26.7.2016 - Mittelbayerische

Hotline für abtrünnige Schäfchen

Signal gegen die Austritte: Das Bistum setzt den Versuch der „Offenen Leitung“ fort. Kritiker fordern weitergehende Ansätze.

Von Norbert Lösch, MZ

Regensburg.Auch wenn die Zahl der Kirchenaustritte zuletzt leicht zurückgegangen ist: Das Bistum Regensburg versucht in diesem Sommer bereits zum zweiten Mal, mit Zweiflern und Abtrünnigen ins Gespräch zu kommen. Die „Offene Leitung“ – so der Titel des Projekts – wurde Mitte Juli gestartet und personell sogar verstärkt. Bis Ende August stehen Dekan Johann Ammer und Regionaldekan Manfred Strigl täglich von 9 bis 20 Uhr telefonisch für Menschen zur Verfügung, die ein problematisches Verhältnis zur katholischen Kirche haben.

„Es ist nicht das primäre Ziel, eine bestimmte Rückholquote zu erreichen“, sagt Johann Ammer im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Idee, ein offenes Gesprächsangebot für Menschen zu schaffen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen von der Kirche abwenden wollen oder den Schritt bereits vollzogen haben, stammt von ihm selbst. Ammer ist damit Pionier, denn er ist auch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für Priesterräte in Deutschland und kennt bislang bundesweit kein weiteres Beispiel einer solchen Initiative.

„Immer ein riesiger Verlust“

Den Pfarrer aus dem niederbayerischen Pilsting treibt die Tatsache um, dass alljährlich Tausende von Menschen der Kirche den Rücken kehren. „Jeder, der austritt, ist ein riesiger Verlust“, lautet sein Credo. Nicht, weil der Kirche dadurch Steuereinnahmen verloren gehen, sondern weil der Mensch der Gemeinschaft verloren geht, sagt Ammer. „Ich bin froh um jeden, den ich zur Rückkehr bewegen kann.“

Das sei ihm im Vorjahr, als das Experiment in der Diözese startete, in fünf Fällen auch gelungen: Bereits Ausgetretene traten wieder ein. Angesichts von rund 150 Telefongesprächen, die er – 2015 noch als „Einzelkämpfer“ – geführt hat, ist das aus seiner Sicht keine so schlechte Quote.

Kommentar Unaufhaltsam Die Abkehr vieler Menschen von der Kirche ist unaufhaltsam. Das mag man bedauern – wie es die deutschen Bischöfe regelmäßig tun – oder begrüßen – so wie... von Norbert Lösch, MZ Ammer begegnet den Zweiflern nicht mit missionarischem Eifer, sondern mit Verständnis. „Wir wollen ihnen das klare Signal geben, dass wir für sie ansprechbar sind und offen für das, was sie mit der Kirche hadern lässt.“ Wer anrufe, zeige erst einmal Interesse an einem Austausch. Dass sich dabei auch Kritik entlade, liege in der Natur der Sache, denn das Angebot sei ja gerade für Menschen gedacht, die nicht damit einverstanden sind, wie sie die Kirche persönlich erleben.

„Das reicht vom fehlenden Ansprechpartner vor Ort – Stichwort Priestermangel – bis zur echten Glaubenskrise und der Kritik an der Kirchenpolitik“, berichtet Ammer. Meist gehe es darum, dass die Beziehung zur Kirche gestört ist, um persönliche Betroffenheit also, aber auch um Ärger und Frust. Und: „Die Leute wollen wissen, was wir mit der Kirchensteuer machen.“

Der Dekan klärt auf, bietet Informationen an, vermittelt bei Bedarf weitere Ansprechpartner und Kontakte. Er sieht sich vor allem als Brückenbauer. „Mein Part ist es, weiterzuvermitteln.“ Als Sekretär des Priesterrats in der Diözese ist er auch eng vernetzt mit vielen anderen kirchlichen Stellen und Organisationen, die vielleicht weiterhelfen können.

