Offen für Reformen?

Katholische Kirche im Umbruch: Debatte um Rolle der Ehrenamtlichen, Zölibat und neue Projekte

Von Stefan Biestmann
B i e l e f e l d (WB). Priestermangel,
die Debatte um Missbrauchsfälle,
weniger Menschen
in den Gottesdiensten – die katholische
Kirche hat viele Baustellen.
Hinzu kommt die Neustrukturierung
der Pfarrbezirke.
Auch innerkirchliche Kritiker
aus Bielefeld fordern mehr Mut
zu Reformen und eine Abschaffung
des Zölibats. Sie meinen,
dass Ehrenamtliche von der Kirche
nicht ernst genug genommen
würden.
Der Bielefelder Katholik Dr. Manfred
Dümmer gehört zu den Menschen,
die die Entwicklungen der
Kirche kritisch begleiten. Er ist
Sprecher der Reformgruppe »Wir
sind Kirche« im Erzbistum Paderborn.
Mindestens etwa 100 Personen
und Gruppen zählt er zu seinen
Mitstreitern – »darunter ein
Viertel aus Bielefeld«. Die Kritiker
treten regelmäßig bei größeren Kirchentreffen
auf, um ihre Forderungen
zu artikulieren.
Dümmer ist bekannt dafür, dass
er den Finger in die Wunde legt.
»Die katholische Kirche hat immer
mehr an Glaubwürdigkeit verloren
«, moniert er. Schon vor Jahrzehnten
angekündigte Reformen
seien nicht erfolgt. Zudem könne
die Abschaffung des Pflichtzölibats
und eine Weihe von Frauen zu
Priesterinnen Probleme wie den
Priestermangel lösen, glaubt er.

Auch Klaus Fussy, Dechant des
Dekanates Bielefeld-Lippe, bekommt
die Folgen des Priestermangels
immer wieder zu spüren.
Ständig muss das Dekanat improvisieren,
wenn frei gewordene Stellen
nicht zeitnah oder gar nicht besetzt
werden können. Jüngstes Beispiel
ist der Abgang von Pfarrer
Dr. Dr. Markus Jacobs. Viele Jahre
wirkte er in der Gemeinde Heilig
Geist in Dornberg, aber wechselte
dann als Pastoralverbundsleiter in
den Kreis Lippe. Seine Stelle konnte
nicht »eins zu eins« ersetzt werden.
Klaus Fussy gehört zu den kirchlichen
Amtsträgern, die Reformen
offen gegenüber stehen – sogar
einer Abschaffung des Zölibats.
»Ich glaube, das wäre eine Bereicherung
«, sagt Fussy. »Aber ich
kann mir nicht vorstellen, dass das
in nächster Zeit kommt.«
Umso wichtiger sind für ihn die
Ehrenamtlichen als Stütze der Gemeinden.
»Gerade in einer Diaspora
wie in Bielefeld ist das Engagement
der Ehrenamtlichen besonders
lebendig«, lobt Fussy. Es sind
auch jüngere Christen, die sich engagieren.
Fussy nennt als Beispiel
die Katholische Junge Gemeinde
(KJG) Ummeln. Einige der Mitglieder
hatten Anfang 2014 in Rom
einen weltweit beachteten Auftritt.
Sie waren Messdiener in dem von
Papst Franziskus geleiteten Neujahrsgottesdienst.
Die Kirche ist auf
solche jungen engagierten Menschen
angewiesen, um für die Zukunft
gewappnet zu sein.
Doch fördert die Kirche die Ehrenamtlichen
ausreichend? Dümmer
bezweifelt das: »Viele Laien
haben den Eindruck, dass sie von

der Kirchenhierarchie nicht ernst
genommen werden.« Die Gemeinden
seien zu stark auf den Priester
zentriert. Dümmer fordert eine
»Willkommenskultur« für Ehrenamtliche
und mehr Laienverantwortung.
Laien sollten mehr Auf-

gaben von Priestern übernehmen –
und mehr mitbestimmen dürfen.

