14. 12. 2013 - La Stampa/Vatican Insider

„Keine Angst vor der Zärtlichkeit Gottes!“

Interview mit Papst Franziskus über Weihnachten, den Hunger in der Welt, das Leiden der Kinder, die Kurienreform, Frauen als Kardinäle, die Vatikanbank und die nächste Reise ins Heilige Land.

Interview-Partner: Andrea Tornielli

Was bedeutet Weihnachten für Sie?

Es ist die Begegnung mit Jesus. Gott hat sein Volk immer aufgesucht, er hat es geführt, er hat es behütet, hat versprochen, ihm immer nahe zu sein. Im Buch Deuteronomium lesen wir, daß Gott mit uns geht, uns an der Hand führt wie ein Papa sein Kind. Das ist schön. Weihnachten begegnet Gott seinem Volk. Und tröstet es, es ist ein Geheimnis der Tröstung. Viele Male habe ich nach der Mitternachtsmette manche Stunde allein in der Kapelle verbracht, bevor ich am Morgen die Hirtenmesse zelebrierte. Mit diesem Gefühl tiefen Trostes und Friedens. Ich erinnere mich an eine Gebetsnacht einmal hier in Rom, nach der Messe im Centro Astalli - ich glaube, es war Weihnachten 1974. Für mich war Weihnachten immer das: zu betrachten, wie Gott sein Volk besucht.

Und was sagt Weihnachten dem Menschen von heute?

Es spricht zu uns von Zärtlichkeit und Hoffnung. Wenn Gott uns nahe kommt, sagt er uns zwei Dinge. Das Erste ist: habt Hoffnung. Gott öffnet immer die Türen, nie schließt er sie. Er ist der Papa, der uns die Tür öffnet. Zweitens: habt keine Angst vor Zärtlichkeit. Wenn die Christen Hoffnung und Zärtlichkeit verlieren, werden sie eine kalte Kirche, die nicht weiß wohin und sich in Ideologien verstrickt, in weltangepasste Verhaltensweisen. Die Einfachheit Gottes dagegen sagt dir: geh weiter, ich bin ein Vater, der dich liebkost. Ich fürchte, dass die Christen die Hoffnung verlieren und die Fähigkeit zu umarmen und zu liebkosen. Vielleicht spreche ich deshalb mit Blick auf die Zukunft so oft von den Kindern und den Alten, also von den Schutzlosesten. In meinem Priesterleben habe ich in den Pfarreien immer versucht, diese Zärtlichkeit zu vermitteln, vor allem den Kindern und Alten. Es tut mir gut und lässt mich an die Zärtlichkeit denken, die Gott für uns hegt.

Wie kann man glauben, dass Gott, den die Religionen für unendlich und allmächtig halten, sich so klein macht?

Die griechischen Kirchenväter nannten das „synkatabasis“, Gottes Abstieg. Gott, der herunterkommt und mit uns ist. Das ist eines der Geheimnisse Gottes. Im Jahr 2000 sagte Johannes Paul II. in Bethlehem, dass Gott ein Kind geworden ist, das total auf die Fürsorge von Papa und Mama angewiesen ist. Deshalb macht Weihnachten uns soviel Freude. Wir fühlen uns nicht mehr allein, Gott ist herabgekommen, um bei uns zu sein. Jesus wurde einer von uns, und erlitt unseretwegen das schrecklichste Ende, das eines Verbrechers am Kreuz.

Weihnachten wird häufig als märchenhafter Wunschtraum präsentiert. Aber Gott wird in eine Welt geboren, in der es auch viel Leid und Elend gibt....

In den Evangelien lesen wir von der Verkündigung einer Freude. Die Evangelisten beschreiben eine Erfahrung von Freude. Sie stellen keine Überlegungen über die ungerechte Welt an, darüber, wie Gott in einer solchen Welt geboren werden konnte. Das alles ergibt sich aus unserer Betrachtung: die Armen, das Kind, das in eine unsichere Lage hineingeboren wird. Die Weihnachtsbotschaft denunzierte nicht das gesellschaftliche Unrecht und die Armut, sondern verkündigte die Freude. Alles andere sind Folgerungen, die wir daraus schließen. Einige sind richtig, andere weniger richtig, wieder andere sind ideologisiert. Weihnachten ist Freude, spirituelle Freude, innerliche Freude über Gott, über Licht, über Frieden. Wenn man nicht fähig ist oder sich in einer menschlichen Lage befindet, die es nicht zulässt, diese Freude zu verstehen, erlebt man das Fest mit einer verweltlichten Freude. Doch zwischen der tiefen Freude und der verweltlichten Freude gibt es einen großen Unterschied.

