8.10.2017 - "Kirche+Leben"

Sternberg: Die internen Kämpfe sind vorbei

Artikel über Wir sind Kirche und über den Freckennorster Kreis sowie Interview mit ZdK-Präsident Prof. Thomas Sternberg in der Münsteraner Kirchenzeitung "Kirche+Leben" vom 8. Oktober 2017  
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KIRCHE Thomas Sternberg wünscht sich als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken die Aufnahme
von links- wie rechtskatholischen Gruppierungen ins ZdK. Das betonte Sternberg im Interview mit »Kirche+Leben«.

Nach Angaben von Thomas Sternberg gibt es heute eine »völlig unproblematische Zusammenarbeit« zwischen dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Leitung der linkskatholischen Bewegung »Wir sind Kirche«.

So habe er zum Beispiel ein Grußwort auf ihrer letzten Sitzung gesprochen. »Wissen Sie, die alten Kampfzeiten sind überwunden«, unterstrich der ZdK-Präsident aus Münster im Interview mit »Kirche+Leben«. Viele Forderungen, die »Wir sind Kirche« 1995 im so genannten Kirchenvolksbegehren erhoben habe, seien inzwischen Praxis.

Sternberg erklärte, er wünsche sich, dass das ZdK sowohl »Wir sind Kirche« als auch die eher konservative Bewegung »Freude am Glauben« aufnehmen könne. Dies scheitere aber an der Unwilligkeit von »Freude am Glauben«, sagte der ZdK-Präsident.

Er fügte hinzu: »Das bedauere ich sehr, zumal das den Eindruck erwecken könnte, es handelte sich beim ZdK um etwas Linkes, Revolutionäres oder Kirchenfremdes.« Das Laiengremium sei keine Ausrichtung im Katholizismus, sondern repräsentiere ihn in seiner ganzen Breite.

Nach den Worten von Sternberg gehören der Bewegung »Wir sind Kirche« viele Menschen an, die er gerne als die »kirchlichen Achtundsechziger« bezeichne. Sie hätten die Euphorie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) erlebt und zu Recht einen weit größeren Aufbruch erwartet. Dann seien sie enttäuscht worden. »Sie haben sich zum Teil an der Kirche wundgerieben.«

Er kenne viele katholische Christen, auch ältere, die heute nichts mehr wissen wollten von Kirchendebatten, »weil sie tief verletzt sind und sich zurückgezogen haben«.

Dennoch sei es für diese Menschen nie in Frage gekommen, sich von der Kirche zu trennen. »Ich bedaure, dass manche von ihnen die großen Chancen nicht wahrnehmen können, die jetzt mit Papst Franziskus da sind, der ja viele der Kritik-Themen wie immer anders aufgreift als erwartet.« Und doch sei er »inspirierend« für die Kirche, erklärte Sternberg.

Markus Nolte
 

 

Revoluzzer in Rente?

»WIR SIND KIRCHE« ärgerte als innerkirchliche Opposition die einen und freute die anderen. Rund 20 Jahre nach dem »Kirchenvolksbegehren« sind viele heiße Eisen keine mehr, und die Unterstützer haben weiße Haare. War's das also?

Am Anfang standen 1 845 141 Unterschriften vor allem von Katholiken, die 1995 für ordentlich Wirbel in der katholischen Kirche in Deutschland sorgten. Knapp zwei Millionen Menschen unterstützten das »Kirchenvolksbegehren« und seine fünf Forderungen: Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, volle Gleichberechtigung der Frauen, freie Wahl zwischen zölibatärer und nichtzölibatärer Lebensform, positive Bewertung der Sexualität, Frohbotschaft statt Drohbotschaft.

Initiator der Aktion war Christian Weisner, damals Stadtplaner in Hannover und Mitglied der kirchenkritischen »Initiative Kirche von unten«. Als ein »Kirchenvolksbegehren« in Österreich auf die Beine gestellt wurde, nachdem der Wiener Kardinal Hans Hermann Groer des sexuellen Missbrauchs verdächtigt und die Kirche in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt wurde, sah Weisner die Zeit reif für eine solche Reform-Aktion auch in Deutschland.

Bei aller Zustimmung blies ihm jedoch auch kräftiger Gegenwind ins Gesicht – sogar von Laienverbänden. Neben dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hielten selbst der Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und die »Initiative Kirche von unten« wenig von der Idee. Es fehle die notwendige Spannung, die sich bei den Glaubensgeschwistern in der Alpenrepublik angestaut hatte.

Auch im Bistum Münster stieß das Vorhaben auf Skepsis. Margret Pernhorst, seinerzeit Vorsitzende des Diözesankomitees, sagte damals zu »Kirche+Leben«, auch wenn viele Fragen im Kirchenvolksbegehren »richtig gestellt« seien, erfordere dies dennoch keine neue Aktion. Denn: Im Bistum war ein Jahr zuvor das »Diözesanforum« gestartet, in dem Bistumsleitung und Basis in einem vierjährigen Prozess über ganz ähnliche Themen sprachen. Trotzdem trieb das aufmüpfige Kirchenvolksbegehren viele Gläubige um; »Kirche+Leben« lud zu Diskussionsrunden darüber etwa in der Landvolkshochschule Freckenhorst ein – und der Saal war rappelvoll.

