November 2019 - Kirche In

Erneuerung aus der Peripherie?

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Vom 6. bis 27. Oktober 2019 fand im Vatikan die Pan-Amazonien-Synode „Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“ statt, die weltweit Hoffnung weckte. Dabei ging es nicht nur um ökologische und soziale Fragen, sondern auch um eine inkulturierte Kirchenstruktur. Zwei Österreicher spielen dabei eine besondere Rolle. Wenige Tage vor Abschluss der Synode hat Christian Weisner Bilanz gezogen.

Schon mit der Ankündigung der Synode hatte Papst Franziskus das Amazonas-Gebiet mit all seinen Facetten ins Blickfeld der Kirche und der Weltöffentlichkeit gerückt. Noch nie waren die indigenen Völker Amazoniens so sehr bedroht wie heute. Die verheerenden Waldbrände in der „grünen Lunge“ der Erde in diesem Sommer machten unmissverständlich klar: Hier geht es um die Zukunft des Planeten. Deshalb tagte die Synode nicht in der Amazonasregion, die sich über neun Länder erstreckt, sondern in Rom.

Schrei nach Gerechtigkeit

Zentrale Themen der 185 „Synodenväter“ und insgesamt etwa 210 Teilnehmenden waren die Zerstörung der Natur, die Vernichtung des Regenwalds, die Gefährdung des Weltklimas, der Raubbau an Bodenschätzen, die Belastung der Flüsse durch nicht-nachhaltige Bergbauprojekte und vor allem die Folgen für Leben und Gesundheit der Menschen. Wie in der Enzyklika Laudato si’ von 2015 ging es sehr konkret um das vielfach bedrohte „gemeinsame Haus“, die Verbindung der ökologischen und sozialen Fragen. Thematisiert wurden auch die dahinterstehenden globalen Wirtschaftsinteressen und Handelsverflechtungen, einschließlich der Beteiligung der großen Industrieländer. Das Leid der Menschen und der Schöpfung in der Amazonas-Region seien Folgen einer imperialistischen Lebensweise. Sind unsere Kelche aus Gold, dessen Abbau am Amazonas die Flüsse verseucht? Auch die vielen Formen von Gewalt, Vertreibung, Migration, Menschenhandel, Drogen kamen zur Sprache. „Wir schreien und hoffen, dass unser Ruf gehört wird“, so die Vertreter indigener Organisationen. Und sie appellierten eindringlich: „Kirche, steh an unserer Seite, um unser Land, unseren Lebensraum und unsere Rechte zu verteidigen“.

Bereits im Vorbereitungsdokument „Instrumentum laboris“ der Synode sieht Willi Knecht, deutscher Befreiungstheologe mit pastoraler Erfahrung in der Diözese Cajamarca (Peru), eine Abkehr von einer eurozentristischen römischen Kirche hin zu einer Kirche, die sich „von den Rändern“, den Ausgrenzten, her definiert. Indigene Völker werden erstmals als Subjekte und nicht nur als pastorale Objekte gesehen. Ihre tausendjährigen Erfahrungen im solidarischen Leben in Gemeinschaft und ihr Verhältnis zur Schöpfung – „alles ist mit allem verbunden“ – sind Bereicherung und Hilfe, das Evangelium neu zu verstehen lernen. Ihr Schrei nach Gerechtigkeit ist das Wort Gottes an uns heute – DAS Zeichen der Zeit.

Neue Wege der Seelsorge

Dies alles braucht grundlegend veränderte Strukturen in der Kirche und in der Seelsorge in der riesigen und schwer zugänglichen Amazonasregion. Vor allem in den Sprachgruppen wurden in der von Papst Franziskus gewünschten Offenheit die Weihe verheirateter Familienväter, die Übertragung von Leitungsaufgaben an Laien und neue Ämter für Frauen diskutiert. Angesichts der stark aus dem Ausland unterstützten evangelikalen Freikirchen müsse die katholische Kirche in den entlegenen Gebieten Amazoniens präsenter sein. Die Gläubigen sehnten sich nach einer Präsenz-Seelsorge – und nicht nach einer Besuchs-Seelsorge. Für „viri probati“ spräche, dass in dieser Kultur ein Mann nur mit einer Frau und einer Familie auch Autorität habe.

Die Frauenfrage

Während einige zur Frauenfrage lieber eine eigene Synode hätten, plädierten andere dafür, schon jetzt auf Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils das Diakonatsamt für Frauen zu öffnen. Dies forderten auch mehrere Bischöfe. Wieder andere warnten vor einer Klerikalisierung von Frauen, die mit einer Weihe einhergehen könnte. Grundsätzlich komme es dem indigenem Denken besser entgegen, im Team aus Frauen und Männern zu arbeiten, statt mit einer Einzelperson an die Spitze.

