September 2020 - „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“)

Zeltstadt statt Prachtbau

Vor hundertfünfzig Jahren wurde während des ersten vatikanischen Konzils das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes verkündet, der damit ebenso das Jurisdiktionsprimat und das oberste Lehramt in der Kirche bekam. Darüber sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf:

 „Der Jurisdiktionsprimat erweist sich in der Tat als viel wirkmächtiger als die Unfehlbarkeit, weil er bis heute praktisch tagtäglich ausgeübt wird. Seit 1870 ist die katholische Kirche endgültig zur Papstkirche geworden.  Der Dogmatiker Peter Neuner äußert sich über die neue starke Stellung des Papstes in der katholischen Kirche: „Alles, was vom Papst kam, eventuell auch alles, was von römischen Dikasterien, von der römischen Kurie kam, wurde mit einer Aura der Unüberbietbarkeit, der Hingabe eines religiösen Gehorsams verbunden, und das machte die Diskussion oft sehr schwierig. Auch in der Theologie war es dann die römisch vorgegebene Richtlinie: Was vom römischen Lehramt entschieden ist, ist nicht mehr der Diskussion anheimgegeben, sondern das ist durch Autorität, durch göttliche Autorität letztlich bekräftigt und bestätigt.“

Damit hat  Pius IX.  das Papstamt und die kirchliche Struktur völlig neu aufgestellt und zu einer absolutistischen Wahlmonarchie gemacht. Kein Papst vor ihm war mit einer derartigen Machtfülle ausgestattet.

Die Kirche leidet immer noch unter den Folgen und ist nicht in der Lage, sich von den Fesseln, die dieses Allmachtsdenken hervorgebracht hat, zu befreien, aus- und aufzubrechen, sich neu zu er - finden. Auch wenn unter dem jetzigen Papst die Glaubenskongregation eine geringere Rolle spielt, so ist sie immer noch der Organisation gewordene Anspruch auf das „Ordentliche Lehramt“. Immer noch ist der Papst, wie im übrigen auch die Bischöfe für ihre Bereiche, Gesetzgeber, Richter und Exekutor in einer Person. Immer noch steht der Machterhalt des Klerus ganz oben auf der Agenda.

Vor kurzem fragte mich eine junge Frau, wie ich mir die Zukunft der Kirche vorstelle. Ich meinte, sie würde so langsam aber sicher zerfallen. Am Schluss stünde da eine Ruine und die Menschen, die  sich noch verbunden fühlen, würden die Teile, die sie noch für verwendbar halten, raussuchen und die, mit denen sie nichts mehr anfangen können, liegen lassen. -

Und, wie wird sie dann aussehen?  - Eine Zeltstadt, kein Prachtbau mehr, flexibel, mobil, bescheiden. - Was müsste passieren, dass Kirche noch eine Chance hätte? - Die Diakonie steht an erster Stelle, nicht die Liturgie. Sie wird sich ihrer eigenen inneren Stärke bewusst und nicht versuchen mit äußerer Pracht und Ansehen ihre Positionen durchzusetzen. Sie lernt, glaubwürdig die Menschenfreundlichkeit Gottes in der Welt zu repräsentieren.

Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

 

Zuletzt geändert am 14­.10.2020