5.6.2012 - www.spiegel.de

Scharfe Kritik vom Vatikan: Ordensschwester schreibt über Liebe und Sex

Masturbation? Kein Problem. Homosexualität? Kann gerechtfertigt sein. Die Unauflöslichkeit der Ehe? Muss hinterfragt werden. Diese Thesen der Autorin Margaret Farley verurteilt der Vatikan scharf. Dumm nur, dass die Amerikanerin Mitglied einer katholischen Ordensgemeinschaft ist.

Rom - Für den Vatikan ist die Sache klar. Das Werk beinhaltet "viele Irrtümer und Zweideutigkeiten", Aussagen seien mit "echt katholischer Theologie" unvereinbar und stünden im Widerspruch zum Katechismus. Die Autorin offenbare ein falsches Verständnis der Natur und der natürlichen Moralgesetze. Fazit: Das Buch stelle eine "große Gefahr für die Gläubigen" dar.

Die Kirchenoberen aus dem Vatikan erzürnen sich über das Buch "Just Love. A Framework for Christian Sexual Ethics" (etwa: "Einfach Liebe. Leitlinien für christliche Sexualethik") der Autorin Margaret Farley. Die Amerikanerin ist emeritierte Professorin für Sozialethik an der Universität Yale und Mitglied im Religiösen Orden der Schwestern der Barmherzigkeit. Ihr Werk erschien bereits 2006 - doch erst jetzt entfaltet es seine theologische Sprengkraft.

Die Ansichten Farleys hält der Vatikan für so schädlich, dass katholische Pädagogen das Buch in der Erziehungsarbeit nicht nutzen dürfen, wie die Glaubenskongregation am Montag mitteilte. Die Autorin zeige kein richtiges Verständnis von der Rolle des Lehramts der Kirche und habe mit ihrem Buch Verwirrung unter den Gläubigen gestiftet, heißt es in der fünf Seiten langen Erklärung. Farley ließ als Reaktion mitteilen, sie bestreite nicht, dass das Buch nicht in Übereinstimmung mit der derzeitigen offiziellen katholischen Lehre sei.

"Schwere Verderbtheit"

Das Werk war von katholischen Lehrern im Unterricht genutzt worden. 2008 hatte Farley für das Buch den renommierten Louisville Grawemeyer Preis bekommen, der für Bücher über Religion verliehen wird.

Farley rechtfertigt unter anderem Masturbation, homosexuelle Partnerschaften und Scheidungen. Sie argumentiert etwa, sexuelle Selbstbefriedigung werfe "keinerlei moralische Fragen" auf und befördere Partnerschaften eher, als diese zu erschweren. Die Glaubenskongregation sieht Masturbation hingegen als "ernstlich gestörtes Verhalten" an.

Zudem vertritt Farley die Meinung, homosexuelle Partnerschaften könnten "nach derselben Sexualethik gerechtfertigt werden wie heterosexuelle Verbindungen" und sollten daher "respektiert werden". Der Vatikan spricht jedoch von "schwerer Verderbtheit". Zur Ansicht Farleys, nicht alle Ehen könnten ein Leben lang halten, meint die Kirche, nur der Tod könne Ehen scheiden. Ohnehin sei generell "jede Bezugnahme auf Sexualität außerhalb der Ehe" zu verurteilen.

Jenseits einer reflexhaften "Tabu-Moral"

Auf eine erste Bewertung des Textes durch die Glaubenskongregation hatte die Autorin in einer für Rom "nicht zufriedenstellenden Weise" geantwortet. Daraufhin folgte eine gründliche Überprüfung des auf Englisch erschienenen Buches. Dafür benötigte der Vatikan Jahre. Wiederholt wurde Farley aufgefordert, ihren Text mit der Kirchendoktrin in Einklang zu bringen. Sie weigerte sich mit dem Hinweis, das Buch solle nicht die Lehre der Kirche verbreiten, sondern Lesern dabei helfen, sich jenseits einer reflexhaften "Tabu-Moral" zu bewegen und im Kontext von Gerechtigkeit, Weisheit und Liebe über Sexualethik nachzudenken.

Papst Benedikt XVI., bis 2005 Präfekt der Glaubenskongregation, hat die nun veröffentlichte Stellungnahme den Angaben zufolge gutgeheißen und ihre Veröffentlichung angeordnet. Ob die Kritik der Kongregation Folgen für Farley haben wird, lässt die Note offen.

Zusätzliche Brisanz bekommt der Fall dadurch, dass der Vatikan vor zwei Monaten die Dachorganisation der meisten amerikanischen Nonnen heftig kritisierte. Die Conference of Women Religious, die etwa 57.000 Nonnen repräsentiert, habe ernste Probleme mit der Doktrin und befürworte radikale feministische Themen, die mit dem katholischen Glauben unvereinbar seien.

ulz/AFP/dpa/Reuters

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/vatikan-kritisiert-ordensschwester-margaret-farley-fuer-buch-just-love-a-837020.html

Zuletzt geändert am 06­.06.2012