Juni 2016 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Nein-Europa oder Neu-Europa?

Die aktuellen Herausforderungen, vor denen die europäische Staatengemeinschaft, das „christliche Abendland“ steht, sind immens. Wird es den Brexit geben? Werden immer mehr Länder die mühsam erreichte gemeinsame Idee von Einheit, Freiheit und vor allem Solidarität aufgeben? Das Bemühen der politischen Eliten allein wird nicht ausreichen, neue Visionen für das Zusammenwachsen Europas zu entwickeln. Die Zivilgesellschaft und die Religionen sind gefordert, neue Brücken der Versöhnung und Verständigung zu bauen.

Papst Franziskus hat seinen Aachener Karlspreis den Bürgerinnen und Bürgern Europas gewidmet. Wir alle an der politischen und kirchlichen Basis sind jetzt gefordert, gemeinsam mit allen Menschen guten Willens, Europa zu erneuern. Die Christlichkeit des Abendlandes kann nur mit christlichen Werten erhalten werden, und dazu gehören Nächstenliebe und Gastfreundschaft, gerade auch gegenüber Fremden. Dafür ist besonders auch in den europäischen Nachbarländern zu werben, die sich der Aufnahme von Flüchtlingen noch verweigern. Eine Abschottung, wie sie manche Kräfte befürworten, ist weder verantwortbar noch dauerhaft realisierbar.

Als christliche Gemeinden in der Nachfolge Jesu haben wir eine besondere Verantwortung, bestehende Ängste zu überwinden, die neuen Aufgaben als Chancen für unseren Kontinent zu erkennen und in christlicher Verantwortung und Hoffnung sowie im Dialog mit anderen Religionsgemeinschaften zu handeln.

Zeigen wir unsere Solidarität mit den Menschen, die vor Gewalt und Perspektivlosigkeit zu uns geflohen sind. Krieg und Not, vor denen sie geflohen sind, sind oft das Resultat auch unserer globalisierten Lebensweise in einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung. Wehren wir uns gegen die populistische Stimmungsmache und pauschale Islamfeindlichkeit. Informieren wir uns über die verschiedenen Strömungen innerhalb des Islams und unterscheiden zwischen dem religiösen Islam und der politischen Instrumentalisierung des Islams, vor allem wenn es um die Rechtfertigung von Gewalt geht. Auch unser Christentum hat erst mühsam lernen müssen, mit seiner Heiligen Schrift reflektiert umzugehen.

Nehmen wir besonders die Jugend in ganz Europa in den Blick. Bildung und berufliche Perspektiven für alle sind unverzichtbar, damit die Integration der kommenden Generationen in die Gesellschaft gelingen kann. Nutzen wir die bestehenden Städtepartnerschaften in Europa noch viel mehr, um das Verständnis zwischen den Nationen zu vertiefen. Suchen wir den Gesprächskontakt gerade jetzt, da die Positionen auseinanderdriften. Dann können wir Hoffnungsträger einer konzilsgemäßen Kirche werden, wie sie das Konzilsdokument „Gaudium et Spes“ für den Weg der Kirche in der Welt von heute gewiesen hat.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 04­.06.2016