20.9.2013 - spiegel.de

Reaktionen auf Papst-Interview: "Das wird Folgen für die Weltkirche haben"

Von Rainer Leurs, Gesa Mayr und Julia Stanek

Für sein Interview erntet Papst Franziskus viel Applaus. Erzbischof Robert Zollitsch rechnet mit einer Debatte bei der Bischofskonferenz, im Ausland wird vor allem die Nahbarkeit des Pontifex gelobt. Die wichtigsten Reaktionen im Überblick.

Rom - Warme Worte, offene Kritik an der katholischen Kirche und ein Plädoyer für Barmherzigkeit: Mit seinem freimütigen Interview mit dem Jesuiten-Magazin "La Civiltà Cattolica" wird Papst Franziskus in den Augen vieler einmal mehr seinem Revoluzzer-Ruf gerecht. Das Echo auf seine Äußerungen? Durchaus positiv.

"Das Interview des Heiligen Vaters ist ein beeindruckendes Zeugnis des Glaubens und gibt einen spannenden Einblick in die Biografie und das Denken von Papst Franziskus", sagte Erzbischof Robert Zollitsch SPIEGEL ONLINE. Er sei sicher, dass das Thema auf der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der kommenden Woche zur Sprache kommen werde.

Seine Kollegen von der amerikanischen Bischofskonferenz pflichteten ihm bei: Das Interview sei ein "außergewöhnlicher Moment im Journalismus", sagte Sprecherin Mary Ann Walsh der "Washington Post". In vorhergegangenen Papst-Interviews sei meist druckreif gesprochen worden und viel weniger freimütig.

Lob gab es auch von Kardinal Joachim Meisner. Der Kölner Erzbischof sagte dem Domradio, dass die "Antworten von Papst Franziskus die ganze Vitalität des katholischen Glaubens atmen". Zwar müsse das ganze Gespräch noch aufmerksam verarbeitet werden. Doch der Papst schrecke nicht vor aktuellen Themen zurück und lasse bei seinen Äußerungen keinen Raum für Engstirnigkeit.

Die Offenheit des Gesprächs wurde in Deutschland vor allem von der Reformbewegung "Wir sind Kirche" gewürdigt. "Franziskus lebt uns eine Denk- und Redefreiheit vor, indem er Tabuthemen anspricht. Das ist bemerkenswert und wird auch Folgen für die Weltkirche haben", sagte Sprecher Christian Weisner SPIEGEL ONLINE. Der Papst zeige, dass Diskurs und Dialog möglich sind. "Er öffnet uns die Augen, die eigentliche Botschaft des Christentums wiederzuentdecken." Dass Zollitsch das Thema auf der Bischofskonferenz sieht, dürfte Weisner freuen. "Die Frage ist nun, wie die deutschen Bischöfe darauf reagieren."

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"Ich bin ein Sünder"

Wesentlich nüchterner nahm der Theologe, Schriftsteller und Kirchenkritiker Georg Schwikart die Worte des Papstes auf. "Was er da gesagt hat, wird völlig überbewertet", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Die überschwänglichen Reaktionen zeigen nur, wie verhärtet die Fronten vorher waren." Revolutionen in der Kirche seien vom Papst nicht zu erwarten. Schwikart spricht Franziskus zwar nicht seinen Willen zu einem neuen Dialog ab. "Aber an die wirklichen Probleme der Kirche wird er sich nicht heranwagen."

Bei der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche zweifelte man hingegen nicht an der Wirkungskraft von Franziskus Worten. "Wir meinen, das ist ein echter Kurswechsel - nicht in irgendwelchen theologischen Lehrfragen, aber in der Haltung der katholischen Kirche", sagte Sprecher Markus Gutfleisch SPIEGEL ONLINE. "Die theologischen Lehrdokumente der letzten Jahre sind nicht mal eben so änderbar - auch nicht für den Papst." Besonders die Aussage, die Kirche solle für alle da sein, kam bei der Arbeitsgruppe gut an. "Ich gehe davon aus, dass der Katechismus so weiterbestehen wird. Aber im Alltag der Kirche wird es anders werden; Franziskus will das so."