Es ist Ihr erstes Weihnachten als Bischof von Rom, in einer Welt voller Konflikte und Kriege …

Gott beschenkt niemandem mit einem Geschenk, mit dem er nichts anfangen kann. Wenn Gott uns mit Weihnachten beschenkt, dann deshalb, weil wir alle fähig sind, es zu verstehen und damit etwas anzufangen. Alle, vom größten Heiligen bis zum schlimmsten Sünder, vom Saubersten bis zum Korruptesten. Sogar der Korrupte ist dazu fähig: der Arme, seine Fähigkeit ist zwar vom Rost angefressen, aber er hat sie immer noch. Weihnachten wird in dieser Zeit der Konflikte zu einem Aufruf des Gottes, der uns dieses Geschenk macht. Wollen wir es annehmen oder bevorzugen wir andere Geschenke? Dieses Weihnachten in einer von Kriegen erschütterten Welt lässt mich an Gottes Ausdauer denken. Nach der Bibel ist die wichtigste Fähigkeit Gottes, dass Gott die Liebe ist. Er wartet auf uns, er wird nicht müde, auf uns zu warten. Er beschenkt uns und dann wartet er auf uns. Das geschieht im Leben eines jeden von uns. Einige übersehen das. Aber Gott ist geduldig, und der Frieden, die friedvolle Freude der Heiligen Nacht spiegelt die Ausdauer Gottes mit uns.

Im Januar sind es fünfzig Jahre her, dass Paul VI. seine historische Reise ins Heilige Land machte. Werden auch Sie dorthin reisen?

Weihnachten lässt uns immer an Betlehem denken, und Betlehem ist ein ganz bestimmter Ort im Heiligen Land, wo Jesus lebte. In der Heiligen Nacht denke ich vor allem an die Christen, die dort leben, an alle, die in Schwierigkeiten stecken, an alle, die verschiedener Probleme wegen dieses Land verlassen mussten. Aber Betlehem ist immer noch Betlehem. Gott kam an einem bestimmten Punkt zur Welt, an diesem bestimmten Ort ist die Zärtlichkeit Gottes, die Gnade Gottes erschienen. Wir können an Weihnachten nicht denken, ohne an das Heilige Land zu denken. Vor 50 Jahren hatte Paul VI. den Mut hinauszugehen und dorthin zu gehen. Damit begann die Epoche der päpstlichen Reisen. Auch ich möchte dorthin gehen, um meinen Bruder Bartholomäus zu treffen, den Patriarchen von Konstantinopel, und mit ihm gemeinsam dieses 50. Jahrestages zu gedenken, indem wir die Umarmung zwischen Papst Montini und Athenagoras von 1964 in Jerusalem erneuern. Wir bereiten uns darauf vor.

Sie haben mehrfach schwerkranke Kinder getroffen. Was können Sie zu diesem unschuldigen Leiden sagen?

Ein Lehrmeister des Lebens war für mich Dostojewski und seine Frage hat explizit und implizit immer mein Herz bewegt: Warum leiden die Kinder? Dafür gibt es keine Erklärung. Mir fällt dieses Bild ein: in einem bestimmten Augenblick seines Lebens wird das Kind „wach“; es versteht viele Dinge nicht, es fühlt sich bedroht, es fängt an, dem Papa oder der Mama Fragen zu stellen. Das ist das Alter des „Warum“. Wenn das Kind fragt, dann aber nicht alles versteht, was du ihm zu sagen hast, dann bedrängt es dich sofort mit neuen „Warum?“-Fragen. Es verlangt stärker nach dem Blick des Papa, der ihm Sicherheit gibt, als nach der Erklärung. Angesichts eines leidenden Kindes drängt sich mir nur ein Gebet auf: das Gebet des Warum. Warum, Gott? Er erklärt mir nichts. Aber ich spüre, dass er mich anschaut. Dann kann ich sagen: "Du weißt warum, ich weiß es nicht und Du sagst es mir nicht, aber Du schaust mich an und ich vertraue Dir, Gott, ich vertraue Deinem Blick."

Wenn man über das Leiden der Kinder spricht, darf man die Tragödie derer nicht übersehen, die hungern.

