1.6.2014 - www.publik-forum.de

Protestiert, ihr Katholiken!

von Barbara Tambour

Und ewig sprechen die »Anwälte des Publikums«: Warum lassen es sich Tausende von Menschen eigentlich gefallen, dass sie beim Katholikentag nicht selbst zu Wort kommen, sondern immer andere für sie sprechen? In einer Veranstaltung war das mal anders. Und die war zum Aufatmen

Tausende von Katholikinnen und Katholiken treffen auf Hunderte von "Anwälten des Publikums": Der Katholikentag ist nicht gut darin, einzelne Menschen einfach mal zu Wort kommen zu lassen.

Wer Katholiken- oder Kirchentage kennt, weiß wie Podien ablaufen: Vier Experten halten nacheinander je einen kurzen Vortrag. Will ich als Zuhörerin etwas fragen oder eine Meinung äußern, winke ich als erstes einen Pfadfinder herbei, der mir einen hellblauen Zettel gibt. Darauf schreibe ich meine Frage, versuche, den Zettel wieder an den Pfadfinder loszuwerden, der ihn dem so genannten Anwalt des Publikums übergibt. Der wählt aus dem Häuflein Zettel einige aus und liest sie vor oder fasst sie zusammen.

Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass das Publikum dagegen protestiert hätte. Und es müsste protestieren, finde ich, denn mit dieser Methode geht so viel an Spannung verloren: Der Ärger in der Stimme einer Fragerin, die Begeisterung im Statement eines Zuhörers, die Kränkung, die als Unterton den Einwurf begleitet.

Doch jetzt zur Veranstaltung, bei der fast alles ander war. Sie trug den Titel: »Nimm dein Bett und geh´. Lähmende Abhängigkeiten überwinden.« Die Regensburger Kirchenrechtsprofessorin Sabine Demel legte zunächst in einem Vortrag die Bibelstelle aus, in der Jesus zu dem Gelähmten sagt: »Nimm dein Bett und geh.« Und übertrug sie auf das Hier und Heute vieler engagierter Christen. Das Bett, an das wir uns gefesselt erleben, das sind Sätze wie: »Die Kirche ist eben so, das lässt sich nicht ändern.« Oder: »Die Bischöfe sagen: Das lassen wir nicht zu – und schon wagen wir nicht mehr etwas anderes zu tun oder zu denken.« Solange wir so handeln, sagte Demel, überwinden wir die Lähmung nie. »Ich bin fest davon überzeugt, wenn nicht nur einzelne, sondern viele es wagen, vom Bett der Lähmung aufzustehen und mutig vorausdenken und voraushandeln, wird vieles in Bewegung kommen.« Sie endete ihre Bibelauslegung mit der Frage: »Wollen Sie wirklich aufstehen?«

Dass Aufstehen immer mit einem ersten Schritt beginnt und Mut braucht, wurde erfahrbar, als Moderatorin Sigrid Grabmeier auf die vier leeren Stühle auf dem Podium wies. Wer vom Aufstehen, vom Lähmungen überwinden berichten wolle, könne dort Platz nehmen. Und zwei Frauen und ein Mann nahmen dort Platz. Später drei weitere Frauen. Die erste berichtete von ihren Erfahrungen im Verband katholischer Lesben und wie sie sich nicht aus der Kirche und teils aus ihren kirchlichen Berufen herausdrängen lassen wollten.

Dass dieses offene Podium kein abgekartetes Spiel war, merkte man beim zweiten Redner. Der Mann, aktiv in der katholischen Gemeindeerneuerung, machte aus seiner Überzeugung keinen Hehl, Homosexualität sei Gott ein Gräuel. Als sich darüber Unmut in der Turnhalle regte, reagierte die Moderatorin versiert und umsichtig: Mit dieser Ansicht stehe er hier vermutlich alleine. Sie und die meisten anderen teilten sie nicht. Doch sie bitte die Zuhörer, diese sachlich vorgetragene Meinung ruhig stehen zu lassen: »Das ist die Vielfalt in der Kirche. Und so schwierig ist sie auszuhalten.« Die dritte Frau berichtete von ihren Erfahrungen persönlich gelebter Ökumene.; biografisch, plastisch, frisch.

Wer das Publikum zu Wort kommen lässt, der erlebt Überraschungen. Schade nur, dass das Publikum auf diesem Katholikentag so selten selbst zu Wort kam. Zum Glück hatte die Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche« – die für »Nimm dein Bett und geh´« verantwortlich zeichnete – als Veranstalter keine Angst vor dem eigenen Publikum. Zum Glück ließ sich eine Moderatorin auf das Wagnis ein, die ganze Vielfalt der Kirche – die oft so schwer auszuhalten ist – auf das Podium zu lassen. Kompliment! In derselben Turnhalle war während des Katholikentags schon viel über Taufwürde und Laienverantwortung gesprochen worden. Doch erst diese Veranstaltung machte Ernst damit, Lähmung und Gewöhnung zu überwinden und mutig zu hören, was das Volk Gottes zu sagen hat.

Professorin Demel, die unter dem früheren Bischof von Regensburg, Müller, quasi ein Redeverbot vor katholischen Organisationen und Verbänden im Bistum hatte, erzählte am Ende auch, wie es ihr gelungen ist, die Lähmung zu überwinden. Eine Lähmung, die daraus erwuchs, dass sie befürchten musste, über ihre theologischen Konflikte mit Bischof Müller möglicherweise die Lehrerlaubnis entzogen zu bekommen. »Geholfen hat mir, die Lähmung anzuschauen, die die Schere im Kopf anrichtet. Und mir dann klarzumachen: Darüber kann ich nicht schweigen.« Also habe sie sich einen »Plan B« gemacht: Was tue ich, wenn ich sage, wovon ich überzeugt bin, und darüber die Lehrerlaubnis entzogen bekomme? Plan B sei nicht im Entferntesten ihr Traum. Aber eine Möglichkeit: »Seitdem habe ich mehr Freiheit und mehr Mut.«

Übrigens: Die Veranstaltung in der Turnhalle des Albrecht-Altdorfer-Gymnasiums war überfüllt und wurde per Lautsprecher in den Pausenhof übertragen. Also: Mehr mutige Veranstaltungen mit aktiver Publikumsbeteiligung auf dem Katholikentag 2016 in Leipzig!

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Zuletzt geändert am 05­.06.2014