Zugleich betonte Weisner, derartige Regeln zum Umgang mit Missbrauch seien lange überfällig gewesen: "Wenn das Schreiben direkt am Ende des Anti-Missbrauchsgipfels im Februar veröffentlicht worden wäre, wäre der Erfolg des Gipfels sofort sichtbar geworden."

Das internationale Netzwerk von Missbrauchsopfern "Ending Clergy Abuse" (ECA) äußerte sich hingegen kritisch. Das neue Gesetz bringe "offenbar keine wesentlichen oder bedeutenden Änderungen" und immer noch zu wenige Konsequenzen für Bischöfe, die Missbrauch vertuschen, hieß es in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung.

Weiterhin keine Meldepflicht

Konkret bemängelt der Verband drei Punkte: Es gebe erstens weiterhin keine Meldepflicht für sexuellen Missbrauch durch Priester und Bischöfe gegenüber den Zivilbehörden. Zweitens bleibe der Prozess der Meldung, Untersuchung und Feststellung eines Falls weiter geheim und unter vollständiger Kontrolle des Ortsbischofs. Und drittens fehle immer noch ein echtes "Null-Toleranz-Gesetz" gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche. Dieses müsse eindeutig festlegen, dass jeder Priester, der zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur eine sexuelle Missbrauchstat begangen habe, für immer vom Priesteramt ausgeschlossen werde.

Auch dem deutschen Opferverband "Eckiger Tisch" gehen die Regeln hingegen nicht weit genug. Sprecher Matthias Katsch bezeichnete im Radioprogramm SWR Aktuell das neue Gesetz zwar als guten Schritt. Es fehle aber die verbindliche Vorgabe, dass Fälle sexuellen Missbrauchs an Behörden gemeldet werden müssten.

  Papst Franziskus selbst ist der Ansicht, dass die Serie des Kindesmissbrauchs durch Geistliche nicht "von einem Tag auf den anderen" gelöst werden könne. "Wir haben einen Weg begonnen", sagte der Pontifex bei einer Audienz mit circa 900 Ordensschwestern. Kindesmissbrauch sei ein Verbrechen, über das man in den vergangenen Jahren mehr Bewusstsein errungen habe, und dies "mit viel Schande". "Das ist ein Weg, den wir Schritt für Schritt zur Lösung des Problems weiter gehen müssen", sagte der Papst.

Der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Regierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sprach auf Anfrage von einer weiteren wichtigen Maßnahme zur Bekämpfung von sexueller Gewalt sowie von Leugnung und Vertuschung. Für die Weltkirche gebe es nun "begrüßenswerte Standards". Zugleich äußerte er Verständnis dafür, dass es nicht automatisch eine Meldepflicht an staatliche Behörden gebe. Die Leitlinien gälten für die Weltkirche, gab Rörig zu bedenken. Und nicht in allen Ländern der Welt gebe es rechtsstaatliche Standards. Er betonte, dass die Regelungen des Papstes die Meldepflichten, die etwa die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz vorsähen, nicht aushebelten.

Bischofskonferenz begrüßt Maßnahmen

Für die Deutsche Bischofskonferenz begrüßte deren Missbrauchsbeauftragter Stephan Ackermann die neuen Regelungen. Unter anderem lobte der Trierer Bischof, dass die neuen Normen weiter gingen als bisherige Straftatbestände des kirchlichen Rechts - sowohl bei den Beschuldigten als auch im Blick auf die Opfer.

Papst Franziskus hat die Kirchenrechtsnormen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche drastisch verschärft. Das am Donnerstag veröffentlichte kirchliche Gesetz sieht neue Verfahrensweisen für die Strafanzeige vor und führt eine weltweite Anzeigepflicht ein. Erstmals regelt es die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Zudem müssen alle Diözesen bis spätestens Juni 2020 ein leicht zugängliches Meldesystem für Anzeigen einrichten. Das sogenannte Motu Proprio trägt den Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt). Die neuen Normen gelten zunächst für drei Jahre und treten am 1. Juni in Kraft. (apa)

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/2008686-Missbrauchsopfer-ueben-Kritik-an-Papst-Franziskus.html