17. Oktober 2012 - Ja Kirchenzeitung

Theologe Häring: „Durchbruch von unten“

„Die Kirchenreform wird von den Gemeinden ausgehen“

Die Strategie der kirchlichen Reformgruppen, die Veränderungen in der katholischen Kirche auf dem Weg des Dialogs mit Kirchenleitung und Hierarchie erreichen wollte, ist kurzfristig erfolglos geblieben. Die Kirchenführung verweigert jeden Dialog, weil sie davon ausgeht, dass allein sie über die „Wahrheit“ verfügt. Kritik wird als Subversion betrachtet und Andersdenkenden nicht selten der Glaube selbst abgesprochen. In dieser Situation mit ihren gravierenden pastoralen Folgen ist „eigenverantwortliches Handeln“ der kirchlichen Gemeinden – von der Hierarchie als „Ungehorsam“ ausgelegt – gefordert. Diese Auffassung äußerte der bekannte deutsche Theologe Prof. Dr. Hermann Häring in einem Vortrag mit dem Titel „Lasst endlich Taten sehen – Visionen und Zielsetzungen vor Ort“ am 11. Oktober abends, am 50. Jahrestag der Konzilseröffnung bei einer Veranstaltung des Forum XXIII in St. Pölten.

Kirchliche Gemeinden in ihrer Existenz bedroht
Häring, der bis zu seiner Emeritierung an der Universität Nijmegen (Niederlande) gelehrt hatte und jetzt am Projekt „Weltethos“ von Hans Küng in Tübingen mitarbeitet, konstatierte eine sehr „prekäre Situation“ der katholischen Kirche, in der sogar der „Glaubenskonsens“ verloren zu gehen scheine. In dieser „Umbruchsphase“, in der vor allem seit dem Pontifikat Benedikts XVI. die Reformimpulse des Konzils von der Kirchenführung gezielt unterlaufen würden, gewännen die kirchlichen Gemeinden neue Bedeutung. Sie seien es, die „ihre Sache selbst in die Hand nehmen müssen“ und in die sich „der Schwerpunkt des konkreten Reformhandelns verlegen wird und muss“.

In Reaktion auf die Reformverweigerung der Kirchenführung zeichne sich ein „qualitativer Durchbruch von unten“ ab. Immer mehr Gemeinden fänden den „Weg in ihre Mündigkeit“. Dabei steige die Chance zu ihrer Aktivierung und „Selbstermächtigung“, je mehr der durch den Priestermangel verursachte „Zusammenbruch der Pastoral ihre eigene Existenz bedroht“. Nach Härings Überzeugung kann es einer intensivierten Reformarbeit an der Basis zumindest langfristig gelingen, „Gesicht und Strukturen von Gemeinden und Kirche zu ändern“.

Amtsträger-Wahl: „Demokratie ist urkatholisch“ Der Theologe sprach von der Vision einer „geschwisterlichen, repressionsfreien und beziehungsfreudigen Kirche“, die von „pluralen und offenen, ökumenisch und human sensiblen Gemeinden“ gekennzeichnet sei. In diesen Gemeinden gelte es, sich die unterschiedlichen Befähigungen und Charismen ihrer Mitglieder zunutze zu machen. Neben Geschwisterlichkeit, Partizipation und gesellschaftlicher Solidarität zählt Häring eine „offene Spiritualität“ sowie nach frühkirchlichem Vorbild die Wahl von Amtsträgern, die im Dienst der Gemeinschaft stehen, zu den „Eckpunkten einer solchen Vision“ von Kirche. Denn – so meinte er zu letzterem Postulat – „Demokratie ist urkatholisch“. Den Plänen, immer mehr Pfarrgemeinden aufzulassen und sie in größere „Seelsorgeräume“ überzuführen, hielt der Theologe „das Recht der Menschen“ entgegen, „in Gemeinschaften zu leben, die überschaubar sind“. Der Priestermangel bringe es mit sich, dass viele kirchliche Gemeinden nicht mehr regelmäßig Eucharistie mit einem Priester feiern können. In diesem Fall schreibt Häring diesen Gemeinden das Recht zu, die „Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herrn“ auch ohne anwesenden Priester zu begehen. „Dieses Recht auf Eucharistie sollen sich die Gemeinden nicht nehmen lassen“, unterstrich der Theologe.

„Neuaufbruch ist gegen keine Kirchenleitung gerichtet“
Der sich abzeichnende „Neuaufbruch an der Basis“ ist nach Meinung Härings „gegen keine Kirchenleitung gerichtet“. Er verstehe sich vielmehr als „prophetischer Beitrag“ und solle „im Sinne des konziliaren Aggionamento einen neuen Glauben mitten in der Welt ermöglichen, der auch Kirchenleitungen überzeugen kann“. Härings Resümee: „Für dieses Ziel lohnt sich die Mühe des aufgezwungenen Widerstands“.

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Zuletzt geändert am 17­.10.2012