Nüchterne Reaktionen in Italien

In Italien selbst wurden die Äußerungen überraschend unaufgeregt aufgenommen. Zwar nannte die Zeitung "Il Corriere della Sera" die Äußerungen des Pontifex "revolutionär" - doch die großen Debatten bleiben bislang aus.

Die Tageszeitung "La Stampa" charakterisierte Franziskus als jemanden, dem sehr klar ist, wie sehr er die Kirche in Rom durcheinanderwirbelt. "Er weiß, dass sein Regierungsstil Befremden in verschiedenen Bereichen der Katholizität provoziert", heißt es in dem Kommentar, der mit den Worten "Die Moderne des Glaubens" überschrieben ist. Um den konservativen Zweig der Kurie nicht zu sehr zu verschrecken, "versucht der Pontifex offenbar, alle Gläubigen zu beruhigen - auch diejenigen, denen es schwerfällt, das Neue zu verstehen."

Ein solcher Versuch der Besänftigung ist der Zeitung zufolge die "kuriose Interview-Passage", in der sich der Papst "als Sohn der Kirche" bekennt. Die Meinung der Kurie zu Themen wie Abtreibung und Verhütung sei ausreichend bekannt, sagt Franziskus. Man müsse "nicht endlos davon sprechen".

Nach außen hin ist der Kern seiner Botschaft laut "La Stampa" also nicht der fortschrittliche Gedanke zur Sexualmoral, sondern etwas wesentlich weniger Revolutionäres: "Die Kirche soll sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf das, was 'das Herz erwärmt'."

Dennoch: Das Interview ist laut "La Stampa" ein "historisches Interview". Auch weil sich darin erneut die "für einen Papst unübliche Sprache" zeige, an die "die Welt (auch die katholische) nicht gewöhnt ist".

Als "absolut lesenswert" bezeichnete das Interview auch Enzo Romeo, Vatikan-Experte des italienischen Staatssenders Rai 2. "Danke an Padre Antonio Spadaro für das Interview mit Papst Franziskus", twitterte Romeo. "Es ist ein wertvoller und unbezahlbarer Beitrag." Dann setzte er 15 Tweets ab, in denen er Auszüge des Gesprächs zitiert, unter anderem diesen: "Die Frau ist für die Kirche unabdingbar. Maria, eine Frau, ist wichtiger als die Bischöfe."

Der britische "Guardian" destillierte aus dem Gespräch des Kirchenoberhaupts auch an anderer Stelle revolutionäre Aussagen. Franziskus gibt unter anderem zu Protokoll, er verehre die Musik von Mozart und Beethoven, lobt den Filmemacher Federico Fellini. Für den Papst sei Kunst nicht nur Ausdruck eines ästhetischen Spiels, sondern gehöre zum menschlichen Alltag, ähnlich wie das Arbeiten und Beten, stellt die Zeitung fest. "Es ist gleich doppelt faszinierend zu sehen, dass Caravaggio der Künstler ist, den Franziskus am meisten achtet - eine Schwulenikone des Barock und ein Mann von der Straße, dem für seine Werke Prostituierte und Stricher Modell standen."

Die "Washington Post" analysierte , Franziskus klinge wie ein Pastor, nicht wie ein Wächter der katholischen Glaubenslehre. Vor allem bei den Amerikanern könnte er damit einen Nerv getroffen haben. Mehr denn je seien hier die Menschen auf der Suche. Keine Gruppe habe diesen Trend mehr zu spüren bekommen als die katholische Kirche - jeder zehnte Amerikaner ist ein ehemaliger Katholik. "Es ist wahrscheinlich, dass seine Sprache bei Amerikanern ankommt, die mehr nach Spiritualität als nach Glaubenszugehörigkeit suchen."

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/papst-franziskus-reaktionen-auf-interview-a-923499.html

Zuletzt geändert am 21­.09.2013