13.3.2019 - Augsburger Allgemeine

Bischöfe enttäuschen die Missbrauchsopfer

Der Druck auf die katholische Kirche nimmt weiter zu. Am Mittwoch wird bekannt: Der bislang ranghöchste Geistliche, Kardinal Pell, muss sechs Jahre in Haft.

Der australische Kardinal George Pell ist zu sechs Jahren Haft wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden. Ein Gericht in Melbourne hat am Mittwoch dieses Strafmaß gegen den ehemaligen Finanzchef des Vatikans verkündet – und damit eine historische Entscheidung getroffen.

Der 77-jährige Pell ist der ranghöchste Geistliche der katholischen Kirche, der wegen Fällen sexueller Gewalt verurteilt wurde. Pell will in Berufung gehen. Das Urteil setzt die katholische Weltkirche noch stärker unter Druck, entschiedener gegen Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen vorzugehen. Diesen Druck spüren auch die deutschen Bischöfe, die sich gerade im niedersächsischen Lingen zu ihrer Frühjahrsvollversammlung treffen.

Opfer wollen höhere Entschädigung

Am Mittwoch berichtete der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, über den Stand der Aufarbeitung. Opfervertreter und engagierte katholische Laien empfanden seine Ausführungen als herbe Enttäuschung, manche reagierten verärgert.

Christian Weisner von der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ sagte unserer Redaktion: „Die Bischöfe machen immer nur Ankündigungen, konkreter werden sie nicht.“ Ein gemeinsames Konzept der Bischöfe im Umgang mit sexualisierter Gewalt könne er nach wie vor nicht erkennen.

Auch dass Opfer künftig „angemessen“ – das heißt mit wesentlich höheren Beträgen – entschädigt werden, wie das unter anderem die Opferinitiative „Eckiger Tisch“ seit langem fordert, war am Mittwoch kein Thema. Auf Nachfrage sagte Ackermann dazu bei einer Pressekonferenz: „Dieses System der Anerkennung von erlittenem Unrecht steht in der Öffentlichkeit schlechter da, als es ist.“ Bislang erhalten Missbrauchsopfer auf Antrag „Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids“ in einer Höhe von in der Regel bis zu 5000 Euro.

Ackermann erklärte, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben werden solle, das „die Akzeptanz bei Betroffenen“ prüft. Dies gehe auf eine Idee des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zurück. In engem Kontakt mit diesem solle auch ein „Leitfaden“ für die unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in den Diözesen erarbeitet werden.

Wie viele Missbrauchsopfer der Kirchen gibt es in Deutschland?

An diesem Donnerstag will sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zu den „übergreifenden Themen“ wie dem Zölibat äußern, der Forschern zufolge sexuellen Missbrauch begünstigen könne. Möglicherweise sagt er auch etwas zur Priesterweihe für Frauen. Diese fordert der frühere Münsteraner Pfarrer Thomas Frings im Gespräch mit unserer Redaktion. Frings war vor drei Jahren in den Schlagzeilen, weil er, ernüchtert vom Zustand der katholischen Kirche, nicht mehr Pfarrer sein wollte.

Am Mittwoch ist sein bereits viel diskutiertes neues Buch „Gott funktioniert nicht“ erschienen. Das Problem des sexuellen Missbrauchs habe mit Machtmissbrauch zu tun, sagt er. Und der wiederum mit den Strukturen der Kirche. „Solange wir an diesem männerbündischen System nichts ändern, wird sich nichts ändern.“

Wie groß das Problem des Missbrauchs Minderjähriger in der Kirche ist, beleuchtet eine aktuelle Studie des Uniklinikums Ulm. Darin kommt Jörg M. Fegert, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zu dem Schluss, dass in der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland schätzungsweise jeweils von 114.000 Missbrauchsopfern auszugehen sei.

https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Bischoefe-enttaeuschen-die-Missbrauchsopfer-id53774481.html

Zuletzt geändert am 13­.03.2019