11.7.2007 - Gießener Anzeiger

Muss die Ökumene auf Eis gelegt werden?

Papst betont Führungsanspruch - Lehmann warnt vor "Überheblichkeit" Roms

Rechtzeitig bevor der Proteststurm losbrach, hat sich Papst Benedikt XVI. in die Ferien in die Berge abgesetzt. Niemals zuvor in seiner Amtszeit ist eine Verlautbarung des Kirchenstaates auf derart harsche Kritik gestoßen. Selbst Theologen, die dem Deutschen auf dem Petrusstuhl durchaus nahe stehen, reagierten in Rom mit Kopfschütteln. Schroff, hart und kompromisslos sei das Nein an die Adresse der Protestanten. Erst vor drei Tagen die faktische Rehabilitation der traditionellen, lateinischen Messe, nun die Breitseite gegen Protestanten: Sie seien nach katholischer Lehre nicht Kirchen "im eigentlichen Sinn". Will der Papst "das Rad der Geschichte zurückdrehen"? Muss die Ökumene auf Eis gelegt werden?

"Ökumenisch brüskierend" und "paradox", meinte Wolfgang Huber, Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland - das ist ansonsten nicht gerade der Ton, in dem Theologen miteinander umgehen. "Nicht hilfreich" für die Ökumene, sagte der renommierte Tübinger Dogmatik-Professor Peter Hünermann - das ist eher eine Untertreibung. Selbst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, geht vorsichtig auf Abstand. Die Vatikanerläuterung "mag besonders in ihrer Knappheit und Dichte hart erscheinen", dann warnte er kaum verhüllt vor "Überheblichkeit" Roms - das grenzt fast an bischöflichem Ungehorsam. Da überrascht nicht die Reaktion der Reformbewegung "Wir sind Kirche": Es handele sich schlicht um einen "Schlag ins Gesicht der Ökumene".

Auch die Betonung in dem Dokument der Glaubenskongregation, dass es sich keineswegs um neue Positionen handele, sondern nur nochmal sattsam Bekanntes in Erinnerung gerufen wurde, ändert nichts an der Brisanz. "Warum gerade jetzt? Warum muss nochmal betont werden, was theologisch längst festgezurrt ist?", fragt sich ein Theologe in Rom.

Unvergessen ist in der katholischen und protestantischen Welt der Sturm der Entrüstung, den das berühmt-berüchtigte Dokument "Dominus Iesus" im Jahr 2000 auslöste. Auch damals ging es um den "Führungsanspruch" Roms. Schon seinerzeit war von "Eiszeit im Vatikan" die Rede und von "römischem Fundamentalismus" - der Autor des damaligen Dokuments war niemand anders als Kardinal Joseph Ratzinger.

Inhalt und Ton des Schreibens können protestantische Gläubige in der Tat verletzen. Ihre Gemeinschaft sei "mit Mängeln behaftet", Kirche "im eigentlichen Sinne" dürfen sie sich nicht nennen. Geradezu herablassend mutet die Passage an, in der den protestantischen Gemeinden wenigstens "ein kirchlicher Charakter" zuerkannt wird. "Im Kern handelt es sich um den alten römischen Anspruch: Kein Heil außerhalb der heiligen katholischen Kirche", meinte ein Vatikankenner - doch das macht es für die Protestanten nicht besser.

"Ratzinger lässt geradezu ein Ranking unter den christlichen Konfessionen aufstellen", hieß es in Rom. An erster Stelle kommen die Katholiken, an zweiter Stelle die Orthodoxen. "An letzter Stelle stehen die Protestanten." Schon verbreitet sich in Rom immer mehr der Eindruck, Papst Benedikt XVI. setze kaum noch auf den Dialog mit den Protestanten - das gemeinsame Abendmahl sei ohnehin schon längst in weite Ferne gerückt. Der ganzen Aufregung um das Vatikanschreiben ist Benedikt nun erst einmal in die Höhen der italienischen Alpen entronnen. "Die Bergluft wird mir gut tun, und ich werde mich ganz frei meinen Gedanken und Gebeten widmen können", meinte der Papst bei seiner Abreise. Peer Meinert, Rom (dpa)

Zuletzt geändert am 11­.07.2007