10.5.2016 - KNA

Brüsseler Erzbischof spricht sich für verheiratete Priester aus

Von Alexander Brüggemann (KNA)

Brüssel (KNA) Die kirchlichen Reizthemen wirbeln immer Staub auf, natürlich. Im Interview der niederländischen Wochenzeitung "De Zondag" hat sich der neue Erzbischof von Mecheln-Brüssel, Jozef De Kesel, für die Möglichkeit einer Priesterweihe von verheirateten Männern ausgesprochen. Er sei nicht für die Abschaffung des Zölibats an sich, aber für verheiratete Männer als Priester, so der belgische Primas. De Kesel erinnerte an die unierten katholischen Kirchen des Ostens, wo verheiratete Männer Priester werden könnten.

Die Argumentation ist keineswegs neu. Aber dass ein ranghöchster Vertreter einer traditionell theologisch hochstehenden Ortskirche öffentlich eine solch erwartbar streitbare Position einnahm, dürfte schon einige Zeit her sein. Selbstverständlich: Ein Teil dieses Mutes liegt sicher auch im kirchenpolitischen Kurs von Papst Franziskus begründet, offene Diskussionen in der Kirche zuzulassen und Denkverbote zu durchbrechen. Dass das nicht unmittelbar in theologischen Libertinismus und eine Umwertung aller Werte mündet, zeigt schon das Beispiel der doppelten Weltfamiliensynode und dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Und doch ist De Kesel, dem schon vor seiner Berufung ins belgische Hauptstadtbistum ein Ruf als Einbinder und Brückenbauer vorausging, keineswegs ein Umstürzler oder ein theologisierendes Irrlicht.

Mit seinem Vorstoß steht er in einer Traditionslinie seiner Vorgänger - und mitten in einer Kirchenkrise in seinem Land. Beispiel Kardinal Leo Suenens (1904-1996): ein Zugpferd der Kirchenreformer beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). Nach dem Konzil war Suenens ein lautstarker Opponent römischer Versuche, die Beschlüsse der Kirchenversammlung in einer konservativen Interpretation zurückzudrehen. Tatsächlich wandte er sich 1969 gegen das im Volksmund auch "Pillen-Enzyklika" genannte Schreiben "Humanae Vitae" Papst Pauls VI., das lehramtlich jede Art künstlicher Verhütung untersagte.

Für Suenens, einen der Väter des Konzilsdokuments über die Rolle der Kirche in der Welt von heute, war das eine krasse Fehlentscheidung. Bereits 1965 hatte er im Petersdom die Konzilsväter beschworen, der Kirche nicht mit einem Verbot der Pille einen "neuen Fall Galilei" einzubrocken. Und auch sonst drängte er auf teils unpopuläre Neuerungen. So gilt er als stärkster Befürworter der Altersbegrenzung für Bischöfe auf 75 Jahre. Zudem wünschte er sich eine Verschlankung der Regulierungen des Kirchenrechts.

Beispiel Godfried Danneels (82): Ebenso reformorientiert wie sein Vorgänger Suenens, sah sich der populäre Danneels - unvorsichtigerweise - bereits als "Papst Johannes XXIV.". Doch wurde er nicht gewählt. Zudem fiel ihm der Skandal um sexuellen Missbrauch in der belgischen Kirche auch persönlich auf die Füße. Seine bis zur Pensionierung 2010 vertretene liberale Agenda kam nicht über Belgien hinaus zum Tragen. "Zum Glück", sagen Kirchenvertreter, die eher den konservativen Kurs des nachfolgenden Erzbischofs Andre-Joseph Leonard (76) vertreten. Dessen Amtszeit (2010-2015) wird als eher glücklos beurteilt. Es gab ein nur wenig nach außen gekehrtes pastorales Wirken, aber auch massive Proteste aus der Bevölkerung und auch aus der Kirche gegen manche öffentliche Äußerung Leonards.

In diesem Geflecht steht De Kesel mit seinen jüngsten Äußerungen zum Zölibat, zum Dialog mit den belgischen Muslimen und der Sorge, dass die Menschen Religion vermehrt zu ihrer "Privatangelegenheit" machen wollten. De Kesel ist unter Suenens christlich sozialisiert, von Danneels geweiht und unter ihm Weihbischof gewesen. Zugleich war er Nachfolger (2010-2015) des im Pädophilie-Skandal gefallenen Bischofs Roger Vangheluwe als Bischof von Brügge.

Will der neue belgische Primas den Rollback des Rollback unter Leonard? Eine neue Aufsässigkeit der niederländischen und belgischen Kirche signalisieren? Wahrscheinlicher ist angesichts seines nachdenklichen Tons, dass er einer Kirche, der erkennbar die Felle wegschwimmen, neue Türen zum Dialog mit der Gesellschaft bauen will. Auf ihre Weise haben das auch all seine Vorgänger versucht. Das Interview im "Zondag" war womöglich eine Art Regierungserklärung.

Zuletzt geändert am 05­.09.2016