Februar 2018 – „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“)

Erschütterungen schubweise

Die jetzt durch die „Me Too“-Debatte ausgelöste Erschütterung hat die katholische Kirche bereits seit dem Skandal um den Wiener Kardinal Groer Mitte der 1990er Jahre schubweise durchlebt. Lange, zu lange hat es in der Kirche gedauert, bis das Kartell des Schweigens gebrochen war. Bis nicht mehr vertuscht und nur die Täter versetzt wurden, bis endlich den Betroffenen Glauben geschenkt wurde. Noch im Jahr 2001 verfügte der Vatikan, alles geheim zu halten. Der Oscar-gekrönte Film „Spotlight“ zeigt, wie schwierig die Aufdeckung war, die der Kirche zunächst nicht aus eigener Kraft gelang. In Deutschland war es dann schließlich ein Jesuit, der den Stein ins Rollen brachte. Mit seinem Schritt an die Öffentlichkeit gab Klaus Mertes, der damalige Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, Anfang 2010 den Anstoß, dass das ganze Ausmaß sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung innerhalb des kirchlich-zölibatären Männerbundes offenbar werden konnte.

Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen. Einige der Opfer haben sich das Leben genommen. Für zehntausende Betroffene, die sich auch „Überlebende“ nennen, bedeutet das Erlebte oft lebenslanges Leid. In der katholischen Kirche gibt es mittlerweile Präventionsmaßnamen und Leitlinien. Doch jedem Bischof steht es immer noch frei, wie konsequent er diese anwendet. Und es bedurfte erst der Anweisung aus Rom, dass die Kirchen jetzt mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden kooperieren.

Aber wie auch kirchliche Insider wie der Jesuit Hans Zollner, Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission, konstatieren: In großen Teilen der weltweiten Kirche fehlt es noch immer an der Bereitschaft, sich den Strukturfragen von Gewalt innerhalb des eigenen Systems zu stellen. Der im Vatikan bis zum Sommer 2017 hierfür weltweit zuständige Präfekt der Glaubenskommission, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, hatte bis zuletzt verharmlosend nur von „Einzelfällen“ und von einer Kampagne gegen die Kirche gesprochen.

Einiges wird jetzt in der katholischen Kirche schon getan. Es gibt weltweite Präventionsprogramme und neue Bischöfe werden bei ihrem Einführungskurs in Rom mit Gewaltbetroffenen konfrontiert. Doch dies alles ist noch nicht genug, wie die immer wieder aufgedeckten Fälle deutlich machen. Die Schatten der Vergangenheit sind lang, und das nicht nur in der Kirche. Die jetzigen Vorwürfe beispielsweise gegen Filmproduzenten (Harvey Weinstein), Schauspieler (Kevin Spacey), Dirigenten (James Levine) und Regisseure (Dieter Wedel) zeigen: Auch in anderen geschlossenen Systemen gibt es Missbrauch von Macht, der sich dann auch in Übergriffen und sexualisierter Gewalt äußern kann. Überall bleibt also noch sehr viel zu tun.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

 

erschienen im Februar Heft 2018
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Zuletzt geändert am 03­.02.2018