Mai 2020 – „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“)

Stream-Gottesdienst

Er begann mit Orgelspiel, begleitet von einer Violine, die Kamera blendete vom Taufstein zum Altar. Dann spielte die Violinstimme multipliziert gegen sich selbst – Störung - dann ein Störungsbild.

Nach einer kleinen Weile sah ich den Priester in weißem Hemd und kleiner Stola vor einer Bücherwand, auf dem Tisch Kerzen, Blumen, auf einem Teller eine Scheibe Brot, ein Glas mit Wein, eine Bibel. „Guten Morgen, liebe Gemeinde. Wir erleben zur Zeit eine große Störung. Nichts läuft mehr so wie bisher, alles ist anders. Besondere Zeiten brauchen besondere Formen und Ausdrucksweisen. So wie sie jetzt zuhause an ihrem PC sitzen, so sitze auch ich vor meinem PC. Im Gemeindeblatt  habe ich sie gebeten für den Gottesdienst ebenfalls etwas Brot und Wein – oder Saft oder Wasser bereit zu stellen. - Warum sitze ich hier, im Pfarrhaus, und stehe nicht am Altar, drüben in der Kirche?  Ich bin in der gleichen Situation wie sie, wie ihr, liebe Geschwister. So wie andere im Home Office arbeiten, will auch ich von zuhause aus mit ihnen in feiern. Wir können in dieser Zeit ganz neu über uns als Gemeinde, als Kirche nachdenken.

Vor kurzem habe ich gelesen, dass ein Kalif im 11. Jahrhundert in Ägypten für 9 Jahre alle Kirchen schließen ließ. Einmal kam er durch die Straßen der Christen. Aus jedem Haus hörte er sie beten und Gott loben. Da befahl er: `Öffnet die Kirchen wieder und lasst die Christen beten wie sie wollen. Ich wollte in jeder Straße eine Kirche schließen, doch nun muss ich feststellen, dass ich eine neue Kirche in jedem Haus eröffnet habe.´ So wie die Christen damals können auch wir heute in der Zerstreuung, in der Diaspora Gemeinde und Kirche sein. Und das nicht nur, indem wir beten und Gott loben. Viele übernehmen soziale Verantwortung, indem sie für andere einkaufen gehen, Masken nähen oder in ihrem beruflichen Alltag für andere Menschen da sind. Das ist Nächstenliebe, das ist Menschendienst.“  –

In der Mahlfeier sprach er in etwa Folgendes: „Wir danken Dir Gott für diese Gaben. Wie das Brot aus vielen Körnern gebacken, der Wein aus vielen Trauben gewonnen und das Wasser aus vielen Quellen zu uns kommt, so sind wir vereint untereinander und mit dir. Stärke uns und erfrische uns, lass Freude und Dankbarkeit unser Herz erfüllen.“

Nein, es war natürlich nicht so. - Nach dem Störungsbild kam die Einblendung: „Wegen Tonschwierigkeiten beginnt der Stream erst 30 Minuten später.“ - Was dann folgte, war ernüchternd: Klerikale Gymnastik in voller Montur hinter dem Altar, ein ungeteiltes Mahl, ein Segen der nicht strömte.

Sigrid Grabmeier

 

 

Zuletzt geändert am 21­.04.2020