23.3.2015 - Badische Zeitung

"Der Mentalitätswechsel dauert zu lange"

"Wir sind Kirche" setzt sich für eine grundlegende Reform der katholischen Kirche ein. Sebastian Kaiser hat mit dem Vorsitzenden der Initiative, Christian Weisner, über Papst Franziskus und den Dialog mit der Basis gesprochen.

BZ: Herr Weisner, unter Papst Franziskus weht ein neuer Wind in der katholischen Kirche. Wie stark können Sie sich mit diesem Kurs identifizieren?

Weisner: Sehr stark natürlich. Dieser Papst verdient jede Unterstützung, gerade auch der Reformbewegungen. Weil er das Zusammenwirken von Priestern und Laien neu gestalten will und weil er das Verhältnis zwischen den Ortskirchen und der Zentrale in Rom neu ausrichtet. Vatileaks und der Rücktritt von Papst Benedikt haben doch gezeigt, wie notwendig eine Reform des Vatikans ist. Papst Franziskus mit seiner Erfahrung aus Lateinamerika steht für Dialog und synodale Prozesse, so wie es das Konzil vor 50 Jahren beschlossen hat.

BZ: Wie sind die Erfahrungen von "Wir sind Kirche" mit den offiziellen Kirchenorganen?

Weisner: Wir sind bei allen Katholikentagen dabei, haben gute Kontakte zu den Räten und Verbänden. Nur die Bischöfe tun sich noch schwer im Dialog mit uns. Aber immerhin spricht Generalvikar Dr. Mehlmann ein Grußwort auf unserer Bundesversammlung.

BZ: Wie bewerten Sie denn die Situation der Kirche in Deutschland?

Weisner: Der weltweit sehr positive Franziskus-Effekt ist durch den negativen Limburg-Effekt leider verspielt worden. Die Zahl der Kirchenaustritte ist deshalb immer noch sehr hoch. Gerade die deutschen Bischöfe scheinen große Schwierigkeiten zu haben, sich auf den Reformkurs von Franziskus einzulassen. Mir dauert dieser Mentalitätswechsel viel zu lange. Der kreativlose Umgang mit dem zweiten Fragebogen zur Familiensynode hat gezeigt, wie wenig geübt und bereit unsere Bischöfe zu einem wirklichen Dialog mit dem Kirchenvolk noch sind.

BZ: "Wir sind Kirche" fordert unter anderem die Abkehr vom Zölibat und das Diakoninnen- und Priesteramt für Frauen. Ist so eine Agenda nicht unrealistisch, weil vieles davon mit der Lehre der katholischen Kirche kaum vereinbar sein dürfte?

Weisner: Dann könnte man genauso gut sagen, dass das Zweite Vatikanische Konzil unrealistische Ziele verfolgt hat, beispielsweise in der Frage der Religionsfreiheit oder der Ökumene. Mit unseren Forderungen stehen wir doch nicht alleine. Schauen Sie beispielsweise auf die Diskussionen in den Frauenverbänden. Und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat bereits vor dem Kirchenvolksbegehren von 1995 ähnliche Punkte vertreten wie wir. Vor allem bei der Gleichberechtigung von Frauen sowie der Beteiligung von sogenannten Laien ist der Nachholbedarf groß. Das sehen inzwischen auch viele Kardinäle, Bischöfe und Theologen so, die den Papst unterstützen.

Christian Weisner, 63, ist Mitinitiator des Kirchenvolksbegehrens 1995 und seitdem im Bundesteam der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche".

http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/der-mentalitaetswechsel-dauert-zu-lange--102223904.html


HINTERGRUND
1995 sprang der Zündfunke über

Der Skandal um den Wiener Erzbischof Hans Hermann Groër (1919-2003), der als junger Priester Jungen misshandelt und sexuell missbraucht hatte, lieferte den Zündfunken. Als sich 1995 die Schilderungen seiner Opfer als wahr erwiesen, der Kardinal zurücktrat und sich in ein Kloster zurückzog, forderten 500 000 Österreicher spontan eine weniger hierarchische Kirche, die Abschaffung des Zölibats und die Zulassung der Frau zur Priesterweihe. Der Zündfunke sprang über: Noch im selben Jahr traten auch 1,8 Millionen Deutsche, davon fast 1,5 Millionen Katholiken, für eine von Grund auf erneuerte Kirche ein. Daraus entstand "Wir sind Kirche". Ihr Sprecher Christian Weisner ist davon überzeugt, dass eine Kirche nach den Vorstellungen seiner Bewegung nicht nur für die Ökumene, sondern sogar "für die Zukunft der gesamten Christenheit" bedeutsam sei.

http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/hintergrund-xt62xiqyx--102223868.html

Zuletzt geändert am 23­.03.2015