1970 / 21.2.2007

Joseph Ratzinger: Ehrenamtliche Priester aus engagierten Gemeinden

„Bleiben wird die Kirche Jesu Christi. Die Kirche, die an den Gott glaubt, der Mensch geworden ist und uns Leben verheißt über den Tod hinaus. Desgleichen kann der Priester, der nur noch Sozialfunktionär ist, durch Psychotherapeuten und durch andere Spezialisten ersetzt werden. Aber der Priester, der kein Spezialist ist, der nicht sich selber aus dem Spiele hält, während er amtliche Beratungen gewährt, sondern von Gott her sich den Menschen zur Verfügung gibt, für sie da ist in ihrer Trauer, in ihrer Freude, in ihrem Hoffen und in ihrer Angst, er wird auch weiterhin nötig sein.

Gehen wir einen Schritt weiter. Aus der Krise von heute wird auch dieses Mal eine Kirche morgen hervorgehen, die viel verloren hat. Sie wird klein werden, weithin ganz von vorne anfangen müssen. Sie wird viele der Bauten nicht mehr füllen können, die in der Hochkonjunktur geschaffen wurden.

Sie wird mit der Zahl der Anhänger viele ihrer Privilegien in der Gesellschaft verlieren.
Sie wird sich sehr viel stärker gegenüber bisher als Freiwilligkeitsgemeinschaft darstellen, die nur durch Entscheidung zugänglich wird. Sie wird als kleine Gemeinschaft sehr viel stärker die Initiative ihrer einzelnen Glieder beanspruchen.

Sie wird auch gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen: In vielen kleineren Gemeinden bzw. in zusammengehörigen sozialen Gruppen wird die normale Seelsorge auf diese Weise erfüllt werden.

Daneben wird der hauptamtliche Priester wie bisher unentbehrlich sein.


Aber bei allen diesen Veränderungen, die man vermuten kann, wird die Kirche ihr Wesentliches von neuem und mit aller Entschiedenheit in dem finden, was immer ihre Mitte war: Im Glauben an den dreieinigen Gott, an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, an den Beistand des Geistes, der bis zum Ende reicht.
Sie wird in Glaube und Gebet wieder ihre eigentliche Mitte erkennen und die Sakramente wieder als Gottesdienst, nicht als Problem liturgischer Gestaltung erfahren.

Es wird eine verinnerlichte Kirche sein, die nicht auf ihr politisches Mandat pocht und mit der Linken so wenig flirtet wie mit der Rechten. Sie wird es mühsam haben. Denn der Vorgang der Kristallisation und der Klärung wird ihr auch manche gute Kräfte kosten. Er wird sie arm machen, zu einer Kirche der Kleinen sie werden lassen. Der Vorgang wird um so schwerer sein, als sektiererische Engstirnigkeit genau so wird abgeschieden werden müssen wie großsprecherische Eigenwilligkeit. Man kann vorhersagen, dass dies alles Zeit brauchen wird. Der Prozess wird lang und mühsam sein, so wie ja der Weg von den falschen Progressismen am Vorabend der Französischen Revolution, bei denen es auch für Bischöfe als schick galt, über Dogmen zu spotten und vielleicht sogar durchblicken zu lassen, dass man auch die Existenz Gottes keineswegs für sicher halte, bis zur Erneuerung des 19. Jahrhunderts sehr weit war. Aber nach der Prüfung dieser Trennungen wird aus einer verinnerlichten und vereinfachten Kirche eine große Kraft strömen. Denn die Menschen einer ganz und gar geplanten Welt werden unsagbar einsam sein. Sie werden, wenn ihnen Gott ganz entschwunden ist, ihre volle, schreckliche Armut erfahren. Und sie werden dann die kleine Gemeinschaft der Glaubenden als etwas ganz Neues entdecken. Als eine Hoffnung, die sie angeht als eine Antwort, nach der sie im verborgenen immer gefragt haben. So scheint mir gewiss zu sein, dass für die Kirche sehr schwere Zeiten bevorstehen.

Ihre eigentliche Krise hat noch kaum begonnen. Man muss mit erheblichen Erschütterungen rechnen. Aber ich bin auch ganz sicher darüber, was am Ende bleiben wird: Nicht die Kirche des politischen Kultes, die schon in Gobel gescheitert ist, sondern die Kirche des Glaubens. Sie wird wohl nie mehr in dem Maß die gesellschaftsbeherrschende Kraft sein, wie sie es bis vor kurzem war. Aber sie wird von neuem blühen und den Menschen als Heimat sichtbar werden, die ihnen Leben gibt und Hoffnung über den Tod hinaus.“

Ratzinger, Joseph: Glaube und Zukunft, München 1970 (Kösel), Seite 122-123
Neuausgabe 2007 (Erscheinungstermin: 21.02.2007) ISBN: 9783466367535, EUR 15,95

Zuletzt geändert am 08­.02.2007