Die bereits bei der Jugendsynode 2018 geäußerte Forderung nach einem Stimmrecht für weibliche Synodenteilnehmende wurde auch dieses Mal wieder erhoben. Mit dem Slogan „Vote for Catholic Women“ forderten Future Church und Voice of Faith zusammen mit Ordensfrauen, die Synodenordnung zu ändern. Dem haben sich jetzt auch Bischöfe angeschlossen und einen Antrag in die Synode eingebracht.

Amazonisch-katholischer Ritus?

Um die christliche Botschaft wie auch die katholische Liturgie in die Kultur Amazoniens zu integrieren, wurde mehrfach eine stärkere Aufnahme indigener Traditionen in Liturgie, Seelsorge und Leitungsformen angeregt. Der Leiter der Vatikanbehörde für Neuevangelisierung, Erzbischof Fisichella, schlug eine Art amazonisch-katholischen Ritus vor, der eine „Kirche mit amazonischem Antlitz sichtbar und spürbar“ mache. Ein solcher Ritus beträfe nicht nur die Form der Eucharistiefeier und andere Gottesdienstformen. Er könnte – wie bei den mit Rom unierten Ostkirchen – ein eigenes Kirchenrecht, eigene Dienste und deren Zugangsvoraussetzungen beinhalten, etwa verheiratete Priester.

Ein neuer Katakombenpakt

54 Jahre nach dem ersten Katakombenpakt haben während der Synode mehr als 40 Bischöfe aus dem Amazonasgebiet am selben Ort, in der römischen Domitilla-Katakombe, einen „Pakt für das gemeinsame Haus“ geschlossen. Darin verpflichten sie sich zu einer ganzheitlichen Ökologie, einer respektvollen Verkündigung des Evangeliums und einem einfachen Lebensstil. Sie erneuern ihre „vorrangige Option für die Armen, vor allem unter den Indigenen“ und bekennen sich zur Ökumene und einer synodalen Kirche. Insbesondere der vielfältige Einsatz und Dienst von Frauen, die Gemeinschaften in Amazonien leiten, müsse anerkannt werden. Das Recht der Gemeinden auf den Tisch des Wortes und den Tisch der Eucharistie soll verwirklicht werden. Als Anerkennung seines Einsatzes für die Menschen im Amazonasgebiet bekam der frühere Bischof von Xingu/Brasilien, der aus Österreich stammende Erwin Kräutler, eine Stola des verstorbenen Erzbischofs Helder Camara um den Hals gelegt.

Herausforderung für den Papst

Schon vor Beginn der Synode hatte es schwere Kontroversen um deren Inhalte gegeben bis hin zum Häresie-Vorwurf. Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Brandmüller hatte erklärt, wenn der Zölibat falle, dann sei auch die Kirche am Ende. Der frühere Glaubenspräfekt Kardinal Müller hatte die im Vorbereitungsdokument der Synode angeregte „indigene Theologie“ und die „Ökotheologie“ als „Kopfgeburt von Sozialromantikern“ bezeichnet. Doch wie Papst Franziskus warb auch Kardinal Hummes, Generalrelator der Synode, dafür, keine Angst vor Veränderungen zu haben: „Wir gehen sicher nicht auf die Synode, um zu wiederholen, was schon gesagt ist, so wichtig, schön und theologisch tief es sein möge.“

Ob das Abschlussdokument, an dem auch der Wiener Kardinal und Papstvertraute Christoph Schönborn mitwirkte und über das die Synodalen am Ende abzustimmen hatten, veröffentlicht wurde, lag in der Entscheidung des Papstes. Mit noch größerer Spannung wird jetzt sein nachsynodales Schreiben erwartet. Denn wie bei dem bald in Deutschland beginnenden Synodalen Weg geht es um die Grundfrage, kirchliche Wege und Antworten auf die Situationen in der jeweiligen Kultur zu suchen. Cristy Orzechowski, fast 30 Jahre Laien-Missionarin in den Hoch-Anden Perus, ist überzeugt: „Egal wie die Synode in Rom ausgeht. Die dort erlebte und praktizierte Spiritualität der indigenen Völker wird die Weltkirche von den Rändern verändern und hat auch den deutschen Synodalen Weg längst überholt. Der Fluss des Lebens ist nicht mehr aufzuhalten.“

kirche-in.at

 

Zuletzt geƤndert am 24­.06.2020