKER: Franziskus wird das Problem der armen und reichen Länder weltweit ansprechen, das Nord-Süd-Gefälle vor allen Dingen. Er weiß um die Verflechtungen der großen Kapitalströme und Geschäftsabläufe. Da wird er sicher den Finger auf manche Wunde legen.

Was kann ein Papst da konkret bewirken?

BECKER: Nur dass er gehört wird, aber er wird gehört, da bin ich sicher.

Das Erzbistum ruft in Paderborn eine eigene Grundschule ins Leben, die in rund sechs Jahren an den Start gehen soll. Wird es weitere Gründungen geben in Paderborn oder anderswo?

BECKER: Nein, das ist nicht geplant. Man muss ja auch angesichts des rapiden Bevölkerungsrückgangs sehen, dass man nicht beliebig am tatsächlichen Bedarf vorbeiplanen kann. Im Grundschulbereich haben wir die öffentlichen Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen. Damit sind wir gut gefahren. In Paderborn befinden wir uns mit Blick auf die Dommusik in einer besonderen Situation. Jungen und Mädchen sollen durch die neue Grundschule schon früh gefördert werden, nicht erst ab der 5. Klasse. Wir sind durch Regensburg sensibilisiert worden: Dort gibt es eine Grundschule und die Regensburger Domspatzen. Ein Internat wie in Regensburg haben wir hier aber nicht geplant.

Allein in Paderborn sind 14 von 24 Grundschulen katholisch, im ganzen Erzbistum sind es 200. So mancher Politiker und viele Bürger streben eine Veränderung an und wollen weniger Bekenntnisschulen. Ist die Schulgründung eine Reaktion auf die Diskussion um die Bekenntnisschulen?

BECKER: Nein, das hat damit nichts zu tun.

An wie vielen katholischen Bekenntnisschulen im Grundschulbereich möchten Sie auf jeden Fall festhalten – in Paderborn und im gesamten Erzbistum?

BECKER: Da gibt es keine Quotenregelung. Ich als Bischof hätte nicht einmal die Möglichkeit, etwas zu ändern, denn hier geht es ausschließlich um den Elternwillen. Auch der Träger kann nicht beliebig entscheiden, ob er eine Schule umwandeln will. So sollte es nach meiner Meinung auch bleiben, weil wir eine gute Kooperation zwischen der Politik und dem Erzbistum haben. Sicher möchte ich aber eine Reihe von katholischen Bekenntnisschulen erhalten wissen. Es ist gut, dass es nicht nur ein staatliches Schulmonopol geben darf, sondern auch Konfessionsschulen im Sinne unserer Verfassung.

Eine Alternative zur Umwandlung wäre die Lockerung der Regeln an katholischen Bekenntnisschulen, zum Beispiel keine Verpflichtung zur Teilnahme am Gottesdienst oder am katholischen Unterricht.

BECKER: Aber wo ist dann noch das Profil?

Aus ehemals 213 Pastoralverbünden im gesamten Erzbistum sollen 87 pastorale Räume werden. 41 pastorale Räume sind auf dem Weg oder haben schon ihre Gründung beschlossen. Sind Sie mit der bisherigen Entwicklung zufrieden?
BECKER: Kurz und bündig: ja. Ich bin dankbar und zufrieden, dass bei allen Komplikationen, die bei so einem Prozess unweigerlich auftreten, wir so effektiv vorankommen. Das war nicht selbstverständlich.

Werden die 87 pastoralen Räume auch in 20 Jahren noch jeder wenigstens einen Priester haben? An Pfingsten sind acht Priester geweiht worden, im vergangenen Jahr waren es drei und im Jahr 2011 waren es fünf. Dabei gehen im Erzbistum durchschnittlich 30 Priester pro Jahr in Rente.

BECKER: Die jetzigen pastoralen Räume sind so bemessen, dass genau dies gewährleistet sein wird. Auch über den Zeitraum von 20 Jahren hinaus. Außerdem sollte man nicht ausschließen, dass es wieder zu einem stärkeren Zugang zum Priesteramt kommt. Also da müssen wir uns keine Angst machen.

Hat der Priester in den großen pastoralen Räumen überhaupt noch Zeit für Seelsorge?

BECKER: Ich hoffe sogar, dass er dann nur noch Seelsorge macht. Dabei muss man dann allerdings Hilfestellung geben, was man unter ursprünglicher Seelsorge versteht. Dazu gehören vor allem die Verkündigung und der Sakramentendienst. Aber auch die Diakone und Gemeindereferenten können Aufgaben übernehmen. Da ist noch einiges möglich. Und es wachsen neue Priestergenerationen heran, wo der Geistliche sich nicht mehr als Einzelkämpfer sieht, sondern als Kooperationspartner im Team der hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Und wer übernimmt die vielen anderen Aufgaben? Braucht der Priester eine Art Manager an seiner Seite?

BECKER: So eins zu eins kann man das nicht sagen. Aber wir bemühen uns sehr, dass die Bistumsverwaltung bis hinunter auf die Gemeindeebene ein Dienstleistungsorganismus für die Menschen vor Ort sein muss. Wir brauchen mehr Kooperationen und mehr Konzentration. Heute läuft noch vieles nebeneinander her. Genau das kann in den großen pastoralen Räumen jetzt angepackt werden.