Mit den Nahrungsmitteln, die wir nicht brauchen und wegwerfen, könnten wir ganz vielen Leuten zu essen geben. Wenn wir statt Lebensmittel zu verschwenden sie wiederverwerten würden, dann gäbe es viel weniger Hunger in der Welt. Ich war betroffen davon, in einer Statistik zu lesen, dass täglich in der Welt 10.000 Kinder an Hunger sterben. Viele Kinder weinen, weil sie Hunger haben. Bei der Mittwochsaudienz vor einigen Tagen stand hinter der Absperrung eine junge Mutter mit ihrem wenige Monate alten Kind. Als ich vorbeikam, weinte das Kind heftig. Die Mutter streichelte es. Ich sagte ihr: "Ich glaube, dass das Kleine Hunger hat". Sie antwortete: "Ja, um diese Zeit…" Dann sagte ich ihr: "Geben Sie ihm doch bitte zu essen!" Sie schämte sich und wollte, wenn der Papst vorbeikommt, nicht in der Öffentlichkeit stillen. Genau dasselbe würde ich gern der Menschheit sagen: Gebt zu essen! Diese Frau hatte die Milch für ihr Kind, in der Welt haben wir ausreichend Lebensmittel, so dass alle zu essen haben. Wenn wir mit den humanitären Organisationen daran arbeiten und uns schließlich einigen könnten, keine Nahrungsmittel zu vergeuden, sondern sie denen weiterzugeben, die sie nötig haben, dann würden wir einen großen Beitrag dazu leisten, die Tragödie des Hungers in der Welt zu überwinden. Ich möchte für die ganze Menschheit wiederholen, was ich jener Mutter gesagt habe: Gebt denen zu essen, die Hunger haben! Die Hoffnung und die Zärtlichkeit des Geburtsfestes Jesu mögen uns aus der Gleichgültigkeit wachrütteln.

Einige Teile von "Evangelii Gaudium" haben Ihnen heftige Angriffe ultrakonservativer Amerikaner beschert. Was denkt ein Papst, wenn er hört, dass er als „Marxist“ bezeichnet wird?

Die Marxistische Ideologie ist falsch. Aber in meinem Leben haben ich viele Marxisten kennengelernt, die gute Menschen waren. Deshalb fühle ich mich nicht brüskiert. Besonders die Worte über die Wirtschaft, die "tötet", haben Aufsehen erregt. In der Exhortatio gibt es nichts, was sich nicht auch in der kirchlichen Soziallehre finden lässt. Ich habe nicht von einem technischen Standpunkt aus gesprochen, ich habe mich darum bemüht, das zu fotografieren, was geschieht. Die einzige spezielle Bemerkung bezieht sich auf die „Überlauf“-Theorien (die "trickle-down"-Theorien), die behaupten, dass jedes Wirtschaftswachstum, das von der Freiheit des Marktes angetrieben wird, aus sich selbst heraus mehr Gleichheit und gesellschaftliche Integration in der Welt hervorbringt. Das Versprechen lautete: Sobald das Glas voll ist, würde es überlaufen und den Armen nützen. In Wirklichkeit aber geschieht etwas anderes: Sobald das Glas voll ist, wird das Gefäß auf irgendeine magische Weise größer. Daher springt für die Armen nie etwas heraus. Dies ist der einzige konkrete Hinweis auf eine bestimmte Theorie. Ich wiederhole: Ich habe mich nicht als Techniker geäußert, sondern im Rahmen der Soziallehre der Kirche. Und das macht mich nicht zum Marxisten.

Sie haben eine „Umkehr des Papstamtes“ angekündigt. Haben Ihnen die Begegnungen mit den orthodoxen Patriarchen einen konkreten Weg nahegelegt?

Johannes Paul II. hat sehr nachdrücklich von einer Form der Primatsausübung gesprochen, die für eine neue Lage offen ist. Aber nicht nur hinsichtlich der ökumenischen Beziehungen, sondern auch in den Beziehungen zur Kurie und zu den Ortskirchen. In diesen ersten neun Monaten haben mich viele orthodoxe Brüder besucht, Bartholomäus, Hilarion, der Theologe Zizioulas, der Kopte Tawadros. Dieser ist ein Mystiker, er kam in die Kapelle, zog die Schuhe aus und betete. Ich habe mich als ihr Bruder verstanden. Sie stehen in der apostolischen Sukzession und ich habe sie als Brüder im Bischofsamt aufgenommen. Es tut weh, noch nicht gemeinsam die Eucharistie feiern zu können, aber die Freundschaft ist schon da. Ich glaube, dass wir diesen Weg gehen: Freundschaft, zusammen arbeiten und für die Einheit beten. Wir haben uns gegenseitig gesegnet, ein Bruder segnet den anderen, ein Bruder heißt Petrus, der andere heißt Andreas, Markus, Thomas…

Hat die Einheit der Christen für Sie Priorität?

