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Veröffentlicht am 20­.05.2018

20.5.2018 ZDF.de

Die 68er und die Kirche - "Von rigider Sexualmoral befreit"

Die 68er haben ihren rebellischen Geist auch in die Katholische Kirche hineingetragen und damals jungen Gläubigen wesentliche Impulse für ein neues Selbstverständnis gegeben.

"Wir sind jung und frei, die Welt liegt offen vor uns und wir werden sie positiv verändern": Mit diesen Worten beschreibt Magdalene Bußmann das Lebensgefühl, das sie und ihre Kommilitonen teilten, als sie 1967 ihr Theologiestudium in Münster begannen. "Wir wollten eine Kirche, die für soziale Gerechtigkeit in der Welt sorgt, die sich mit den Unterdrückten und Notleidenden identifiziert", sagt die katholische Theologin und Kirchenhistorikerin im heute.de-Gespräch rückblickend.

Junge Katholiken wollen 1968 eine Kirche, die sich politisch einmischt

Sie wollten eine politische Kirche, die sich einmischt und Unrecht beseitigt – und sie fühlten sich durch das Zweite Vatikanische Konzil in Rom (1962-65) bestätigt, in dem der damalige Papst Johannes XXIII. den Aufbruch der Katholischen Kirche in die Moderne vorgegeben hatte. Während konservative Kleriker gegen einen "Verrat" an der Kirche wetterten, waren junge Katholiken wie Magdalene Bußmann begeistert von der "revolutionären Aufbruchsstimmung".

Tatsächlich gab es 1967/68 in einer brodelnden Welt genug zu tun für politische Christen. In einer Zeit, in der sich weltweit Protest erhob gegen den Krieg, den die USA in Vietnam führten. In einer Zeit, in der in Afrika, Asien und Lateinamerika Millionen Kinder an Hunger und bewaffneten Konflikten litten. In einer Zeit, in der sich in Deutschland vor allem junge Menschen für mehr Bürgerrechte einsetzten.

Aufmüpfig und "kackfrech" in die Theologie-Vorlesung

"All das hat uns beschäftigt und daran konnten wir anknüpfen", sagt Bußmann und erinnert sich daran, wie der rebellische Geist der 68er von der Straße in den Hörsaal der Katholisch-Theologischen Fakultät zu Münster eindrang: "Wir gingen als junge Studenten kackfrech in die Vorlesungen und fragten die Professoren, was eigentlich die gesellschaftliche Relevanz dieser Vorlesungen sei."

Bußmann bilanziert, dass die 68er der Kirche in Deutschland drei wesentliche Impulse gegeben hätten: Erstens habe es fortan keine unhinterfragten Autoritäten mehr gegeben. Zweitens hätten sich jüngere Kirchenmitglieder viel stärker als kritische Subjekte verstanden und seien für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eingetreten. Und drittens seien sie von einer "rigiden Sexualmoral befreit worden", so die Kirchenhistorikerin.

Junge Katholiken "lachten sich halbtot" über "Pillen-Enzyklika"

Daran konnte auch ein Vatikanisches "Donnerwetter" in Rom im Juli 1968 nichts Wesentliches ändern. Denn als Papst Paul VI., der Nachfolger des Konzilpapstes, mit seiner Enzyklika "Humanae Vitae" den Gebrauch der Pille verbot, hätten viele junge Katholiken sich nur "halb totlachen" können, erinnert sich Annegret Laakmann von der KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche". Aus Sicht des Papstes dagegen gehörten Sexualität und Fortpflanzung untrennbar zusammen. In der Anti-Baby-Pille, die seit einigen Jahren auf dem Markt war, sah Paul VI. ein Mittel, das in die natürliche Ordnung eingreife und Sexualität unmenschlich und beliebig mache.

"Der hat geglaubt, die Uhren zurückdrehen zu können, aber da haben die Jungen nicht mitgemacht", sagt Laakmann, die damals 24 Jahre alt war. Während des Katholikentags in Essen im September 1968 reagierte das deutsche Kirchenvolk wütend auf die päpstliche "Pillen-Enzyklika". Während der Stellvertreter Christi auf sein von "Gott gegebenes Charisma" pochte und die jungen Wilden per Grußwort abkanzelte, forderten die seinen Rücktritt und skandierten "Der Heilige Geist ist längst verraten von Kirchenbürokraten".

Junge Christen wollten "Fundamentaldemokratisierung" der Kirche

Mit dem Widerspruch der Jungen, die sich die Aufbruchstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht verderben lassen wollten, kam der Papst nicht zurecht, die deutsche Amtskirche aber verhinderte den großen Bruch durch eine zweideutige "Königsteiner Erklärung", aus der jeder, der wollte, herausinterpretieren konnte, dass die Pille auch für Katholiken erlaubt sei.

Doch längst ging es dem Kirchenvolk um mehr. Sie wollten konkret mitbestimmen, wohin es mit "ihrer" Kirche geht. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster spricht von einem Wunsch nach "Fundamentaldemokratisierung", dem auf Seiten der Kirchenhierarchie Angst vor umfassenden Reformen gegenüberstand.

Feministischer Kampf in der Katholischen Kirche

Letztlich sind viele Fragen, die vor 50 Jahren diskutiert wurden, noch immer brandaktuell. Etwa die Frage, wie es denn ist mit der Weihe von Frauen zum Diakon?!

Wie Magdalene Bußmann engagiert sich auch Annegret Laakmann seit Jahrzehnten für die Gleichstellung der Frau in der Katholischen Kirche. Sie sehen ihre Arbeit noch längst nicht beendet. "Jeder Mensch, der sich auf Jesus beruft, sollte zur Priesterweihe zugelassen werden", sagt Laakmann. Trotz des reformorientierten Papstes Franziskus ist die Katholische Kirche diesen Schritt aber noch nicht gegangen. "Es liegt noch viel Arbeit auf einem langen Weg vor uns", glaubt Bußmann, "aber wir bohren das dicke Brett weiter".

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/die-achtundsechziger-und-die-katholische-kirche-100.html

Zuletzt geändert am 21­.05.2018