16.4.2021 - FAZ

Keine Rehabilitierung für Küng

In zwei Interviews mit italienischen Zeitungen hat Kardinal Walter Kasper berichtet, er habe im Sommer 2020 Papst Franziskus darüber informiert, dass Hans Küng dem Lebensende nahe sei und in Frieden mit der Kirche sterben wolle. Daraufhin habe Franziskus ihm Grüße und Segenswünsche „in christlicher Gemeinschaft“ aufgetragen. Kasper meint, mit dem Überbringen dieser päpstlichen Segenswünsche habe Franziskus getan, was ihm möglich erschien. Eine „juristische und amtliche Rehabilitierung“ Küngs, dem 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde, sei „aus verschiedenen Gründen in der gegebenen Situation“ unrealistisch gewesen.

Warum hat Kardinal Kasper, der sonst stets auf klare Aussagen bedacht ist, diese „verschiedenen Gründe“ nicht näher benannt? Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) besitzt der Papst die volle, höchste und universale Rechtsprechungs-Gewalt auf allen Ebenen der Kirche, den „Jurisdiktionsprimat“: „Wir lehren demnach und erklären, dass die Römische Kirche auf Anordnung des Herrn den Vorrang der ordentlichen Vollmacht über alle anderen innehat, und dass diese Jurisdiktionsvollmacht des Römischen Bischofs, die wahrhaft bischöflich ist, unmittelbar ist: ihr gegenüber sind die Hirten und Gläubigen jeglichen Ritus und Ranges – sowohl einzeln für sich als auch alle zugleich – zu hierarchischer Unterordnung und wahrem Gehorsam verpflichtet, nicht nur in Angelegenheiten, die den Glauben und die Sitten, sondern auch in solchen, die die Disziplin und Leitung der auf dem ganzen Erdkreis verbreiteten Kirche betreffen“ (DH 3060).

Der Papst hätte kraft dieser Vollmacht Küng rehabilitieren können. Warum tat er es nicht? Hatte er Angst vor seinen internen Gegnern? Aber die glauben doch sicher alle an den Jurisdiktionsprimat und an die Unfehlbarkeit des Papstes und würden das Handeln ihres Oberhirten akzeptieren. Oder doch nicht? Glaubt der Papst vielleicht selbst nicht an seinen eigenen Jurisdiktionsprimat? Dann wäre es höchste Zeit, dass er kraft ebendieser Vollmacht und seiner Unfehlbarkeit das Dogma vom Jurisdiktionsprimat und von der Unfehlbarkeit des Papstes unfehlbar wieder aufhebt.

Norbert Scholl, Wilhelmsfeld

 

Zuletzt geändert am 19­.04.2021