Ja, die Ökumenische Bewegung ist vorrangig für mich. Es gibt heute einen Ökumenismus des Blutes. In einigen Ländern töten sie die Christen, weil sie ein Kreuz tragen oder eine Bibel haben; und bevor sie sie töten, fragen sie sie nicht, ob sie Anglikaner, Lutheraner, Katholiken oder Orthodoxe sind. Ihrer aller Blut ist vermischt. Für die, die töten, sind wir Christen. Wir haben die Einheit bereits im Blut, auch wenn wir immer noch nicht die nötigen Schritte zur Einheit getan haben. Vielleicht ist der Moment noch nicht da. Die Einheit ist eine Gnade, um die man bitten muss. Ich kannte in Hamburg einen Pfarrer, der die Heiligsprechung eines katholischen Priesters betrieb, der von den Nazis enthauptet worden war, weil er die Kinder den Katechismus lehrte. In der Reihe der Verurteilten stand hinter ihm ein lutherischer Pastor, der aus demselben Grund umgebracht wurde. Ihr Blut hat sich vermischt. Dieser Pfarrer erzählte mir, dass er zum Bischof gegangen sei und ihm gesagt habe: „Ich betreibe das Anliegen der Heiligsprechung weiter, aber die Heiligsprechung von beiden, nicht nur die des Katholiken“. Das ist der Ökumenismus des Blutes. Den gibt es auch heute, da muss man nur die Zeitungen lesen. Jene, die die Christen töten, verlangen von dir nicht zuerst den Personalausweis, um zu erfahren, in welcher Kirche du getauft bist. Diese Realität müssen wir berücksichtigen.

In der Exhortatio haben Sie dazu aufgefordert, bezüglich der Sakramente kluge und mutige pastorale Entscheidungen zu treffen. Woran haben Sie dabei gedacht?

Wenn ich von Klugheit spreche, denke ich nicht an ein paralysierendes Verhalten, sondern an eine Tugend des Leitungspersonals. Die Klugheit gehört zu den Tugenden der Leitung. Ebenso der Wagemut. Mit Wagemut und Klugheit muss man ein Leitungsamt wahrnehmen. Ich habe von der Taufe und von der Kommunion als geistlichen Lebensmitteln gesprochen, um voran kommen zu können, als Hilfsmittel und nicht als Prämie. Einige haben sofort an die Sakramente für die Geschiedenen und Wiederverheirateten gedacht. Aber ich spreche überhaupt nicht von bestimmten Einzelfragen, sondern wollte nur auf ein Prinzip hinweisen. Wir müssen versuchen, den Glauben der Menschen zu erleichtern, statt ihn zu kontrollieren. Im vergangenen Jahr habe ich in Argentinien das Verhalten einiger Priester beanstandet, die die Kinder alleinerziehender Mütter nicht taufen wollten. Ein solche Einstellung ist krankhaft.

Und bezüglich der Geschiedenen und Wiederverheirateten?

Geschiedene, die eine zweite Ehe eingegangen sind, von der Kommunion auszuschließen, ist keine Bestrafung. Das muss klar sein. Aber davon habe ich in der Exhortatio nicht gesprochen.

Wird das die nächste Bischofssynode behandeln?

Die synodale Struktur der Kirche ist wichtig. Über alles, was die Ehe betrifft, wollen wir bei den Versammlungen des Konsistoriums im Februar sprechen. Danach wird das Thema in der außerordentlichen Bischofssynode im Oktober 2014 behandelt. Ebenso in der ordentlichen Synode des darauffolgenden Jahres. Bei diesen Gelegenheiten werden viele Dinge gründlicher behandelt und geklärt.

Wie geht die Arbeit Ihrer acht „Berater“ für die Kurienreform voran?

