10.6.2009 - welt-online.de

Das Fest der triumphierenden Kirche

Von Gernot Facius

Donnerstag ist Fronleichnam. Einst sollte es den Glanz des Katholizismus in die Welt bringen, heute ziehen Priester und Pfarrer gemeinsam zur Prozession

Martin Luther wäre verwundert, irritiert. Fronleichnam galt ihm als das "allerschädlichste Jahresfest", als durch und durch unbiblisch, die feierlichen, prunkvollen Prozessionen waren für den Reformator nichts anderes als Gotteslästerung. Heute schreiten vielerorts ein katholischer Priester und ein evangelischer Pastor unter dem Baldachin, der Katholik trägt die Monstranz mit der geweihten Hostie, der Protestant das Evangeliar, die Bibel.

Fronleichnam, das mittelhochdeutsche "vronlichnam" bedeutet "Herrenleib", strotzt nicht mehr von katholischem Triumphalismus. Umgekehrt ist das nicht mehr der Tag, da protestantische Bauern demonstrativ Dung auf ihren Feldern ausbrachten, während das Allerheiligste durch die Städte und Dörfer getragen wurde (Katholiken "revanchierten" sich, indem sie an evangelischen Feiertagen ihre Teppiche klopften). Diese Zeiten sind vorbei, ökumenische Koexistenz ist an die Stelle konfessionellen Kampfes getreten.

Ein typisch katholisches Fest ist Fronleichnam gleichwohl geblieben. Ein wechselvolles und ein vergleichsweise junges, erst 763 Jahre alt. Die frühesten Christen kannten die öffentliche Verehrung der konsekrierten Hostie nicht, in der Orthodoxen Kirche ist sie bis heute unbekannt. 1209, so geht die fromme Legende, sah die Nonne Juliana aus dem Augustinerinnenkloster auf dem Mont Cornillon bei Lüttich in einer Vision den Mond mit einem dunklen Fleck. Nach vielen Gesprächen mit Theologen deutete sie die Erscheinung als eine Weisung Christi: Der Mond stehe für das Kirchenjahr, der Fleck aber für das Fehlen eines eucharistischen Festes. Von der Vision der Ordensfrau angeregt, ließ Bischof Robert von Lüttich dieses Fest 1246 erstmals in seiner Diözese feiern. Papst Urban IV., als Jakob von Troyes bis 1251 Erzdiakon in Lüttich, Beichtvater und Vertrauter Julianas, erhob das "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" 1264 mit der Enzyklika "Transiturus de hoc mundo" zum allgemeinen Kirchenfest. Zum frommen Schaufest, zum "heiligen Spiel" der Priester; die Kirche verstand es eben, Herrschaftsrituale des Kaiserkultus zu übernehmen.

Das vierte Laterankonzil schuf 1215 mit der Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre die wichtigste Voraussetzung für den neuen Feiertag: Transsubstantion bedeutet, dass in der heiligen Messe Brot und Wein substanziell in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden und Gott darin gegenwärtig ist, auch wenn äußerlich die Brotgestalt und der Wein noch erhalten bleiben. Das Trienter Konzil (1545-1563) wertete das Fest weiter auf, gab ihm sein gegenreformatorisches Gepräge; Fronleichnam wurde zu einer Anti-Reformations-Demonstration. Das Konzil verkündete, dass an diesem Tag der Sieg Christi über den Tod, sein Triumph begangen werde, es griff auf den altrömischen Brauch zurück, den siegreichen Feldherrn mit einem Triumphzug zu ehren.

Es findet sich in den Konzilstexten aber auch ein Satz, der, wie Papst Benedikt XVI. noch als Kardinal Joseph Ratzinger schrieb, "unseren ökumenischen Ohren weh tut und der gewiss nicht unerheblich dazu beigetragen hat, das Fest bei unseren evangelischen Brüdern in Misskredit zu bringen". Gemeint ist die Trienter Aufforderung, Fronleichnam müsse den Triumph der Wahrheit derart darstellen, dass "deren Gegner angesichts solchen Glanzes und einer solchen Freude der ganzen Kirche entweder ... dahin schmelzen oder aber von Scham erschüttert endlich zur Einsicht kommen". Diese "Polemik" (Ratzinger) wurde oft als Freibrief für Ausschreitungen gegen Christen der reformatorischen Kirchen verstanden, auch Mord und Totschlag kamen vor, die sogar den Immerwährenden Reichstag zu Regensburg beschäftigten.

Im Zuge der liturgischen Erneuerung stellten sich immer mehr Katholiken die Frage: Ist es richtig, Eucharistie einmal im Jahr quasi als Staatsbesuch des Herrn der Welt mit allen Zeichen triumphaler Freude zu begehen, wo doch die Eucharistie im Abendmahlssaal zu Jerusalem eingesetzt wurde und von da her die Messe der rechte Ort des Dankes für dieses Sakrament ist? Die römische Ritenkongregation kam 1959 zu dem Schluss, die Prozession sei keine Liturgie, sondern eine fromme Übung ("pium exercitium"). Das Handbuch der Liturgiewissenschaft der Jahre 1963 bis 1965 erwähnt Fronleichnam in seiner Darstellung des Kirchenjahres überhaupt nicht. Aus Verlegenheit? Unter der Überschrift "Eucharistische Andachten" wird lediglich empfohlen, die Fronleichnamsprozession mit einer Krankenkommunion abzuschließen, denn eigentlich sei die Krankenkommunion der einzige Fall, wo ein Umzug mit der Hostie einen funktionellen Sinn habe. Für Joseph Ratzinger aber ein "eher abstruser Vorschlag".

Das "Hochfest des Leibes und Blutes Christi" hat viele Wandlungen durchgemacht, zumal in Deutschland. Eine kämpferische Demonstration katholischer Frömmigkeit war Fronleichnam zuletzt in den dunklen Jahren 1933-45. In der Zeit der politischen Aufmärsche der Nazis war die Prozession der Gläubigen durch die Stadt unter dem Banner ihres Führers Jesus Christus ein Akt politischen Widerstandes. Nach 1945, als die konfessionellen Milieus sich aufzulösen begannen, Katholiken und Protestanten immer mehr Gemeinsamkeiten entdeckten, erst recht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65), schwanden die letzten Reste eines katholischen Triumphalismus. Heute ist die Fronleichnamsprozession keine Demo gegen jemand. Sie steht für das Pilgern des Gottesvolkes durch die Zeit.

Dieses Weg- und Pilgermotiv haben auch Protestanten schätzen gelernt. Beim Evangelischen Kirchentag 1993 in München stellten die römisch-katholischen Christen ihr Fronleichnamsfest bewusst unter das Kirchentagsmotto "Nehmet einander an, wie Christus euch angenommen hat", Katholiken, Protestanten, Altkatholiken und Anglikaner zogen als "ökumenischer Weg" zum Marienplatz.

Das "Münchner Modell" hat inzwischen Schule gemacht. Beim Kirchentag 2001 in Frankfurt am Main und in vielen Städten und Gemeinden, überall dort, wo ein offenes ökumenisches Klima herrscht. Die konfessionellen Barrieren, die einem gemeinsamen Abendmahl oder einer eucharistischen Gastfreundschaft im Weg stehen, sind damit freilich nicht weggeräumt. Mit dogmatischer Strenge beharrt die Papstkirche auf ihrer Position: Erst Kirchengemeinschaft, dann Mahlgemeinschaft! So markiert das Fronleichnamsfest trotz aller schönen ökumenischen Gesten weiter die Bruchstellen zwischen Rom und Wittenberg.

Zuletzt geändert am 10­.06.2009