25.1.2013 - Süddeutsche Zeitung

Bangen um die Anhänger

Nach dem Missbrauchsskandal rücken auch die treuesten Katholiken von ihrer Kirche ab, wie eine Studie zeigt

VON MATTHIAS DROBINSKI

München – Was sich Katholiken von ihrer Kirche wünschen? Reformen wünschen sie, mehr Glaubwürdigkeit. Quer durch alle Milieus sagen sie, dass es so mit ihrer Kirche nicht mehr weitergehen kann, das zeigt eine Studie des Sinus-Instituts. Auch konservative und traditionell eingestellte Deutsche finden, dass viele Kirchenregeln lebensfremd sind, dass Frauen und Laien in der Kirche zu wenig zu sagen haben. Die Fälle von sexueller Gewalt haben auch bei kirchennahen Menschen das Vertrauen in die Institution erschüttert. Gerade bei den treuesten Anhängern ist der Imageschaden groß; viele zweifeln, dass die Bischöfe den Skandal richtig aufarbeiten.

Die Kirche soll offener werden – das wünschen fast alle, die da vom Sinus-Institut interviewt wurden. Sie soll aber ihre Identität bewahren und anders bleiben als der Rest der Welt. Denn trotz des furchtbaren Bildes, das die Institution abgibt, wollen doch nur wenige der enttäuschten Mitglieder austreten. Irgendwie halten sie ja die Kirche für wichtig, die Konservativen wegen der Werte, der Traditionen und der Kultur, die anderen, weil man die Zehn Gebote gut findet, phasenweise auch mal ins Innere hört, und außerdem möchte man ja vielleicht mal heiraten. Die kirchliche Lehre jedenfalls spielt bei den meisten nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die Kirche selber hatte die Studie über ihre Berateragentur Mediendienstleistungsgesellschaft (MDG) in Auftrag gegeben, das Geld kam vom Erzbistum München, der „Arbeitsstelle für missionarische Pastoral“, dem Militärbischofsamt und der Hilfswerke Misereor und Missio. Die Markt- und Sozialforscher von Sinus erstellten keine repräsentative Befragung, sie haben in die Tiefe gebohrt, 100 Katholiken aus zehn Milieus bis zu zwei Stunden lang darüber interviewt, wie sie es halten mit der Religion und ihrer Kirche; daraus ist das „MDG-Milieuhandbuch 2013“ entstanden. 2005 hat Sinus dies zum ersten mal für die Kirchen getan – damals waren die Ergebnisse und die in der Sozialforschung anerkannte Methode innerkirchlich hoch umstritten. Inzwischen aber nehmen sich 300 Kirchenmitarbeiter einen Nachmittag Zeit, um in der katholischen Akademie über die Ergebnisse der Studie zu diskutieren. Die Unsicherheit ist groß, man hofft, dass einem die Sozialforscher sagen, wie die Katholiken ticken.

Die gute Nachricht für die Kirche: Katholiken gibt es immer noch in allen Milieus. Überrepräsentiert sind sie, wenig überraschend, bei den Traditionellen und den Konservativ-Etablierten, unterrepräsentiert bei denen, für die das Leben ein großes Experiment ist – und im prekären Milieu. Für die Kirche ist das auch ein theologisches Problem: Sie predigt Solidarität mit den Armen, doch in den Gemeinden kommen sie vor allem als Objekt der Fürsorge vor. Das war allerdings schon 2005 so.

Doch es hat in den sieben Jahren zwischen den Befragungen durchaus dramatische Entwicklungen gegeben. „Am meisten hat uns überrascht, wie sehr in den kirchennahen Milieus der Unmut gewachsen ist, wie deutlich die Kritik an der Institution und vor allem der Führung geäußert wird“, sagt Marc Calmbach vom Heidelberger Sinus-Institut. „Die Glaubwürdigkeit der Institution hat unter der Aufdeckung und dem Umgang mit Missbrauchsfällen durch katholische Geistliche und Mitarbeiter massiv gelitten – gerade auch unter den treuesten Anhängern“, heißt es in der Studie. Dazu kämen die Gemeindezusammenlegungen, der Priestermangel, die Zurückdrängung der Laien. Die Vertrauenskrise ist im Kern der Kirche angekommen.

Dass es Kirchenmitglieder in allen Milieus gibt, heißt zudem noch lange nicht, dass sie den Lehren ihrer Kirche folgen. Die Forscher fanden allenfalls „noch Restbestände einer dem katholischen Katechismus verpflichteten Lebensführung“. Den Traditionellen, Konservativen und Teilen der bürgerlichen Mitte geben Glaube und Kirche „Rückhalt, Orientierung und Struktur“, ansonsten ist „bei vielen Befragten der Glaube individualisiert – und nicht an die katholische Religion gebunden“, heißt es im Milieuhandbuch; an die Stelle des Verbindlichen sei ein persönliches Glaubens-Patchwork entstanden. „Gerade junge Leute finden den allezeit lieben Jesus langweilig“, sagt Calmbach, sie fragen: War der nicht auch experimentell?“

Trotz aller Kritik: Die Katholiken erwarten nach wie vor viel von ihrer Kirche. Quer durch alle Milieus wünschen sie spirituelle Orientierung und Sinnvermittlung, seelsorgliche Begleitung, fröhliche Mitkatholiken und die Aussicht auf ein tröstliches Ende samt kirchlichem Begräbnis. Und wenn es mehr Kompetenzen für engagierte Laien gäbe, mehr Frauen in Leitungsämtern, eine andere Einstellung zur Sexualität, weniger Prachtentfaltung und mehr Gottes- und Nächstenliebe – ja, dann könnte man sie sogar irgendwie gut finden, die Kirche. Es gibt auch keine Revolutionsstimmung unter den Katholiken, die Reformation 2.0 findet vorerst nicht statt. Und die Konsequenzen?

Eine bessere Kommunikation, mehr persönliche Gespräche, engagierte Laien einbeziehen, mehr Bischöfe in den Medien – es sind praktische Dinge, die Georg Frericks von der MDG vorschlägt, der Projektleiter der Studie. Bei den weitergehenden Fragen nach dem Zölibat, der Sexualmoral, dem Priestertum der Frau müssten „andere die Bälle aufgreifen“.

Die Sozialforscher haben in die Tiefe gebohrt und 100 Gläubige zwei Stunden lang befragt

„Gerade junge Leute finden den allezeit lieben Jesus langweilig“, sagt ein Experte

Zuletzt geändert am 25­.01.2013