16.6.2012 - Süddeutsche Zeitung

Dieter Nesselhauf: Priester in Karlsruhe und katholischer Rebell

Wie es um sein Verhältnis zur katholischen Kirche steht, hat Dieter Nesselhauf erst vor gut einem Jahr so richtig begriffen. „Darmkrebs“, sagte damals der Arzt, und nach einer Pause: „Da ist Ihnen wohl was auf den Magen geschlagen.“ Meine Kirche, fuhr es Nesselhauf durch den Kopf, der ich als Priester Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam gelobt habe. In den Monaten der Operation, Bestrahlung und Reha nahm er sich vor, das zu ändern. Nicht mehr die Fassade zu wahren, sondern öffentlich zu sagen, was er denkt: dass die Kirche sich ändern muss und das Evangelium vor den Dogmen, Anweisungen und Verwaltungsvorschriften stehen soll.

Er hat sich mit 13 Pfarrern und Diakonen zusammengetan, die meisten Studienfreunde Nesselhaufs, der in diesem Jahr 65 wird. Sie haben eine Erklärung verfasst, die sich für „ein besonders brennendes Anliegen“ einsetzt: Die katholische Kirche soll Geschiedene, die wieder heiraten, nicht mehr von der Kommunion ausschließen. Sie stellten die Erklärung ins Netz. Und bald hatten sich fast 200 Geistliche aus dem Erzbistum Freiburg eingetragen, die dieses Anliegen unterstützen. „Ein kleines Wunder“, sagt der Pfarrer, und entschuldigt sich für den Überschwang: „Wem das Herz voll ist, dem fließt der Mund über.“

Pfarrer Nesselhauf von Sankt Konrad, Heilig Kreuz und Sankt Matthias in Karlsruhe hat viel gebetet in den Monaten der Krankheit. Er ist auch gerne Pfarrer, seit er vor mehr als 30 Jahren, begeistert von den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, nicht mehr Lehrer, sondern Priester sein wollte. Und so ärgert es ihn, wenn die Initiative der Pfarrer als unfromm oder gar antikirchlich hingestellt wird: „Wir sind kritisch aus Loyalität“, sagt er, „wir müssen doch sagen, dass der Graben zwischen der Kirche und den Menschen immer tiefer wird.“ Längst gingen bei ihm wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion, „wenn ich mit ihnen gesprochen habe und merke, da geht einer ernsthaft mit seinem Leben um“. Und selbstverständlich frage er nicht, wenn da jemand zur Kommunion geht: „Entschuldung, sind Sie etwa evangelisch?“ Die meisten Pfarrer machten das wie er – nur offen sagen dürfe das keiner, sonst gebe es Ärger.

Im Augenblick betreut er 8000 Katholiken; in drei Jahren – katholische Priester gehen erst mit 70 in den Ruhestand – werden es 31 000 sein, im Gemeindegebiet wird es ein Armen- wie ein Villenviertel geben. Er wird die Menschen nicht mehr kennen, die Nähe wird verloren gehen, weil es keine Priester mehr gibt, Gemeinden nach dem Willen der Bischöfe aber nur von Priestern geleitet werden sollen. Auch das hält er für eine „dramatische Fehlentscheidung“.

„Keine Angst!“ hat er zu Pfingsten den Kirchenbesuchern zugerufen, und dass man sich von Althergebrachtem lösen könne, ohne die Botschaft Jesu zu verfälschen. An manchen Stellen klingt die Predigt, als habe er sie sich selbst gehalten. „Unsere Angst ist weg“, sagt Pfarrer Nesselhauf. Jetzt müssten nur noch die deutschen Bischöfe mutiger werden. Am nächsten Donnerstag treffen die frommen Rebellen den Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch zum Gespräch. Da will er ihm das sagen.

Matthias Drobinski







Protestierende Pfarrer
Hunderte Geistliche widersetzen sich dem Papst
Von Matthias Drobinski

München – Mehrere hundert katholische Pfarrer und Diakone in Deutschland setzen sich dafür ein, dass ihre Kirche Geschiedene, die wieder geheiratet haben, nicht mehr wie bisher von den Sakramenten ausschließt. Fast 200 Geistliche aus dem Erzbistum Freiburg haben sich mittlerweile einer im Internet veröffentlichten Erklärung angeschlossen, in der es heißt: „In unseren Gemeinden gehen wiederverheiratete Geschiedene mit unserem Einverständnis zur Kommunion. Sie sind tätig im Pfarrgemeinderat und in anderen Diensten.“

Auch die Mitglieder der „Priester und Solidaritätsgruppen in Deutschland“ sowie der „Aktionsgemeinschaft von Priestern und Diakonen“ in der Diözese Rottenburg-Stuttgart haben erklärt, sich nicht mehr an die Vorschrift der Kirche halten zu wollen, wonach Geschiedene, die wieder heiraten, in fortgesetzter Sünde leben und deshalb von den Sakramenten ausgeschlossen sind. In Österreich haben sich mittlerweile mehr als 300 Pfarrer einem vergleichbaren „Aufruf zum Ungehorsam“ angeschlossen.

Es könne nicht sein, dass in der Kirche Mord vergeben werden könne, aber die Heirat nach einer Scheidung eine fortwährende Sünde bleibe, sagte der Karlsruher Pfarrer Dieter Nesselhauf, einer der Initiatoren des Freiburger Aufrufs. „Es gehen zudem zahlreiche wiederverheiratete Geschiedene seit vielen Jahren in den Gemeinden zur Kommunion – nur öffentlich sagen darf man dies nicht“. Dies sei eine „unerträgliche Doppelmoral“. Das Evangelium und das Gebot der Barmherzigkeit müssten höher stehen als das Kirchenrecht, fügte Nesselhauf hinzu. Dass sich in so kurzer Zeit so viele Pfarrer der Initiative angeschlossen hätten, sei ein Zeichen, wie tief die Krise der katholischen Kirche mittlerweile sei.

In einem Brief an alle Pfarrer des Erzbistums hat der Freiburger Generalvikar Fridolin Keck die Geistlichen aufgefordert, den Aufruf nicht zu unterzeichnen. Zwar teile man „die Grundintention, für die wiederverheirateten Geschiedenen neue Möglichkeiten der Beheimatung in unserer Kirche zu eröffnen“. Jedoch seien Verstöße gegen das Kirchenrecht „kontraproduktiv“; auch könne das Erzbistum „keine generelle und undifferenzierte Praxis billigen, die eigenmächtig gegen Vorgaben der Weltkirche verstößt“. Zollitsch kündigte aber an, dass er sich am kommenden Donnerstag mit den Initiatoren des Aufrufs treffen werde; die Pfarrer werten dies als „gutes Zeichen“, wie Nesselhauf sagte.

Auf den Brief aus dem Ordinariat hin haben lediglich zwei Pfarrer ihre Unterschrift zurückgezogen.

Zuletzt geändert am 16­.06.2012