Die Reformgruppe "Wir sind Kirche" hat bei der Priesterweihe wieder auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht. Dazu gehört, dass Frauen das Priesteramt ermöglicht werden sollte, und die Aufhebung des Zölibats. Muss die Kirche bei der dramatischen Entwicklung der Priesterzahlen nicht zwangsläufig diese Themen aufgreifen?

BECKER: Die Themen sind nicht neu und müssen hinreichend differenziert betrachtet werden. Auf der einen Seite gibt es klare Äußerungen, zuletzt von Johannes Paul II.: Demnach sieht die Weltkirche keine Möglichkeit für ein Weiheamt von Frauen. Da nützt es nichts, wenn ich von den Bischöfen Änderungen einfordere. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Reformgruppe an diesen Schlagwörtern etwas geändert hat. Sich an einen Tisch zu setzen, um sich die Meinung zu sagen, das ist mir zu wenig konstruktiv und zu wenig hilfreich. Außerdem sind es Einzelpersonen und keine formale Gruppe, die sagt: Wir möchten mit dem Bischof reden. Ich spreche mit jedem gern, aber ich lasse mir nicht die Bedingungen aufzwingen.


Wenn die Weltkirche sich bei diesen zentralen Fragen nicht ändert, wie sieht Ihre persönliche Meinung aus?

BECKER: Ich kann mich nicht daran vorbeimogeln, was die Weltkirche formuliert hat. Wir sehen uns auf Grund des Willens Jesu nicht in der Lage, andere Wege zu eröffnen, zum Beispiel beim Frauenpriestertum. Außerdem müssten Reformen Thema eines weltweiten Konzils sein. Persönlich wünsche ich mir allerdings schon, dass Frauen Positionen mit mehr Verantwortung einnehmen könnten. Die Repräsentanz von Frauen in der Kirche ist noch sehr förderungswürdig.

Die Bitte um Gespräche der Reformgruppe mit Vertretern aus dem Paderborner Erzbistum, auch die Bitte um Gespräche mit Ihnen persönlich sind bisher negativ beschieden worden. Wird es dabei bleiben?

BECKER: Man soll nie nie sagen. Aber ich möchte dann auch schon von der ehrlichen Erwartung ausgehen können, dass ein gehaltvolles Gespräch möglich ist. Dafür muss Vertrauen wachsen.

Die Reformgruppe wünscht sich auch, zusammen mit Kirchenvertretern an einen runden Tisch eingeladen zu werden, wo sich alle Beteiligten – zum Beispiel unter einer neutralen Moderation – über die Kritik an der Kirche und ihre Haltung zu zentralen Fragen unterhalten können.

BECKER: In Talkshows wird unter einem Moderator diskutiert. Und je nachdem, welche Leute man einlädt, weiß man, wie es ausgeht. Das hat auch etwas von einem Tribunal. Da fehlen mir objektiv gesehen zu viele Voraussetzungen. Ein Beispiel: Wenn ein junger Priester sagt: "Ich halte den Zölibat für eine angemessene Lebensform", dann gibt es sofort Protest. Da stimmt das Klima nicht, das einen fruchtbaren und ehrlichen Dialog ermöglichen könnte.

Welche Voraussetzungen meinen Sie?

BECKER: Dass man versucht, Verständnis aufzubringen für andere Meinungen. Auch unsere Begründungen haben stichhaltige Argumente.

Die Zahl der Kirchenbesucher und die Zahl der Priester geht zurück – und auch die Finanzen sind alles andere als stabil. Wird es vor diesem Hintergrund Kirchenschließungen geben?

BECKER: In Einzelfällen kann das sein. Zwei Kirchen haben wir abreißen müssen im lippischen Dörentrup und eine Filialkirche in Bielefeld-Windflöte. Aber darüber hinaus sind keine weiteren Schließungen geplant. Wir werden jedoch auf Dauer überlegen müssen, wie viele Gottesdienste pro Kirche noch möglich sind. Das ist auch eine ökonomische Frage. Mittelfristig können wir aber noch mit einer recht stabilen Finanzlage planen. Dass dies nicht so bleibt, weiß jeder, denn nur ca. 25 Prozent der katholischen Bevölkerung zahlen überhaupt Kirchensteuer.

Wie sieht es bei den Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder den vielen katholischen Beratungsstellen aus?

BECKER: Wir haben die Einrichtung in Sondern am Biggesee schließen müssen, aber darüber hinaus sind keine weiteren Schließungen geplant. Wir wollen dezentral erreichbar bleiben. Das gilt für die Bildungseinrichtungen ebenso wie für die vielen Beratungsstellen von der Erziehungsberatung bis zur Eheberatung. Das alles sind ganz wichtige Dienste, die wir nicht leichtfertig in Frage stellen werden.

Was macht der Erzbischof an seinem Geburtstag?

BECKER: Ich werde dienstlich an dem Eucharistischen Kongress teilnehmen, der vom 5. bis 9. Juni 2013 in Köln stattfindet und sich mit Fragen rund um die Eucharistie beschäftigt. Es soll ein großes Glaubensfest werden mit Gottesdiensten und Kulturveranstaltungen.

Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

BECKER: Dass ich mit meinen Kräften noch lange in der Lage bleiben werde, kirchliches Leben im Erzbistum Paderborn zu fördern. Die Freude am Glauben ist wichtiger als das berechtigte Jammern an vielen Dingen, die nicht in Ordnung sind. "Jammern macht gesellig" ist kein guter Wahlspruch für mich.

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Zuletzt geändert am 10­.06.2013