15. Juli 2012

75. Geburtstag von Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ

Prof. Friedhelm Hengsbach, geboren am 15. Juli 1937 in Dortmund, trat nach dem Abitur 1957 der Societas Jesu bei und studierte 1959 bis 1968 an den ordenseigenen Hochschulen in München und Frankfurt sowie 1968-1972 Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Von 1977 bis 1982 war er Lehrbeauftragter, von 1985 bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Christliche Sozialwissenschaft bzw. Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Er leitete von 1992 bis 2006 das Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Heute lebt er in Ludwigshafen und gehört der dortigen Jesuitenkommunität an.

Mit seinem wirtschaftsethischer Ansatz setzt er sich seit Jahrzehnten für soziale Gerechtigkeit und faire Wirtschaftspolitik ein. Zum anderen fordert er aber auch für die Kirche eine Reform an Haupt und Gliedern. Der „Entweltlichung“ stellte er in seiner Brandrede beim diesjährigen Katholikentag in Mannheimeine die „Entstaatlichung“ der Kirche gegenüber.





Jesuit Friedhelm Hengsbach: Streiter für Reformen

Ludwigshafen - Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach wird am Sonntag 75 Jahre alt. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Ludwigshafen beschreibt der Jesuit, wie er die Situation von Kirche und Gesellschaft sieht.

Frage: Professor Hengsbach, seit einiger Zeit leben Sie nicht mehr an der Jesuitenhochschule in Frankfurt. Wie gefällt es Ihnen in Ludwigshafen?

Hengsbach: Ich hatte mir schon länger gewünscht, nicht bis zum Lebensende in Sankt Georgen zu bleiben. Als mich der Provinzobere fragte, ob ich mir vorstellen könne, ins Heinrich-Pesch-Haus umzuziehen, war meine erste Reaktion: Warum eigentlich nicht? Auch im Nachhinein empfinde ich die Entscheidung als ausgesprochen positiv: Hier leben vier Jesuiten als Kommunität - eine Art Männer-WG. Frühstück und Abendessen bereiten wir selbst. Waschen und Putzen gehören zum normalen, bodennahen Alltag. Mein Arbeitsstil jedoch hat sich gegenüber früher kaum verändert. Ich bin weiterhin viel unterwegs.

Frage: Was treibt Sie inhaltlich am meisten um?

Hengsbach: Die Finanzmärkte, deren spekulative Attacken sich auf Devisen-, Nahrungsmittel- und Anleihemärkten austoben. Der Kern der aktuellen Krise ist der 'Krieg' zwischen privater Kapitalmacht und demokratisch legitimierten Staaten. Oder der grundlegende Konflikt zwischen Privatinteressen und dem öffentlichen Interesse. Dieser Konflikt wird auch auf den Arbeitsmärkten ausgetragen. Die Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland sind entregelt worden. Trotz des Jobwunders werden Niedriglöhne gezahlt, die Altersarmut erzeugen. Der monetäre Konflikt verschärft die Konkurrenz um die knappen Böden, die zur Energiegewinnung statt für Nahrungsmittel genutzt werden. Und die Digitalisierung der Finanzmärkte löst einen zusätzlichen Beschleunigungsschub aus. Quartalsgewinne garantieren keine Nachhaltigkeit.

Frage: Zuletzt haben Sie sich auch mit der Situation in Ihrer Kirche befasst.

Hengsbach: Ja, die römisch-katholische Kirche verliert an Glaubwürdigkeit. Wer sich in der Welt für Gerechtigkeit engagiert, aber zulässt, dass sich im eigenen Laden ein Sumpf ungerechter Verhältnisse ausbreitet, wird unglaubwürdig. Deshalb setze ich mich für eine Kirchenreform an Haupt und Gliedern ein: für eine bessere Stellung der Frau, für eine befreiende Sexualmoral, für den Zugang der Frauen zu allen kirchlichen Ämtern, für eine frei gewählte Lebensform der Amtsträger, für die Beteiligung aller Christen an der Wahl der Pfarrer, Bischöfe und Päpste mit begrenzter Amtszeit. Kurzum: für eine Demokratisierung des verkrusteten hierarchischen Systems und für die Trennung von Kirche und Staat. Der Status der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts sollte aufgegeben werden. Als zivilgesellschaftliche Bewegung wäre ihr gesellschaftlicher Einfluss wirksamer. Die Erklärung des Kirchenaustritts vor einer staatlichen Behörde passt nur noch ins vorvergangene Jahrhundert. Nachdem die Kirchensteuer abgeschafft ist, sollte der Kirchenbeitrag an die Gemeinde vor Ort entrichtet werden. Die Kirche als Arbeitgeberin sollte sich in das allgemeine Arbeitsrecht einfügen.

Frage: Mit diesen Forderungen machen Sie sich nicht besonders beliebt.

Hengsbach: Zweifellos weder bei den Bischöfen noch beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Aber das Umfeld der Kirchen stellt deren Sonderstatus zunehmend in Frage. Zuletzt waren es Grüne und Linke. Zusätzlicher Druck kommt auch durch das europäische Arbeitsrecht. Der Konflikt zwischen dem Recht der Kirchen auf Selbstbestimmung und dem Grundrecht des einzelnen, den Partner frei zu wählen, wird nicht mehr automatisch zugunsten der Institution entschieden.

Frage: Sie üben heftige Kritik an der Kirche, der Sie selbst angehören.

Hengsbach: Gerade deshalb bin ich so beunruhigt über die äußere Gestalt der römisch-katholischen Kirche. Diese kann nicht von sich behaupten, die Sache Gottes sichtbar zu machen. Sie strahlt zu wenig von Jesu Botschaft der Gottesherrschaft aus, sondern ist von Strukturen der Sünde befallen. In Zeiten des Absolutismus konnte man die Außenseite der Kirche so verformen, aber wer dies heute mit dem Willen Jesu zu rechtfertigen sucht, ist dumm oder machtbesessen.

Frage: Welche Erwartungen verbinden Sie mit dem von der Deutschen Bischofskonferenz initiierten Dialogprozess?

Hengsbach: Der ist so grenzwertig, dass meine Erwartungen gegen Null gehen. Nach dem ersten Treffen wurden 400 Pinnwände ins Internet gestellt, auf denen viele sinnvolle Forderungen stehen. Welche Folgerungen ziehen die Bischöfe daraus?

Frage: Fühlen Sie sich wie der letzte Rebell?

Hengsbach: Nein, denn es gibt zahlreiche Katholiken, die meine Meinung teilen. Leider bewegt sich in Deutschland vieles nur unter der Decke. Inzwischen wurde die Initiative der österreichischer Pfarrer auch bei uns nachgeahmt, widersinnigen Befehlen nicht zu gehorchen.

Das Interview führte Michael Jacquemain (KNA)

http://www.katholisch.de/Nachricht.aspx?NId=8424

Zuletzt geändert am 09­.09.2012