Klaus Fussy hält kurz inne, als er
mit Dümmers Aussagen konfrontiert
wird. »Wir sind bereits im Umbruch.
Ehrenamtliche übernehmen
jetzt schon viel mehr Verantwortung
als früher.« Und das an sehr
prominenter Stelle: »Wir sind jetzt
dabei, Formate zu entwickeln, so
dass Ehrenamtliche Wortgottesdienste
ohne Eucharistiefeier leiten.
« Dies sei im Bielefelder Süden
sogar schon der Fall. Ein Gottesdienst
ohne Priester – früher unvorstellbar,
heute als Vorbote einer
neuen Zeitrechnung in der katholischen
Kirche?
Auch die neue Struktur der Pastoralverbünde
(siehe Extra-Text)
läutet eine neue Ära ein. An den
Pastoralvereinbarungen wirkten
viele Ehrenamtliche mit. Sie machten
Vorschläge, welche Akzente in
den Gemeinden gesetzt werden
sollen. »Daran zeigt sich doch, dass
Ehrenamtliche sich heute viel
mehr einbringen und mehr mitbestimmen
können«, sagt Fussy.
Er weiß auch, dass die neuen
Pastoralverbünde, die sich über
mehrere Stadtbezirke erstrecken,
von den Geistlichen viel abverlangen.
Pfarrer mussten sich gerade in
der Anfangsphase oft mit Organisationsfragen
beschäftigen – was
auf Kosten der Seelsorge ging.
Deswegen fordert Manfred
Dümmer auch: »Seelsorge-Mitarbeiter
müssen durch entsprechende
Fachkräfte von der Verwaltungsarbeit
befreit werden.«
Das
Dilemma sei im Erzbistum erkannt
worden, sagt Fussy. Die Pfarrer
werden künftig von Verwaltungskräften
entlastet. Gerade die Seelsorge
spiele in der heutigen Zeit
eine große Rolle. Denn es gebe viele
Menschen, die nach dem Sinn
des Lebens suchen, von Schicksalsschlägen
getroffen wurden oder
von Zukunftsängsten geplagt werden.
»Wir brauchen neben klassischen
Angeboten neue Zugangswege,
um noch mehr Teile der Gesellschaft
zu erreichen«, sagt Fussy.
Immer häufiger sind diese »Zugangswege
« außerhalb der Kirchenmauern.
Das City-Kloster ist
so ein Beispiel, das unter anderem
mit einer Kirchenbank in der Fußgängerzone
und einem Klosterladen
Präsenz zeigt. »Das hat sich
etabliert. Hier finden Suchende
und Fragende Raum«, sagt Fussy.
Der Erfolg lasse sich belegen: Es
gab einige Erwachsenentaufen und
Wiedereintritte in die Kirche. Auch
die Initiative »Gast & Haus« in
Schildesche ist ein Reformprojekt –
mit Gottesdiensten an ungewöhnlichen
Orten wie in Autohäusern
oder im WESTFALEN-BLATTDruckzentrum.
Nicht zu vergessen
ist die Laienbewegung Sant’ Egidio:
Ehrenamtliche suchen Orte wie die
Tüte oder den Hauptbahnhof auf
und helfen in Not geratenen Obdachlosen.
Rausgehen zu den Armen
– eine Initiative ganz im Geiste
von Papst Franziskus.
Die neuen Projekte der Kirche
gefallen auch Dümmer: »Wir leben
in einer Zeit, in der es wichtig ist,
auch zu experimentieren. Die genannten
neuen Wege sind uneingeschränkt
zu begrüßen.«
Wenn also
selbst die Kritiker applaudieren,
hat die Kirche zumindest hier offenbar
einen Nerv getroffen.
Aber viele Baustellen bleiben –
und ohne weitere Reformen werden
die Herkules-Aufgaben nicht
zu meistern sein. Und fest steht:
Die Ehrenamtlichen werden künftig
eine noch größere Rolle spielen.

 

 

 

Zuletzt geändert am 03­.12.2018