29.6..2009 - Imprimatur 42 (2009) 185-186

Hubertus Halbfas: Traditionsbruch und Neubeginn. Paradigmenwechsel am Ende der überlieferten Kirchengestalt

„(...) Ebenso deutlich wie unausweichlich ist der massive Rückgang des Klerus. Er vollzieht sich im mittleren und westlichen Europa, national zwar unterschiedlich, insgesamt aber dramatisch. Seit tausend und mehr Jahren bestehende Gemeinden können personell nicht mehr besetzt werden; die Zusammenlegung von drei, vier, fünf und mehr Gemeinden zu einem überörtlichen Seelsorgeverbund erlaubt aber keine aufbauende, differenzierte Gemeindepastoral ,mehr. Diese Entwicklung, die in ihrem personellem Sachstand nicht mehr umkehrbar ist - die Zahlen liegen für die nächsten dreißig Jahre fest - steuert auf einen Totalzusammenbruch der bisherigen Kirchenstruktur zu, d.h. auf ein Ende der Klerikerkirche. Dieser Prozess wird - zeitverzögert - auch die östlichen Nachbarn nicht auslassen.

Die Frage ist, ob diese Entwicklung nur negativ zu bewerten ist. Man darf davon ausgehen, dass bei bleibenden Nachwuchszahlen innerhalb der katholischen Kirche eine strukturelle Veränderung nicht zu erwarten sein wird. Derzeit ist offen, ob der innerhalb des bestehenden Systems nicht kompensierbare Klerikerschwund durch neue Rechte und Freiheiten von so genannten Laien ausgeglichen wird, was eine noch kaum überschaubare Veränderung der bisherigen Kirchengestalt im Gefolge haben würde. Es kann aber auch sein, dass diese Kirche sich durch ihre eigene Gesetzgebung und ihr Dogmenverständnis jeder fundamentalen Reformierbarkeit entzogen hat.

Diese letztere Möglichkeit hängt auch mit den sinkenden Nachwuchszahlen zusammen, insofern diese ein qualitatives Problem einschließen: Der spärlich nachwachsende Klerus stammt nämlich in der Regel nicht mehr aus den begabungsstarken Schichten der jungen Generation, wie zu Zeiten, als sich mit dem geistlichen Beruf noch sozialer Aufstieg und gesellschaftliches Ansehen verband. So bleibt zu erwarten, dass die Kirchen in Zukunft immer mehr von Menschen vertreten werden, die sich überfordert sehen, in der Auseinandersetzung mit Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft Position zu beziehen, und sich statt dessen auf tradierte Normen und Formeln beschränken. Das beschleunigt auf der einen Seite die wachsende kirchliche Ohnmacht und forciert auf der anderen die Suche nach neuen Möglichkeiten religiöser Erfahrung.

Binnenorientierung

Verschärft wird die aktuelle Kirchenkrise durch eine Binnenorientierung, die schon lange besteht, aber durch die beschriebenen Niedergangsmerkmale deutlich verschärft wird. Gemeint ist jene kirchliche Selbstklimatisierung, die trotz aller Fremdbeobachtung immer noch in erstaunlicher Weise gelingt, und zwar umso mehr, je stärker eine Identifikation mit Amt und Aufgabe vorliegt. Man mag dies intern als Tugend und Ausdruck der Verlässlichkeit ansehen, doch geht damit zugleich die Sensibilität verloren, das eigene Reden und Tun als auch das Erscheinungsbild der Kirche von außen noch wahrnehmen zu können. Man denkt, spricht und amtiert auf einer Ebene, auf der sich das Leben nicht mehr bewegt. Die Massenevents der jüngsten Zeit sollten darüber nicht hinwegtäuschen.“ (...)

in: Imprimatur 42 (2009) 185-186 / Nummer 4



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Zuletzt geändert am 03­.07.2009