10/2008 HerderKorrespondenz

Kurienreform: Vorschläge des Jesuiten und Vatikankenners Thomas J. Reese

Eine stärkere Orientierung an den Prinzipien Kollegialität und Subsidiarität bei der Organisation der Kurie fordert der US-amerikanische Jesuit Thomas J. Reese. „Das gegenwärtige Papsttum regiert die Kirche mit einer Machtfülle, um die es jeder absolute Monarch beneiden würde: Der Papst besitzt die oberste legislative, exekutive und judikative Gewalt", begründet Reese seine sechs 'Thesen für eine Kurienreform, die Reese jetzt auch auf Deutsch vorgelegt hat (Stimmen der Zeit, Nr. 8/2005, 630-635).

Die erste Forderung lautet, den Vatikan „von einem Hof in eine Bürokratie umzuwandeln". Vatikanische Beamte dürften weder zum Bischof noch zum Kardinal ernannt werden, weil diese dann nur noch schwer zu entlassen seien, wenn sie sich als inkompetent erwiesen. Es sollten auch die legislativen Gremien in der Kirche, etwa die Bischofssynode, gestärkt und deren Teilnehmer von den Bischofskonferenzen gewählt werden, Mitglieder des vatikanischen Apparats hingegen nicht stimmberechtigt sein. Ähnlich müssten die Kongregationen in Kommissionen umgewandelt werden, bei denen die Mitglieder von Synoden und Bischofskonferenzen zu wählen seien. Erfolgreiche politische Modelle würden darüber hinaus lehren, dass lokale Führer von ortsansässigen Bürgern gewählt werden müssen: Deshalb solle man zum Vorschlag von Leo I. zurückkehren, dass jeder Bischof vom lokalen Klerus gewählt, von den Gläubigen des Bistums bestätigt und von den Bischöfen der Kirchenprovinz geweiht werde.

Ohnehin dürfe weniger von der Zentralregierung entschieden werden; man müsse darauf vertrauen, dass Bischofe wissen, was das Beste für ihre Ortskirche sei. Ein zentrales Anliegen ist Reese schließlich auch die Schaffung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, um die Gewaltenteilung in der Kirche zu gewährleisten. Dass eine Regierung gleichzeitig anklagt, die Untersuchung führt und das Urteil spricht, sei eine grundlegende Verletzung des Rechtsstaatsprinzips. Etwa im Fall von Theologen, denen die Glaubenskongregation einen Dissens zur katholischen Lehre vorwirft, dürfe diese nicht zugleich „Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht" sein.

Reese, der ein viel beachtetes Buch über den Vatikan geschrieben hat (Im Innern des Vatikan. Politik und Organisation der katholischen Kirche, Frankfurt 1998), war nach dem Pontifikatswechsel als Chefredakteur der US-amerikanischen Jesuitenzeitschritt „America" zurückgetreten.

Lesetipp
Stimmen der Zeit, Nr. 9/2008, 630-635
Thomas J. Reese SJ:
Den Vatikan reformieren. Was die Kirche von anderen Institutionen lernen kann

Zuletzt geändert am 09­.10.2008