14.9.2018 - Neue Westfälische

Studie zu Missbrauch ist nur ein erster Schritt

Die Aufarbeitung beginnt, auch wenn noch viele Fragen offenbleiben
Von Friderieke Schulz

Bielefeld/Bonn. Das Thema Missbrauch belastet die katholische Kirche seit vielen Jahren enorm – eine Studie, die die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in Auftrag gegeben hat, hat die Situation in Deutschland aufgearbeitet und dabei teilweise Erschütterndes festgestellt. Präsentiert wird die Studie erst am 25. September, dann will auch das Erzbistum Paderborn sprechen. Doch bereits jetzt sind Einzelheitendaraus bekannt geworden.

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen soll der Studie zufolge in der Vergangenheit weit verbreitet gewesen sein und es könne angenommen werden, dass der Missbrauch weiterhin andauere. Zwischen1946 und 2014 soll es 3.677 sexuelle Vergehen durch 1.670 Kleriker gegeben haben. Überwiegend seien männliche Minderjährige zum Opfer geworden.

„Leider muss man bezweifeln, ob die katholische Kirche sich über das Ausmaß und die Rahmenbedingungen des sexuellen Missbrauchs bewusst ist“, sagt Manfred Dümmer, Sprecher der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ im Erzbistum Paderborn. Er sieht die Strukturen und insbesondere den Sonderstatus der Kleriker als einen zentralen Punkt, der den Missbrauch möglich machte.

Dass eine Aufarbeitung stattfindet, befürwortet Dümmer, zweifelt allerdings offen an den Rahmenbedingungen dafür. Die bemängelt auch Heiner Keupp, Mitglied der unabhängigen Kommission, die die Studie auswertet. Zur vollständigen Aufarbeitung sei ein voller Zugriff auf die Archive der Diözesen notwendig gewesen, doch den habe es nicht gegeben. „Das ganze Thema an sich ist schon ungeheuerlich. Aber wie man damit umgeht,
Dokumente vertuscht oder vielleicht sogar ganzeAktenbeseitigt, ist unbegreiflich“, sagt Dümmer.

Grund dafür sei die Kirchenhierarchie, die laut der Kirchenvolksbewegung dringend überarbeitet werden müsse. Auch der Sozialpsychologe
Keupp erklärt, Anhörungen von Opfern hätten gezeigt, dass sie sich innerhalb der Kirchenhierarchie als Bittsteller empfänden. Der Wissenschaftler und Dümmer plädieren für eine kirchenunabhängige Anlaufstelle.

Keupp kritisiert auch explizit die Rolle der evangelischen Kirche, die sich bisher keineswegs den Fragen von sexuellem Missbrauch gestellt habe. „Die Evangelische Kirche von Westfalen ist sich bewusst, dass eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch die Gegenwart unbedingt geboten ist“, sagt Bernd Tiggemann vom Landeskirchenamt. Neue Systeme für Prävention, Intervention und Aufarbeitung würden geschaffen – dazu gehöre auch eine zentrale und unabhängige Anlaufstelle für Betroffene, wie Dümmer und Keupp sie fordern. Für den Diplom-Sozialpädagogen Johannes Heibel mangelt es hingegen an einer staatlichen Stelle für Aufklärung, Opferschutz und Prävention: „Es gibt bis heute kein Amt, keine Behörde, die sich umfassend um die Belange der Opfer kümmert.“

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche könne in allen Lebens- und Arbeitsbezügen vorkommen, also auch in der Kirche.„Wirwissen, dass wir innerhalb der evangelischen Kirche viele Bereiche haben, in denen intensivmit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird. Deshalb ist es uns besonders wichtig, aufmerksam hinzuschauen und konsequent zu handeln“, sagt Vizepräsident Ulf Schlüter. Das Erzbistum Paderborn wollte sich aktuell nicht äußern.

https://www.nw.de/nachrichten/regionale_politik/22242934_Studie-zu-Missbrauch-in-der-katholischen-Kirche-nur-ein-erster-Schritt.html

Zuletzt geändert am 20­.09.2018