19.11.2008 - Wiener Zeitung

Ist die Kirche noch bei Mariatrost?

Von Heiner Boberski

Wirbel um Predigt Kardinal Schönborns zu "Humanae vitae".

Aufzählung Wiener Erzbischof spricht von "Sünde von uns Bischöfen".


Wien. Als "Sünde des europäischen Episkopats, der nicht den Mut hatte, Paul VI. mit Kraft zu unterstützen", hat Kardinal Christoph Schönborn das Verhalten europäischer Bischöfe im Jahr 1968 qualifiziert. In diversen Erklärungen zur gegen künstliche Empfängnisverhütung gerichteten Enzyklika "Humanae vitae" – in Österreich der "Mariatroster Erklärung" – hätten sie "den Sinn des Lebens im Volke geschwächt". Heute trügen "wir alle in unseren Kirchen und in unseren Diözesen die Last der Konsequenzen dieser Sünde".

Solche Aussagen des Wiener Erzbischofs in einer bereits im März in Jerusalem vor europäischen Bischöfen gehaltenen, aber erst kürzlich im vollen Wortlaut bekannt gewordenen Predigt erregen derzeit in der katholischen Kirche die Gemüter. "Das sind Sätze, die einen sprachlos machen", sagt der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer, es sei "unglaublich, dass eine solche Rede so lange unbeachtet bleiben konnte, dass keiner der anwesenden Bischöfe, keine Presseagentur den Inhalt an die Öffentlichkeit brachte".

Im seinerzeitigen Bericht der Katholischen Presseagentur ("Kathpress") wurde aus Schönborns Predigt zitiert, Europa habe "dreimal Nein zu seiner eigenen Zukunft gesagt" – durch die Ablehnung von "Humanae vitae", durch die Freigabe der Abtreibung und durch das Zulassen von Homosexuellen-Ehen. Der Sündenvorwurf an jene Bischöfe und Bischofskonferenzen, die 1968 in eigenen Erklärungen zu "Humanae vitae" auch dem Gewissen der Eheleute Platz eingeräumt hatten, fiel dabei unter den Tisch. Viele wurden erst hellhörig, als die Predigt im Herbst auf der Homepage der Erzdiözese Wien (http://stephanscom.at) veröffentlicht wurde.

Erich Leitenberger, "Kathpress"-Chefredakteur und zugleich Pressesprecher Schönborns, meinte zur "Wiener Zeitung", man müsse die Übersetzung der auf Italienisch gehaltenen Predigt ins Deutsche mit Vorsicht genießen, womit er aber ziemlich allein steht. Die Mariatroster Erklärung der Österreichischen Bischofskonferenz sei jedenfalls, so Leitenberger, oft nicht im Sinne ihrer Autoren verstanden worden, die keineswegs "die Türen für eine bequeme Lösung aufmachen wollten".

Kritik an Kardinal König

Doch Schönborns Vorwurf gilt nicht einer leichtfertigen Rezeption dieser Erklärung, sondern den Verfassern, an deren Spitze immerhin Kardinal Franz König stand. Der Paudorfer Pfarrer Pater Udo Fischer ist "erschüttert, dass Schönborn Kardinal König ein Nein zum Leben unterstellt", König habe sicher nicht zu einem Dammbruch in Europa beigetragen. Fischer ist sicher, dass "Humanae vitae" heute niemanden mehr aufrege und weist darauf hin, dass die Geburtenrate gerade in besonders katholischen Ländern wie Italien oder Polen heute sehr niedrig sei.

Hubert Feichtlbauer findet es "ungeheuer, dass zu den drei großen Sünden gegen das Leben im vorigen Jahrhundert nicht der Weltkrieg und der Holocaust, sondern die Einstellung zu ,Humanae vitae‘ gezählt wird". Es zeuge von "Naivität", wenn man annehme, alles wäre in Ordnung, wenn damals alle Bischöfe auf einer Linie mit dem Papst gestanden wären. Feichtlbauers Fazit: "Man muss vom Kardinal verlangen, dass er klarstellt, ob er zu dieser Predigt steht, dass er auch öffentlich seine Anliegen thematisiert und nicht nur auf Italienisch im Kreis von Bischöfen."

Könnte Schönborn eine offizielle Revision der Mariatroster Erklärung in der Bischofskonferenz durchsetzen? Dazu Udo Fischer: "Alles ist möglich. Weil Bischöfe oft nicht auf die Bibel und die Leute schauen, sondern an ihre Karriere denken und daran, wie sie in Rom gut dastehen." Er vermutet, Schönborn wollte mit seiner Predigt Rom eine Freude machen.

Zuletzt geändert am 20­.11.2008