3.2.2016 - Recklinghäuser Zeitung

Große Effekte sind ausgeblieben

Katholische Theologen forderten vor fünf Jahren Reformen / „Klima der Angst ist gewichen“

MÜNSTER. Es war eine im Geheimen vorbereitete Aktion, die für viel Aufsehen sorgte: Vor fünf Jahren forderten mehr als 300 deutschsprachige Theologen öffentlich grundlegende Reformen in der katholischen Kirche – vom Priesteramt für Frauen bis zum Ende der Homosexuellen-Ausgrenzung. Was hat das spektakuläre Memorandum vom 4. Februar 2011 gebracht? „Die Auswirkungen sind sehr begrenzt“, bedauert Prof. Thomas Schüller von der Universität Münster. Der Kirchenrechtler gehört zu den damaligen Unterzeichnern.

Die Liste von Forderungen, die nicht Realität geworden sind, ist lang. Beispiele: „Die XXL-Fusionen von Gemeinden schreitet voran. Das sind Wahnsinnskonstrukte ohne Nähe zu den Menschen. Einziges Kriterium ist es, mit möglichst wenig Leitern auszukommen“, kritisiert Schüller. Auch von der Rechtskultur ist der Experte nach wie vor enttäuscht: „Sie ist weit weg von den Menschen. So gibt es zum Beispiel keine Möglichkeit für Gläubige, in kirchlichen Streitfällen vor unabhängigen Gerichten zu klagen.“ Und bei den Themen Frauen-Priestertum und Pflichtzölibat habe sich ebenfalls nichts getan.

Als positiven Effekt der damaligen Forderungen sieht Schüller hingegen, dass heute in der katholischen Kirche angstfreier über Themen wie Sexualität und Ehe diskutiert werden kann. „Das Klima der Angst ist gewichen. Kollegen schreiben heute wieder Bücher über Sexualethik, ohne befürchten zu müssen, die Lehrerlaubnis entzogen zu bekommen.“ Dies sei durch das damalige Memorandum ins Gespräch gebracht – und anschließend vom neuen Papst gefördert worden. Auch in Zukunft glaubt der Kirchenrechtler an Rückenwind durch Papst Franziskus: „Ende März werden die Ergebnisse zur Familien-Synode vorgestellt: Dabei werden sicherlich keine katholischen Grundfesten erschüttert, aber möglicherweise erhalten die einzelnen Kirchen vor Ort – dezentral je nach Kulturkreis – Spielraum für unterschiedliche Antworten bei der Sexualethik“, hofft der Theologe.

Überhaupt sieht Schüller einen großen „Schub“ durch Franziskus – im Vergleich zum Jahr 2011. Nach dem langen Pontifikat von Johannes Paul II. war damals Benedikt XVI. im Amt. „Es war ein erstarrter Zustand, unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals zudem eine tiefe Vertrauenskrise“, analysiert Thomas Schüller.

Der Kleinwagen-Fahrer Franziskus, der den Flüchtlingen auf Lampedusa die Hand reicht, die Schwachen in den Mittelpunkt kirchlicher Arbeit stellt, hat hier Veränderungen bewirkt. „Er nimmt die Wirklichkeit wahr, schaut, wie die Menschen leben – und diskutiert dann darüber“, lobt Schüller. Von diesem Papst hätten auch die Unterzeichner des Memorandums im Nachhinein gelernt: „Franziskus führt die Kirche an die Ränder zu den Armen und Schwachen. Er hat die Menschen im Blick, die unter die Räder gekommen sind. Diese soziale Frage haben wir in unseren Forderungen nicht genug thematisiert.“

Doch bei allem Lob für den Papst aus Argentinien weiß Schüller auch, dass bei manchen Memorandum-Forderungen nicht mit Unterstützung von Franziskus zu rechnen ist: „Bei Frauenfragen wie dem Priesteramt bleibt er in der Spur der Vorgänger, hier ist die Tür zu. Und auch die Aufhebung des Pflichtzölibats ist unter Franziskus nicht zu erwarten“, sagt der Münsteraner bedauernd.

Würde er heute noch einmal ein ähnliches Memorandum wie im Jahr 2011 unterzeichnen? „Nein“, sagt Thomas Schüller – auch mit Blick auf die begrenzten Effekte. „Aber in der Vertrauenskrise vor fünf Jahren war es richtig, den Mund aufzumachen.“

Info

Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ (dpa) In ihrem Memorandum „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ forderten mehr als 300 Theologie-Professoren im Jahr 2011 tiefgreifende Reformen. „2011 muss ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden“, schrieben sie vor fünf Jahren.
  • Als Mittel gegen den Priestermangel forderten sie, verheiratete Männer sowie Frauen als Priester zuzulassen. Die Gläubigen sollten außerdem bei wichtigen Entscheidungen mitreden und vor allem mitentscheiden können. Gottesdienste müssten moderner werden, hieß es. Außerdem dürften Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene nicht ausgegrenzt werden.
  • „Wir wenden uns an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen“, betonten die Theologen.
  • Das Memorandum war bis zur Veröffentlichung geheim gehalten worden. Die deutschen Bischöfe wurden von dem Schreiben überrascht.
  • Es gab auch zahlreiche Entscheidungen gegen eine Unterschrift. So unterschrieb Prof. Dorothea Sattler von der Uni- Münster nicht, weil ihr die Kritik zu knapp und wissenschaftlich zu wenig unterfüttert war.






Wichtiges Signal
VON THOMAS SCHÖNERT

Frauen ist das Priesteramt weiterhin versagt, die Aufhebung des Pflichtzölibats nicht in Sicht und beim Thema Laien-Mitbestimmung besteht in der katholischen Kirche nach wie vor kein Grund zum Jubeln. Zentrale Forderungen des Memorandums von 2011 sind auch nach fünf Jahren weit von ihrer Realisierung entfernt. Doch der Aufruf der Theologen ist deshalb nicht gescheitert – im Gegenteil. Hier haben 300 Experten bekannte und längst überfällige Reform-Forderungen gestellt, Bestehendes kritisiert, weil es keinen Sinn macht und nicht zu den Lebensbedingungen der Menschen passt. Auch ohne sofortigen Erfolg ist dies erfreulich: Es zeigt das kritische Potenzial innerhalb der katholischen Kirche, regt zu Diskussionen und Nachahmungen an. Vielleicht höhlt der stete Tropfen den Stein. Insofern ist das Memorandum jenseits direkter Effekte ein wichtiges Signal.

Zuletzt geändert am 08­.02.2016