Dass den vielen Kirchenaustritten auch Wiedereintritte gegenüberstehen, zeigt ein Blick in die Statistik der Stadt Regensburg. Demnach sind im Vorjahr rund 1000 Bürger aus der katholischen Kirche ausgetreten, 235 haben sich ihr aber wieder zugewendet. Unter dem Strich bleibt freilich ein Schwund, der durch andere Faktoren noch verstärkt wird: Es sterben mehr Katholiken als geboren werden, und viele Zugezogene gehören von Haus aus nicht der römisch-katholischen oder gar keiner Kirche an.

„Gott braucht keine Gottesdienste“

Anders als die Amtskirche setzt sich die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ mit dem Phänomen der massenhaften Abkehr auseinander. „Es ist zwar gut, dass sie das machen, das Problem liegt aber viel tiefer“, sagt etwa Sigrid Grabmeier, die Vorsitzende von „Wir sind Kirche“ in der Diözese, zum Telefondienst. Sie sieht die zunehmende Individualisierung und Säkularisierung der Gesellschaft als Hauptursachen für die Entfremdung von der Kirche. Dabei seien viele Menschen auf der Suche nach einer anderen Form von Spiritualität, sagt die Vertreterin der „loyalen Opposition“. Sie wollten nicht nach Ritualen beten, sondern über Kirche, Gesellschaft und Politik diskutieren. „Gott braucht die Gottesdienste nicht“, ist die Kritikerin überzeugt. Auch ihre Organisation erlebt einen Trend zur Abkehr, andererseits aber Zulauf bei Aktivitäten, die sich außerhalb der vorgegebenen Kirchenstrukturen bewegen.

„Offene Leitung“: Dekan Johann Ammer und Regionaldekan Manfred Strigl sind unter den Telefonnummern (0151) 57818237 beziehungsweise (01573) 4878428 zu erreichen.

http://www.mittelbayerische.de/region/regensburg/stadtteile/innenstadt/hotline-fuer-abtruennige-schaefchen-21345-art1408740.html



Kommentar
Unaufhaltsam

Ein Kommentar von Norbert Lösch, MZ

Die Abkehr vieler Menschen von der Kirche ist unaufhaltsam. Das mag man bedauern – wie es die deutschen Bischöfe regelmäßig tun – oder begrüßen – so wie kirchenkritische Kreise, etwa der Bund für Geistesfreiheit. Fakt ist: Die Bindung der Gesellschaft an die beiden großen Glaubensgemeinschaften schwindet dramatisch.

Dass sich in der Oberpfalz jährlich mit rund einem halben Prozent der Gläubigen weniger Menschen von der katholischen Kirche abwenden als in anderen bayerischen Bistümern, ist ein schwacher Trost. Denn in absoluten Zahlen sind es nach wie vor rund 1000 Menschen, die allein in Regensburg austreten. Im gesamten Bistum waren es im Vorjahr mehr als 6600.

Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird sich bis 2020 die Zahl der Katholiken in der Domstadt im Vergleich zu 1950 glatt halbiert haben. Und in wenigen Jahrzehnten wird es die Kirche, wir wie sie heute kennen, so nicht mehr geben.

Dass das Bistum mit der Hotline eine Art „Rückholaktion“ startet, um mit Zweiflern und Abtrünnigen ins Gespräch zu kommen, ist nicht verwunderlich. Es ist zumindest ein aktiver Versuch, Mitglieder zurückzugewinnen. Und es ist deutlich mehr als Bischofsworte, wonach der Glaube stärker sei als jede Krise der Kirche. Das klingt nämlich nach Resignation und Gebetsmühlen.

Dabei erleben nicht nur die Kirchen einen tiefgreifenden Wandel. Regensburg hat mittlerweile zur Hälfte Single-Haushalte und ein buntes Gemisch an Religionszugehörigkeiten. Die Print-Auflagen der Zeitungen schrumpfen ebenso wie die Zahl der Festnetztelefone. Die Facebook-Gruppe ist heute vielen wichtiger als der Sportverein, die Musik, die Gemeinschaft – oder eben die Religiosität. Sinnfragen – worauf die Kirche Antworten zu haben glaubt – werden nicht mehr oft gestellt.

http://www.mittelbayerische.de/region/regensburg-stadt-nachrichten/unaufhaltsam-21179-art1408741.html

Zuletzt geändert am 26­.07.2016