Die Arbeit wird sich lange hinziehen. Alle, die Vorschläge einbringen oder Ideen beitragen wollten, haben sich geäußert. Kardinal Bertello hat die Vorstellungen aller vatikanischen Dikasterien zusammengestellt. Wir haben Anregungen von Bischöfen aus der ganzen Welt erhalten. Bei ihrer jüngsten Versammlung sagten die acht Kardinäle, dass wir bereits konkrete Vorschläge machen können. Beim nächsten Treffen im Februar wollen sie mir ihre ersten Empfehlungen übergeben. Bei den Treffen bin ich stets anwesend, mit Ausnahme des Mittwochvormittag wegen der Generalaudienz. Aber ich beteilige mich nicht am Gespräch, ich höre nur zu, und das tut mir gut. Ein alter Kardinal sagte mir vor einigen Monaten: „Die Kurienreform haben Sie bereits mit der täglichen Messe in Santa Marta begonnen.“ Das hat mich nachdenklich gemacht: die Reform beginnt immer mit spirituellen, pastoralen Initiativen statt mit strukturellen Veränderungen.

Was ist das richtige Verhältnis zwischen Kirche und Politik?

Das Verhältnis muss zugleich parallel und konvergent sein. Parallel, weil jeder seinen eigenen Weg geht und seine je anderen Aufgaben hat. Konvergent, also nach Gemeinsamkeiten suchend nur in der Absicht, dem Volk behilflich zu sein. Wenn die Beziehungen vorzeitig auf Gemeinsamkeiten zulaufen, ohne Beteiligung des Volkes oder ohne das Volk einzubeziehen, beginnt jene Verquickung mit der politischen Macht, welche die Kirche schließlich verdirbt: Geschäfte, Kompromisse … Man muss parallel arbeiten, jeder mit der eigenen Methode, den eigenen Aufgaben, der eigenen Berufung. Nur hinsichtlich des Gemeinwohls muss man nach Gemeinsamkeit streben. Die Politik ist eine noble Sache, eine der höchsten Formen der Nächstenliebe, wie Paul VI. sagte. Wir verunglimpfen sie, wenn wir sie nur zu Geschäftsinteressen verwenden. Auch die Beziehung zwischen Kirche und politischer Macht kann korrumpiert werden, wenn sie Gemeinsamkeiten nicht ausschließlich zugunsten des Gemeinwohls anstrebt.

Darf ich Sie fragen, ob wir Frauen als Kardinäle haben werden?

Woher ein solche Behauptung her kommt, weiß niemand. Die Frauen in der Kirche müssen aufgewertet, aber nicht „klerikalisiert“ werden. Wer an Frauen als Kardinäle denkt, leidet ein wenig an Klerikalismus.

Wie geht die Säuberung der Vatikanbank IOR [Institut für die religiösen Werke"> voran?

Die betreffenden Kommissionen arbeiten gut. Moneyval hat einen guten Bericht erstellt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wie es in Zukunft mit dem IOR weitergeht, wird man sehen. Zum Beispiel: die „Zentralbank“ des Vatikan sollte die APSA [die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls"> sein. Das IOR wurde errichtet, um den religiösen Werken, den Missionen und den armen Kirchen behilflich zu sein. Schließlich wurde es zu dem, was es heute ist.

Konnten Sie sich vor einem Jahr vorstellen, dass Sie Weihnachten 2013 im Petersdom zelebrieren würden?

Natürlich nicht.

Haben Sie damit gerechnet, gewählt zu werden?

Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Als immer mehr Stimmen auf mich fielen, habe ich den inneren Frieden nicht verloren. Ich bin ruhig geblieben. Und dieser Frieden geht immer noch mit mir, ich halte ihn für ein Geschenk des Herrn. Als der letzte Wahlgang beendet war, führte man mich in die Mitte der Sixtinischen Kapelle und fragte mich, ob ich annehme. Ich bejahte die Frage, und sagte dann, dass ich mich Franziskus nennen würde. Erst dann bin ich hinausgegangen. Man brachte mich in den daneben liegenden Raum, damit ich mich umziehen konnte. Danach, kurz bevor ich mich der Öffentlichkeit vorstellte, habe ich mich - begleitet von den Kardinälen Vallini und Hummes - in der Paulinischen Kapelle niedergekniet, um einige Minuten zu beten.

Übersetzung aus dem Spanischen: Norbert Arntz, Kleve

Das Original-Interview:
"Jamás tener miedo a la ternura"

Zuletzt geändert am 17­.12.2013