Die Aktion war zugleich die Geburtsstunde der Bewegung »Wir sind Kirche«, die Christian Weisner in Deutschland auf den Weg brachte. Inzwischen ist sie zwar international in mehr als 30 Ländern vertreten, aber heute scheint die Zeit der innerkirchlichen Revoluzzer vorbei. Viele Themen von damals sind entweder erledigt oder in den Reformkatalog etablierter Gremien wie etwa des ZdK übergangen, das sich beispielsweise für den Diakonat der Frauen ausgesprochen hat. Die Deutsche Bischofskonferenz betont immer wieder die Einheit aller Getauften, hat einen »Gesprächsprozess« durchgeführt, bei dem Bischöfe und Laien um die Zukunft der Kirche und die Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit rangen. Und in Rom ist ein Mann aus Lateinamerika an die Spitze gewählt worden, der nicht ohne Grund »Reformpapst« genannt wird.

»Wir sind Kirche« gibt es dennoch nach wie vor. Wenn es eben geht, hält Christian Weisner wie eh und je als kritischer Gegenpart draußen die Stellung, wenn die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz hinter verschlossenen Türen tagt. Aber dass er in den Medien als Gesicht und Stimme einer innerkirchlichen Opposition auftaucht, ist selten geworden.

Trotzdem sieht Weisner weiterhin eine Existenzberechtigung für »Wir sind Kirche«. Im Gespräch mit »Kirche+Le ben« sagt und klagt er: »Die Bischöfe brauchen einen kritischen Dialogpartner. Aber sie sprechen nicht mit uns, wir sprechen über Pressemitteilungen miteinander.« Das ZdK sei bei den Vollversammlungen nicht anwesend, »so ist es unsere Aufgabe, dort Stellung zu beziehen«.

Gleichberechtigt miteinander im Gespräch zu sein, »Synodalität« in der Kirche – das ist heute das große Thema von »Wir sind Kirche«. »Die Dialogbotschaft des Konzils ist bei den Bischöfen bis heute nicht angekommen«, meint Weisner. »Sie bemühen sich mehr um den ja sinnvollen Dialog mit dem Islam als um den Dialog mit ihren eigenen Leuten.«

Fakt ist aber auch: Die Anhänger von »Wir sind Kirche« sind in die Jahre gekommen. Weisner, inzwischen 66 Jahre alt, bekennt freimütig, es werde immer schwieriger, sich womöglich sogar bundesweit zu engagieren, während man voll im Erwerbs- und Familienleben stehe. »Am besten sind junge Pensionierte«, meint er, »aber die wollen dann meistens reisen.«

Wie viele wirklich zu »Wir sind Kirche« gehören, lässt sich schwer sagen. Zwar gibt es einen Verein, der vor allem Spenden sammelt und verwaltet, ihm gehören eher formal ein Dutzend Mitglieder an. Immerhin: »Rund 3000 Menschen spenden regelmäßig, im niedrigen sechsstelligen Bereich«, sagt Weisner.

Er führt Studien an, wonach nur noch 54 Prozent der Katholiken Kontakt zur Kirche hätten, und wiederum zwei Drittel von ihnen sähen sich »auf dem Reformkurs«. »Es gibt unendlich viele Menschen«, sagt Weisner, »die machen die Arbeit von ›Wir sind Kirche‹, ohne sich dazu zu bekennen.« Weisner glaubt, Anhänger auch unter den Bischöfen zu haben. »Die einen sind froh, dass es uns und andere Reformgruppen gibt. Die anderen scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser.« Und er glaubt an einen großen Gewährsmann in Rom, Franziskus. Doch Weisner fürchtet, dass der Papst nicht genug Unterstützung von den Kardinälen und Bischofskonferenzen für seine Reformen hat. »Sie wollen die Krise aussitzen. Darum sind Reformbewegungen wichtiger denn je – natürlich auch mit dem ZdK zusammen.«

Markus Nolte

 

DAS FORDERTE DAS »KIRCHENVOLKSBEGEHREN 1995«

1. Aufbau einer geschwisterlichen Kirche:
> Gleichwertigkeit aller Gläubigen, Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien > Mitsprache und Mitentscheidung der Ortskirchen bei Bischofsernennungen

2. Volle Gleichberechtigung der Frauen:
> Mitsprache und Mitentscheidung in allen kirchlichen Gremien
> Öffnung des ständigen Diakonates für Frauen
> Zugang der Frauen zum Priesteramt

3. Freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform

4. Positive Bewertung der Sexualität als wichtiger Teil des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen:
> Anerkennung der verantworteten Gewissensentscheidung in Fragen der Sexualmoral (zum Beispiel Empfängnisregelung)
> Keine Gleichsetzung von Empfängnisregelung und Abtreibung
> Mehr Menschlichkeit statt pauschaler Verurteilungen (etwa in bezug auf voreheliche Beziehungen oder in der Frage der Homosexualität)
> Anstelle der lähmenden Fixierung auf die Sexualmoral stärkere Betonung anderer wichtiger Themen (zum Beispiel Friede, soziale Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung...)

5. Frohbotschaft statt Drohbotschaft:
> Mehr helfende und ermutigende Begleitung und Solidarität anstelle von angstmachenden und einengenden Normen
> Mehr Verständnis und Versöhnungsbereitschaft im Umgang mit Menschen in schwierigen Situationen, die einen neuen Anfang setzen möchten (etwa wiederverheiratete Geschiedene, verheiratete Priester ohne Amt), anstelle von unbarmherziger Härte und Strenge.

Quelle: »Wir sind Kirche«

 


 

Zuletzt geändert am 13­.11.2017