6.7.2013 - Oberbayerisches Volksblatt

Ein Lehrschreiben aus vier Händen

Vatikanstadt – Premiere in der Kirchengeschichte: Papst Franziskus hat am Freitag eine Enzyklika vorgelegt, die in weiten Teilen von seinem Vorgänger Benedikt XVI. (2005-2013) mitverfasst wurde.

Ein Lehrschreiben aus der Feder zweier lebender Päpste hat es bislang nicht gegeben.

In dem Dokument fordern die Päpste, christlicher Glaube müsse Konsequenzen für das Handeln der Christen in der Gesellschaft haben. Es ermuntert sie dazu, für Menschenwürde, Schutz von Ehe und Familie, Achtung der Schöpfung sowie für Frieden und gerechte Regierungsformen einzutreten. Dazu sei es freilich erforderlich, das „Licht des Glaubens wiederzugewinnen“, der in der modernen Gesellschaft oft als unvernünftig, nutzlos und trügerisch bezeichnet werde und zu verdunkeln drohe.

Das erste große Lehrschreiben des neuen Papstes trägt nach seinen lateinischen Anfangsworten den Namen „Lumen fidei“ (Licht des Glaubens). Er habe dabei dankbar auf die wertvollen Vorarbeiten seines Vorgängers zurückgegriffen, schreibt Franziskus im Vorwort. Dieser habe eine erste Fassung einer Enzyklika über den Glauben schon nahezu fertiggestellt gehabt.

Die Enzyklika richtet sich an „alle Christgläubigen“, also auch an Nichtkatholiken. Enzykliken werden in der katholischen Kirche als Ausdruck der obersten Lehrgewalt des Papstes verstanden, sind aber keine unfehlbaren Lehrentscheidungen im dogmatischen Sinn. Benedikt XVI. hatte in seiner Amtszeit drei Enzykliken veröffentlicht.

Der Text arbeitet den Zusammenhang von Glauben und Wahrheit heraus, das Verhältnis von Glauben und Verstehen, von Glauben und Gedächtnis und auch das Verhältnis von Glauben und Vernunft. Letztere seien keinesfalls Widersprüche, sondern stünden in einer fruchtbaren Wechselbeziehung zueinander. Dieses Thema tauchte immer wieder in den Reden und Texten von Benedikt XVI. auf.

Ohnehin hat der Leser den Eindruck, im größten Teil des Lehrschreibens die Sprache und den Duktus von Benedikt XVI. zu erkennen. Die großen geistesgeschichtlichen Linien durch die abendländische Kultur, die Zitate von Kirchenvätern (vor allem Augustinus) und von modernen Autoren, aber auch die Auseinandersetzung mit Nietzsche oder Dostojewski verweisen auf den langjährigen Theologieprofessor aus Marktl.

Insbesondere das letzte der vier Kapitel scheint dann jedoch auch stark von Franziskus mitgeprägt. Das Licht des Glaubens, heißt es dort, dürfe nicht nur das Innere der Kirche beleuchten, sondern müsse auch Konsequenzen für die zwischenmenschlichen Beziehungen haben: für den Aufbau der Gesellschaft, für das Handeln der Christen, für die Zukunft und die Hoffnung der Welt. Die deutschen Bischöfe würdigten die Enzyklika als „Wegmarke der Theologie“ und „großes Geschenk für die ganze Kirche“. Mit dem Text erfahre die Kirche „Ermutigung, Wegweisung und Erinnerung“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Zollitsch war am Vormittag erstmals mit dem neuen Papst zusammengetroffen. „Wer Papst Franziskus begegnet, erlebt einen zutiefst gläubigen Menschen, der im Gebet das Gespräch mit Gott sucht“, sagte Zollitsch.

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx äußerte sich erfreut, dass Franziskus die Vorüberlegungen von Benedikt XVI. aufgegriffen habe. So werde die Kontinuität der beiden Pontifikate unterstrichen. Doch es gibt auch kritische Töne. So vermisst der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet den Stil von Franziskus. „Die Enzyklika passt jedenfalls vom Sprachstil her nicht zu den Symbolhandlungen von Papst Franziskus“, sagte er. Sie enthalte die von seinem Vorgänger bekannten Vorbehalte gegen Neuzeit, Aufklärung und Moderne. Auch die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sieht in dem Schreiben „ein Dokument des Übergangs“. Brennende innerkirchliche Grundsatzfragen blieben unbeantwortet. mm/kna/dpa

http://www.ovb-online.de/politik/lehrschreiben-vier-haenden-2992706.html

Zuletzt geändert am 06­.07.2013