28.5.2015 - ovb-online

„Niederlage für die Menschheit“

Der Papst will in der Kirche eine offene Diskussion über Themen wie Homosexualität. Die Kritik seines Staatssekretärs an der Homo-Ehe zeigt aber einmal mehr, dass auch Franziskus wohl keine Kirchenrevolution bringen wird.

Von A. Reuther, C. JACKE UND J. Müller-Meiningen

Rom/Berlin – Drei Tage hat es gedauert, bis der Vatikan seine Meinung zum Ja der Iren zur Ehe für Schwule und Lesben kundtat. Die Kritik saß dafür umso mehr – eine Ohrfeige für alle, die auf eine Öffnung der Kirche im Umgang mit Homosexuellen hoffen. Als „Niederlage für die Menschheit“ bezeichnet Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin die Entscheidung der traditionell katholischen Iren.

Das Ergebnis habe ihn „sehr traurig gestimmt“, sagte der ranghöchste Prälat nach dem Papst. „Natürlich muss sich die Kirche, wie es der Erzbischof von Dublin gesagt hat, dieser Realität stellen, aber sie muss das in dem Sinn tun, dass sie erneute Anstrengungen unternimmt, auch die Kultur von heute zu evangelisieren.“ Die Familie sei der wichtigste Grundstein der Gesellschaft, alles müsse dafür getan werden, dies zu verteidigen.

Dass die katholische Kirche gegen die Homo-Ehe ist, ist nicht neu. Aber die Wortwahl des Kardinals kommt auch bei vielen Gläubigen nicht gut an. „Homosexualität ist in der katholischen Kirche eine viel zu lange verdrängte und zum Teil kriminalisierte Realität, ebenso sexuelle Lust überhaupt“, beklagte die Sprecherin der Kirchen-Reformbewegung „Wir sind Kirche“, Sigrid Grabmeier. „Verbunden ist das mit der Vorstellung, dass Ehe und Familie sich hauptsächlich über die Fortpflanzung definieren. Da ist jetzt ein sorgsam gepflegtes Gedankengebäude vom Einsturz bedroht, aber nicht die ganze Menschheit.“

Auch im Netz entlud sich Empörung. „Priester, die Kinder missbrauchen, sind eine Niederlage für die Menschheit“, schrieb ein Nutzer auf der katholischen Webseite „cruxnow.com“.

Der Argumentation liegt die traditionelle Auffassung der katholischen Kirche zugrunde, dass die Ehe aus Mann und Frau besteht. Eine Familie sind Vater, Mutter, Kind – und basta. Daran wird nicht gerüttelt, auch wenn viele Gläubige hoffen, dass sich die Kirche mit Papst Franziskus in Fragen der Sexualität und Familienangelegenheiten öffnen wird. Die Hoffnung speiste sich vor allem aus einem aufsehenerregenden Zitat aus dem Jahr 2013: „Wenn jemand schwul ist und er den Herrn sucht und guten Willen zeigt, wer bin ich, das zu verurteilen“, sagte der Argentinier damals.

Zudem hat der Pontifex das Thema Familie auf die Agenda gesetzt. Nicht nur spricht er jeden Mittwoch bei der Generalaudienz über Kinder, Mütter, Väter oder Großeltern, Partnerschaft oder Erziehung. Bei der Bischofssynode im kommenden Oktober stehen heiße Eisen wie der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder mehr Akzeptanz für Homosexuelle auf dem Programm. Franziskus will eine offene Diskussion. Aber weitreichende Entscheidungen, die Doktrin und Lehre der Kirche infrage stellen, erwarten Insider nicht von dem großen Bischofstreffen.

Bewegung ist deshalb derzeit nur in der politischen Debatte. Auch in Deutschland: Die Große Koalition beschloss gestern, im Wortlaut zahlreicher Gesetze die Vorgaben für Eheleute auch auf Lebensgemeinschaften schwuler und lesbischer Paare auszudehnen. Das Kabinett stimmte einem Gesetzentwurf des SPD-geführten Justizministeriums zu.

Neben parteiübergreifender Kritik, die Pläne gingen nicht weit genug, meldete sich auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Wort: „Was die Bundesregierung heute auf den Weg gebracht hat, ist unzureichend – und für viele Menschen in Deutschland eine riesige Enttäuschung.“ Vor allem geht es den Kritikern von Schwarz-Rot um das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, nicht um redaktionelle Änderungen von Vorschriften.

In die Debatte eingemischt hat sich überraschend nun auch ein Schlagerstar: Der offen schwul lebende Sänger Patrick Lindner (54), warb für eine Volksabstimmung. „Warum soll man nicht das Volk fragen? Ich meine, unser Volk wird viel zu wenig gefragt.“ Für eine Volksabstimmung gibt es auch in Teilen von CSU, SPD und Bayerns FDP Sympathie.

http://www.ovb-online.de/politik/niederlage-menschheit-5052382.html

Zuletzt geändert am 29­.05.2015