16.6.2012 - Badische Zeitung

Schockenhoff: "Ich habe noch nie jemandem die Kommunion verweigert"

Von ihrem Seelsorge-Auftrag her dürfe die katholische Kirche jene Menschen nicht sakramental ausgrenzen, die ein zweites Mal verheiratet sind, fordert Eberhard Schockenhoff.

Vor dem Hintergrund der Aktion von knapp 200 Priestern und Diakonen der Erzdiözese Freiburg, die gegen geltendes Kirchenrecht handeln, sprach Gerhard Kiefer mit dem Moraltheologen.

BZ: Herr Schockenhoff, Erzbischof Robert Zollitsch hat vor dem Papstbesuch in Freiburg auf die Patchwork-Familie des damaligen Bundespräsidenten Wulff hingewiesen und gefordert, seine Kirche solle mit geschiedenen und wieder verheirateten Katholiken "barmherzig" umgehen. Tragen Sie seinen Impuls mit?

Schockenhoff: Voll und ganz. Das ist ja auch der Beweggrund der Priester und Diakone, die Erzbischof Zollitsch öffentlich in diesem Anliegen unterstützen.

BZ: Erzbischof Périsset, der Apostolische Nuntius in Berlin, hat Zollitsch harsch widersprochen: "Die Lehre ist klar und mit Änderungen ist nicht zu rechnen". Keine Hoffnung auf Gnade vom Vatikan?

Schockenhoff: Dieser Schnellschuss hat die theologische Debatte um die wiederverheirateten Geschiedenen und ihre angemessene seelsorgerliche Behandlung nicht beendet. Seine harsche Antwort bleibt weit hinter der Differenziertheit zurück, mit der Papst Benedikt jüngst beim Welttreffen der katholischen Familien in Mailand das Problem beschrieben hat.

BZ: Dem Evangelisten Matthäus zufolge hat Jesus gesagt, der Mensch dürfe nicht trennen, was Gott verbunden hat. Darauf berufen sich die Kirchenrechtler.

Schockenhoff: Die Botschaft Jesu ist von einer großen inneren Weite bestimmt. Man muss deshalb seine Verkündigung und zugleich seine Praxis sehen. Jesus hat die Unauflöslichkeit der Ehe als Willen Gottes gelehrt, aber er hat auch Sündern, darunter der Ehebrecherin, bedingungslos Vergebung zugesagt. Ihre Treue zum Wort Gottes muss die Kirche in ihrer seelsorgerlichen Praxis ebenso abbilden wie ihre Versöhnungsbereitschaft.

BZ: In Ihrem Buch "Chancen zur Versöhnung " (Herder, 2012) bezweifeln Sie nicht, dass Jesus die Unauflöslichkeit der Ehe verfügt hat. Und Sie betonen, "Barmherzigkeit" dürfe "das Weichspülen moralischer Normen nicht rechtfertigen". Aber dann interpretieren Sie das Sakrament Eucharistie auch als Zeichen der Versöhnung geschiedener und wieder verheirateter Katholiken mit ihrer Kirche.

Schockenhoff: Die Lehre der Kirche von der Unauflöslichkeit der Ehe steht in keiner Weise zur Disposition. Es ist klar, dass Scheidung und Wiederheirat nur mit Rücksicht auf die menschliche Schwäche und die Verstrickung der Partner in menschliche Schuld toleriert werden können. Es genügt jedoch nicht, nur die Ausweglosigkeit einer solchen Situation zu beklagen. Vielmehr muss die Kirche Gläubigen, die durch eigene Schuld oder unverschuldet in diese Situation geraten sind, einen Weg zur Versöhnung mit ihrer Lebensgeschichte aufzeigen.

BZ: Wie halten Sie es, wenn Katholiken, um deren Zweitehe Sie wissen, Sie um die Hostie bitten?

Schockenhoff: Ich habe noch nie jemandem die Kommunion verweigert.

BZ: Die Aktion im Erzbistum Freiburg und anderen Diözesen und vor allem der Aufruf zum Ungehorsam im österreichischen Klerus gegen starre Festlegungen der Amtskirche: Verhärtet das die Fronten zwischen dem Papst und den "Ortskirchen" – oder befördern Aktionen wie diese das Nachdenken auch im Vatikan?

Schockenhoff: In der Erzdiözese Freiburg herrscht ein vertrauensvolles Miteinander zwischen Diözesanleitung und Priestern. Die Unterzeichner des Aufrufs verfolgen das gleiche Ziel wie Erzbischof Zollitsch. Papst Benedikt forderte in Mailand die Priester auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um wiederverheirateten Gläubigen deutlich zu machen, dass die Kirche ihnen mit Respekt, Achtsamkeit und Liebe begegnet. Deshalb fordern die Unterzeichner und weitere Priester, dass die Kirche den von vielen bereits praktizierten Weg, wiederverheiratete Gläubige nicht von der Kommunion auszuschließen, offiziell unterstützt.

BZ: Resultiert dieser Konflikt nicht auch aus der Tatsache, dass der Vatikan der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer vor 40 Jahren in Würzburg bis heute jede positive Reaktion verweigert?

Schockenhoff: Das fortgesetzte Nein aus Rom führt zu einer Selbstisolation des Lehramtes in der Kirche. Indem sich Rom der Suche nach drängenden Lösungen verweigert, begibt es sich auch der Möglichkeit, Einfluss auf die seelsorgerliche Praxis vor Ort zu nehmen. Im Übrigen hat vor 40 Jahren der damalige Professor Ratzinger die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten auf einem außergerichtlichen Weg mit dem Argument befürwortet, dieses läge voll und ganz auf der Linie der kirchlichen Überlieferung.


– Eberhard Schockenhoff (59) ist Prodekan der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg, an der er seit 1994 lehrt. Seit 1978 ist er Priester.

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Zuletzt geändert am 16­.06.2012