30.1.2014 - Die Zeit

Vatikanumfrage: Kirche und Sex

Deutschlands Katholiken lieben, wie sie wollen. Sie begehren gegen die Vormundschaft des Klerus auf

VON EVELYN FINGER

Auch Katholiken haben Sex nicht nur zum Kinderkriegen. Auch Katholiken lieben sich aus Liebe oder einfach nur zum Spaß. Was bisher nur ein dringender Tatverdacht war, ist nun quasi amtlich, dank einer weltweiten Umfrage des Vatikans: Die Lehre der Kirche, dass "jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hin geordnet bleiben muss", wird von vielen deutschen Kirchenmitgliedern ausdrücklich abgelehnt. So steht es in den Familienfragebögen, die diese Woche nach Rom zurückgeschickt wurden. Sie beweisen, dass die meisten Katholiken die bekannteren Verbote (Keine Pille! Keine Kondome! Kein vorehelicher Sex!) fröhlich ignorieren.

Glaubensgehorsam war immer rar. In einer moralischen Anstalt, in der Päpste ihre Söhne einst zu Kardinälen ernannten, gehört der Verstoß gegen die geltende Sexualmoral zur Tradition. Doch das Selbstbewusstsein, mit dem die Katholiken sich zu ihrem unkatholischen Verhalten bekennen, ist neu. Geradezu trotzig, fast schon stolz erklären sie, dass sie gegen die Regeln leben.

Sie halten diese Regeln offenbar für falsch. Die Sünder bitten nicht mehr um Sündenablass, sie wollen eine Revision des Sündenkatalogs. Am Montag forderte die Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche alle deutschen Bischöfe auf, die Umfrageergebnisse "ungeschminkt und ungeschönt nach Rom zu geben, aber auch in Deutschland zu veröffentlichen". Die Lehre dürfe nicht länger gegen das Leben stehen. Der Papst müsse wissen, was die Basis glaubt. Viele Bischöfe aber, so der Vorwurf, hätten die Fragebögen nicht vollständig veröffentlicht. Sie hätten Ergebnisse der Umfrage zurückbehalten und wollten nun peinliche Ergebnisse deckeln. Das sei eine Bevormundung des Kirchenvolkes. Mit einem Wort: undemokratisch!

Limburgs Gläubige wollen wissen, wie viel Geld ihr Bischof verbaut hat.

Kann Kirche Demokratie? Das ist die bürgerbewegte Frage Anno Domini 2014, das wieder ein deutsches Kirchenkrisenjahr zu werden droht. Kaum hat es begonnen, rufen landauf, landab die Katholiken nach mehr demokratischen Tugenden wie Transparenz, Mitsprache, Beteiligung. Während Wir sind Kirche gegen das "mittelalterlich erstarrte" Familienbild der Amtskirche wettert, warten die Gläubigen in Limburg auf die Offenlegung eines Prüfberichtes. Sie wollen wissen, wie viel Kirchensteuergeld ihr Bischof nun genau verbaute. Sie wollen keinen Richterspruch aus Rom, sondern Details.

Am liebsten würden sie den nächsten Bischof selbst wählen. Das ist nicht nur im kleinen Limburg so, sondern auch im mächtigen Köln, wo demnächst Joachim Kardinal Meisner abtritt. Sein Erzbistum galt 25 Jahre lang als feste Burg gegen Reformen aller Art. Jetzt wollen Katholiken ausgerechnet dort den nächsten Oberhirten selbst bestimmen. Nicht nur Kölner Laien, auch Priester und Theologen behaupten: Bischöfe sind wählbar!

Stimmt das? Der neue Papst, den die Reformer lieben, hat am Montag Nein gesagt. Bischöfe werden nicht gewählt, sondern geweiht: "Die Kirche ist keine Demokratie." Konservative Kirchenrechtler präzisieren: Wenn innerhalb der katholischen Kirche gewählt werde, dann habe das nichts mit Demokratie zu tun, denn es geschehe innerhalb eines ständischen Systems. Selbst wenn ein Domkapitel Bischöfe vorschlagen sollte, müsse am Ende doch der Papst entscheiden.

Allerdings besteht die Kirchenbasis heute nicht mehr aus Untertanen, sondern aus Bürgern. Sie sind es gewohnt, frei zu wählen und selbst zu entscheiden. Die Differenz zwischen Kirche und Welt lässt sich nicht durch kirchliche Strafandrohung überbrücken. Der katholische Apotheker, der eigentlich die Pille nicht verkaufen darf, tut es dennoch, auch wenn die Kirche ihm mit Höllenstrafen droht. An die Hölle glauben die meisten Katholiken nicht mehr.

Sind sie dann überhaupt noch Katholiken? Die Besitzstandswahrer verneinen das. Höhnisch prophezeien Konservative, demnächst werde auch noch über Glaubenswahrheiten mehrheitlich abgestimmt. Doch die Fronten bröckeln: An der Kölner Initiative zur Bischofswahl sind auch konservative Theologen beteiligt, die finden, dass die Kirche sich ändern kann. Die Kirche basiert nicht nur auf unumstößlichen Wahrheiten. Ihr Auftrag ist nicht zuvörderst das Verkünden von Geboten, sondern des Evangeliums. Es besagt, dass Gott die Menschen liebt. Diese Liebe macht die Menschen frei. Freiheit aber kann man nicht aus der Unfreiheit heraus verkünden. Manche Theologen werfen ihrer Kirche deshalb mittlerweile vor, sie stehe sich durch ihren Autoritarismus selbst im Weg, weil ihre Botschaft so nicht mehr bei den Menschen ankomme.

Kirche ist keine Demokratie. Aber Kirche in der Demokratie muss überzeugen. Sie kann ihre Mitglieder nicht beherrschen, sondern nur mit ihnen gemeinsam das Grundgebot der Nächstenliebe verteidigen. Die Nächstenliebe ist eng verwandt mit dem demokratischen Ideal, das die Freiheit des einen Menschen mit der Rücksicht auf die Freiheit des anderen verbindet.

Die Kirche muss keine Angst davor haben, ihre Regeln zu überdenken. Sie könnte eines Tages sogar Sex aus Liebe erlauben. Es ist eigentlich nicht schwer, das theologisch zu begründen. Sie hätte dann immer noch einen Gott. Die Kirche wäre immer noch keine Demokratie. Aber sie hätte sich demokratisiert. Viele Katholiken scheinen darauf zu hoffen. Sonst wäre es unerklärlich, dass sie einem Verein treu bleiben, der ihnen Vorschriften macht, die sie weder billigen noch befolgen.

http://www.zeit.de/2014/06/katholiken-kirche-sexmoral

Zuletzt geändert am 12­.02.2014