19.9.2013 - Rhein-Zeitung

Reformkräfte spüren Rückenwind in der Kirche

Mainz - Als Robert Zollitsch 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz wurde, sorgte er gleich zu Beginn für einen Eklat: Er sprach sich gegen Denkverbote beim Thema Zölibat aus. Inzwischen hat sich der Wind gedreht - das wurde gerade wieder erst mit Aussagen von Kardinal Lehmann deutlich.

Von Bernward Loheide und Michael Defrancesco

Die Ehelosigkeit von Priestern sei "nicht theologisch notwendig", sagte der Freiburger Erzbischof dem "Spiegel". Mehrere katholische Amtsbrüder - darunter Joachim Meisner in Köln und Reinhard Marx in München - widersprachen heftig. Sie verteidigten die rote Linie, die Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gezogen hatten. Doch heute, fünf Jahre später, hat sich der Wind gedreht.

Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann denkt öffentlich darüber nach, dass es in der katholischen Kirche künftig verheiratete Priester geben kann - und fast niemand widerspricht mehr. Auch wenn am Mittwoch noch kein weiterer deutscher Bischof öffentlich dem Kardinal folgen wollte, hat dieser Wandel dennoch einen Namen: Franziskus. Der Papst aus Argentinien ist zwar selbst kein Liberaler, der den Zölibat abschaffen, Frauen zu Priestern weihen oder homosexuelle Paare segnen will. Aber er lässt das zu, was von seinen Vorgängern unterdrückt wurde: eine freie innerkirchliche Debatte über Reformthemen.

„Das Keuschheitsgelübde ist kein Dogma. Man kann darüber diskutieren, weil es eine kirchliche Tradition ist“, sagt Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.

Kein Bischof muss mehr Angst haben, für solche Äußerungen gemaßregelt zu werden. Beim alten Streitthema Zölibat hat Lehmann jetzt sogar einen prominenten Mitstreiter in Rom: die neue Nummer zwei im Vatikan, den künftigen Staatssekretär Pietro Parolin. Er hat jüngst in Venezuela genau das Gleiche gesagt: Die Ehelosigkeit von Priestern sei kein Dogma, sondern eine kirchliche Disziplin, über die diskutiert werden könne.

Der dramatische Priestermangel führt vor allem in ländlichen Gebieten Deutschlands dazu, dass die Kirche mit ihren Eucharistiefeiern immer weniger "vor Ort" ist. Der Zölibat ist nicht der einzige Grund, warum immer weniger Männer Priester werden wollen, aber Lehmann spricht vermutlich vielen Bischöfen aus dem Herzen, wenn er auf die verheirateten Diakone verweist: "Da gibt es ganz hervorragende Leute, da kann ich mir vorstellen, dass so jemand in einigen Jahren durchaus die Priesterweihe erhalten kann."

Papst Franziskus wird den Zölibat sicher nicht einfach per Dekret abschaffen. Dazu bedürfte es eines Konzils, also einer gesamtkirchlichen Versammlung und Entscheidung. In diesem Jahrzehnt ist nicht mehr damit zu rechnen.

Die Erfahrung lehrt: Ein solcher Konzilsbeschluss führt immer zu Abspaltungen. Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil entstand die Altkatholische Kirche, die das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nicht akzeptieren wollte. Nach dem Zweiten Vatikanum hielt die Pius-Bruderschaft an der alten lateinischen Messform fest und weigerte sich, die Religions- und Gewissensfreiheit anzuerkennen. Schon Zollitsch mahnte 2008: Ein Abschied vom Zölibat "wäre eine Revolution, bei der ein Teil der Kirche nicht mitginge". Das wäre der Preis, den die Kirche zahlen müsste.

Hanspeter Schladt, Sprecher von "Wir sind Kirche" im Bistum Trier, ist jedenfalls voll des Lobes: "Ich war angenehm überrascht, als ich vom Vorstoß des Kardinals gehört habe", sagt er. "Früher hatte er ja schon gute Ideen, und jetzt als älterer Herr wird er - mit Verlaub - richtig frech." Ebenso viel Lob richtet Schladt an Papst Franziskus. "Ich sehe da absolut einen Zusammenhang mit dem neuen Papst, dass das Thema Zölibat jetzt wieder Fahrt aufnimmt." Ein Problem bleibt laut Schladt: Sollte sich tatsächlich etwas ändern, müsste das Kirchenvolk mitgenommen werden. "Und wir Katholiken haben ja immer gelernt, dass Priester ehelos sein müssen. Das muss man erst mal schaffen, alle Katholiken mitzunehmen."

Julia Klöckner, Landesvorsitzende der CDU und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sagt: "Den Zölibat wird es immer geben, und es sollte ihn auch geben können. Aber ich meine, der Pflichtzölibat für jeden Priester wird sich mit der Zeit überholen. Schließlich gibt es doch viele Christen, die zum Priesteramt berufen sind, die aber eine andere Lebensform wählen möchten. Ich bin mir sicher, die Kirche wird sich öffnen müssen für behutsame Neuerungen, um in der Mitte des Lebens der Menschen Bestand zu haben."

Josef Winkler, Bundestagsabgeordneter der Grünen und ebenfalls Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, freut sich, dass das offene Diskutieren nun wieder in die katholische Kirche zurückkommt. "Aber für mich ist die Frage nach verheirateten Priestern nicht die drängendste Frage", sagt er unserer Zeitung. "Wir haben eher das Problem, dass in den Gemeinden Geschiedene und Wiederheiratete nicht zur Kommunion gehen dürfen, ebenso wie evangelische Christen, die mit Katholiken verheiratet sind. Auch diese Fragen müssen jetzt diskutiert werden."

http://www.rhein-zeitung.de/region_artikel,-Reformkraefte-spueren-Rueckenwind-in-der-Kirche-_arid,1040778.html

Zuletzt geändert am 19­.09.2013