10.09.2009 - Tages-Anzeiger

Die neue Zürcher Kirchenordnung setzt auf Mitsprache - und der Papst auf Dogmatismus

Von Fritz P. Schaller

Das Dilemma der Zürcher Katholiken

Als freie Bürgerinnen und Bürger katholischer Konfession werden wir am 27. September die neue Zürcher Kirchenordnung wahrscheinlich gutheissen. Sie erweitert die Minimalstandards der Mitsprache: Ein Pfarreiverantwortlicher muss sich der Volkswahl stellen, ob er nun Priester sei oder nicht, weiblich oder männlich. Und eine unabhängige Rekursinstanz soll künftig bei innerkirchlichen Konflikten angerufen werden können.

So weit, so gut! Bürgerrechtlich betrachtet, handelt es sich sowieso um Selbstverständlichkeiten.

Allerdings erstreckt sich die neue Kirchenordnung nur auf den Kanton Zürich. Sie gilt nicht einmal im Bistum Chur, zu dem Zürich gehört, geschweige denn in der übrigen Deutschschweiz. Hier beginnt das Dilemma: Am Anspruch des päpstlichen Kirchenrechts, die alleinige wahre, verbindliche und universale Rechtsordnung zu sein, auch für die Zürcher Katholiken, ändert die neue Kirchenordnung rein gar nichts.

Im Gegenteil: Der Churer Bischof Vitus Huonder bestätigt mit seiner Opposition gegen die Volkswahl der Pfarrer, sofern sie nicht geweihte Priester sind, eben dieses Kirchenrecht. Und seine mächtige rechte Hand, der scharfe Kirchenrechtler Martin Grichting, hat die Zürcher katholische Kantonalkirche schon als «Gegenkirche» verunglimpft. Man darf nicht übersehen, dass auch die rechte Hand von Papst Benedikt XVI., Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone, ein Kirchenrechtler ist.

Eine katholische Scharia

Kirchenrechtler regieren die Kirche. Der Kodex des katholischen Kirchenrechts (Codex iuris canonici, CIC), der seit 1918 in Kraft ist und 1983 revidiert wurde, lässt sich mit der Scharia im Islam vergleichen: Er ist bis in die Einzelheiten antidemokratisch, zentralistisch und hierarchisch. Er zementiert den absoluten päpstlichen Anspruch auf universale Rechtshoheit bis hinab zum einzelnen Katholiken. Eigentlich dürfte es die Zürcher katholische Kantonalkirche mit ihren demokratischen Bestimmungen gar nicht geben, weshalb Bischof Huonder Elemente der neuen Kirchenordnung in einem Schreiben an die Zürcher Regierung gar als «verfassungswidrig» bezeichnet hat.

Unerträglich für mündige Bürger und Christen ist insbesondere das kirchliche Eherecht. Es knüpft die Gültigkeit einer katholischen Ehe an anachronistische kirchliche Bedingungen und Instanzen. So lässt das Kirchenrecht zu, dass sich ein geschiedener Katholik wieder verheiraten darf, wenn er in erster Ehe nur zivil oder protestantisch, also «ungültig», getraut wurde. War er katholisch getraut, stürzt er sich dagegen in einen Zustand schwerer Sünde und kann nicht mehr gültig heiraten.

Nur Priester sind Pfarrer

Im Zeichen des gleichen Dogmen-Fundamentalismus haben nur Priester das Recht, sich Pfarrer zu nennen, wenngleich viele Pfarreien von Laientheologinnen und -theologen geleitet werden. Reformierte Pfarrer sind in diesem Sinn nicht Pfarrer, da sie als Nichtgeweihte nicht gültig Sakramente spenden können, die Taufe ausgenommen. Dies erscheint umso skandalöser, als anderseits die Bischöfe und Priester der Pius-Bruderschaft (Lefevbristen) als gültig geweihte Sakramentenspender anerkannt werden müssen.

Zugegeben: Die Praxis vor Ort, in den Kirchgemeinden, mildert manchen Fundamentalismus, auch den des Kirchenrechts. Das Prinzip aber bleibt: Die Gläubigen werden als Objekte der Hierarchie betrachtet, ohne Recht auf Information, Mitsprache und Mitentscheidung, Frauen sowieso. Die päpstlichen und bischöflichen Kurien bleiben unter sich.

Was bleibt der freien Bürgerin, dem freien Bürger anderes, als den CIC in der Praxis zu unterlaufen und die Standards der modernen Menschen- und Bürgerrechte auch vom Kirchenrecht einzufordern? Die neue Zürcher Kirchenordnung geht einen Schritt in diese Richtung. Sie befreit die Katholiken aber nicht aus dem grausamen Dilemma zwischen ihrer Würde als freie Bürger einerseits und dem kirchlichem Recht anderseits. * Fritz P. Schaller ist freier Theologe und Publizist in Küsnacht. Homepage: www.atelier-fuer-theologie.net (Tages-Anzeiger)

Zuletzt geändert am 11­.09.2009