Februar 2021 – „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“)

Pandemie Machtmissbrauch

Der jetzt hoffentlich überstandene Machtwechsel in den „Zerspaltenen Staaten von Amerika“ hat uns vor Augen geführt, was ungezähmte Macht und Machtmissbrauch im Kleinen wie im Großen zerstören können. Erschreckendes Detail: Noch bei der Wahl im November 2020 hat fast die Hälfte der Katholikinnen und Katholiken ihre Stimme Trump gegeben. Es wird viel brauchen, den Trumpismus, der sich wie eine Pandemie weltweit verbreitet hat, wieder einzudämmern. Es wird viel brauchen, das bewusst zerstörte Vertrauen in die Institutionen der nordamerikanischen Demokratie mit ihren „Checks and Balances“ wieder aufzubauen.

Machtmissbrauch im „Kleinen“, das haben nicht nur die Betroffenen geistlicher und sexualisierter Gewalt erfahren, denen so lange nicht geglaubt wurde. Sondern auch all diejenigen, denen in der Beichte „im Namen Jesu“ eine menschenfeindliche Sexualmoral aufoktroyiert wurde. So vielen Menschen hat dies die Freude am Leben und an der Liebe genommen. So viele Menschen fühlen sich verkümmert, weil ihnen die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit verwehrt wurde. Und dies geschieht auch heute noch, wenn zum Beispiel katholische Theologen die kirchliche Segnung homosexueller Paare kategorisch ausschließen und behaupten, die Kirche dürfe und könne auch im Einzelfall nicht das Gegenteil von dem tun, was sie dogmatisch und kirchenrechtlich für verbindlich erklärt hat. Was für ein Machtmissbrauch, was für ein machtarroganter statischer Gesetzesglaube!

Viel zu lange hat es gedauert, bis der Machtmissbrauch im „Großen“, die systematische Vertuschung der Gewaltverbrechen, erkannt wurde. Die ersten Leitlinien in Deutschland zum Umgang mit sexualisierter Gewalt stammen aus dem Jahr 2002, die Aufdeckung am Berliner Canisius-Kolleg erfolgte 2010 und der Krisengipfel im Vatikan fand vor genau zwei Jahren statt. Endlich wird auch die „institutionelle Verantwortung“ der beiden Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. erkannt und benannt. Doch in Deutschland hat sich bislang noch keiner aus der Kirchenleitung zu seinem Fehlverhalten im Umgang mit sexualisierter Gewalt bekannt und entsprechende Konsequenzen gezogen.

Trotz mancher Bemühungen auf den verschiedenen Ebenen – die römisch-katholische Weltkirche steht immer noch am Anfang von wirklicher Aufarbeitung. Der Synodale Weg in Deutschland, der auch für die Weltkirche eine Chance zur Analyse und Behebung des Risikofaktors Machtmissbrauch bieten könnte, wird von einigen immer noch in Frage gestellt oder gar als unkatholisch gebrandmarkt. Dabei müsste Kirche in der augenblicklichen Weltsituation eigentlich eine führende Stimme der Hoffnung und Solidarität sein, doch auf absehbare Zeit ist sie immer noch viel zu sehr mit ihren eigenen Untaten beschäftigt.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland

Lese-Tipp:
Petra Morsbach: Der Elefant im Zimmer: Über Machtmissbrauch und Widerstand
. Penguin Verlag August 2020, ISBN: 978-3328600749, 368 Seiten, 22 Euro

 

 

Zuletzt geändert am 11­.01.2021