September 2016 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Wotan in der Klosterkirche

Dank schlechten Wetters wurde die Aufführung des „Rheingold“ von der Seebühne im niederbayerischen Aldersbach in die dortige ehemalige Kloster- und heutige Gemeindekirche verlegt. Die Gebrüder Asam hatten 1720 das Innere als Bühnenraum für das große Theatrum sacrum gestaltet, aber an eine Wagneroper konnte damals noch niemand denken. Und doch tritt in dieser atemberaubenden Kirche “Mariae Himmelfahrt“ die gesamte germanische Götterriege an, um am Ende auch noch in Walhall Einzug zu halten. Irritierend?

Nicht ganz. Abgesehen davon, dass es sowohl musikalisch wie auch szenisch eine rundum gelungene Aufführung war, die die Akustik und räumlichen Gegebenheiten bestens nutzte, bekam auch die Kernbotschaft des „Rheingold“ in diesem Umfeld eine besondere Note. Im „Vorabend“ zum „Ring des Nibelungen“ geht es um skrupellose Ausbeutung, gnadenlose Unterwerfung und verantwortungslose Verträge. Nur „wer der Minne Macht entsagt, nur wer der Liebe Lust verjagt“ gewinnt die Kraft, das Rhein-Gold zu einem Ring zu schmieden, der angeblich „maßlose Macht“ und damit die Weltherrschaft verleiht. - Alberich, der Zwerg schwört der Liebe ab, erringt das Gold und schmiedet den Ring – verliert beides an Obergott Wotan, der ihn überlistet und damit seine Schulden bei den beiden Riesen bezahlt, die ihm Walhall, sein Götterheim, gebaut haben. Der eine erschlägt den anderen, um nicht teilen zu müssen. Alberichs Fluch „Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, und wer ihn nicht hat, den nage der Neid! Jeder giere nach seinem Gut, doch keiner geniesse mit Nutzen sein!“ braucht es eigentlich nicht mehr, denn diese Wirkung ist dem Streben nach der Weltherrschaft immanent.

Der „Ring“, uraufgeführt 1876, ist zeitlos aktuell, gewinnt in unseren Tagen, in denen maßlose Machtgeilheit und die Gier nach Weltherrschaft Dauerthema in den Nachrichten sind, minütlich an Brisanz. - Ein Thema, das auch in unseren Kirchen Raum haben muss, nicht zuletzt Papst Franziskus mahnt uns fast täglich, diese Zusammenhänge zu erkennen.

Die Kirche war voll, trotz der vielen zusätzlich geschaffenen Sitzplätze. Ein Umstand, der auch in niederbayerischen Landgemeinden zu den Seltenheiten zählt. Ich finde das ganze nahezu modellhaft. Andere Formen der Inhaltsvermittlung mit christlicher Relevanz in Kirchenräumen, die für das Theater wie geschaffen sind. - Und Gottesdienste? Die leben und feiern wir dann ganz ohne Theater an Plätzen, an denen persönliche Begegnung und Kommunikation möglich sind.

Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche Deutschland

Zuletzt geändert am 30­.09.2016