Peter Hertel: Guerilla und Panzer

Machtspiele vor der Papstwahl

Die Papstlotterie der Medien kennt zwar mehrere Beziehungskisten der Kardinäle: beispielsweise italienische Wahlmänner, die diesmal wieder einen Landsmann als Papst bekommen und einen Amerikaner verhindern möchten; Afrikaner und Lateinamerikaner, die meinten, jetzt sei einer der Ihren an der Reihe; die römische Kurie, die 31 wahlberechtigte Kardinäle stellt und ihre Macht verteidigen wolle; und der Papst selber wünsche als Nachfolger den Kurienkardinal Marc Ouellet aus Kanada.

Doch wie stets wird es auch diesmal bei der Papstsuche im katholischen Oberhaus nicht um römische Freundschaften oder kontinentale Präferenzen, sondern um theologische Weichenstellungen und kirchenpolitische Macht gehen. Eine rührige Seilschaft im Dunstkreis der Bewegung „Movimento di Comunione e Liberazione (Gemeinschaft und Befreiung)“ und der Organisation Opus Dei (Werk Gottes) wird dabei jedoch kaum wahrgenommen, weil sie hinter den Kulissen agiert.

Lange waren sich diese beiden reichsten und mächtigsten Organisationen der katholischen Kirche nicht geheuer. Doch unter Papst Johannes Paul II. (1978-2005) haben sie sich mehr und mehr angenähert. Um 1990 machte der Priester Luigi Giussani, der Mailänder Gründer von „Comunione e Liberazione“, der römischen Zentrale des spanischen Opus Dei einen Freundschaftsbesuch. Hinterher ließ er wissen: „Wir von CL sind die Guerilla … Aber sie, die Leute vom Opus Dei, sie haben die Panzer. Sie gehen mit ihren Panzern voran, auch wenn sie die Raupenketten mit Gummireifen verkleidet haben. Sie machen keinen Lärm, aber sie sind da, und wie!“

Die Wahl des Papstes Benedikt XVI. haben die frommen Panzer, wie später herauskam, stark angefeuert. Drei Kurienkardinäle, die dem Opus Dei verbunden waren, dienten als geheimer Planungsstab. Nach weiteren acht Jahren ist auch die Guerilla zur Stelle. Unter den 115 Kardinälen, die im März den neuen Papst wählen, hat die dem Opus Dei nahe stehende Gruppe etwa 40 Anhänger, die der CL etwa 20. Opus Dei und CL, die in Gefilden des katholischen Fundamentalismus siedeln, wollen einen Papst, der ihre Ziele stützt und fördert. Ihr Ideal: eine in sich geschlossene Kirche und eine katholisch geprägte Gesellschaft, wie es Giussanis berühmte Forderung zeigt: „Eine Taufe, ein Glaube, eine Partei“. Sie lassen starke Vorbehalte gegenüber Nicht-Katholiken erkennen, insbesondere gegenüber der protestantischen Theologie, die in die katholische Kirche eindringe. Ihre schlagkräftigen und finanzstarken Institutionen, die sie in der Gesellschaft errichtet haben, verschaffen ihnen Kapital, Besitz und damit kirchliche Macht. Sie mischten auch in der Politik ihrer Heimatländer mit, gerieten aber in Skandale, durch die sie zurückgeworfen wurden: Opus Dei unter Franco in Spanien, CL mit seiner politischen Bewegung ”Movimento Popolare” beim Untergang der Democrazia Cristiana (DC) in Italien.

Doch dann wurde ihr Aufstieg forciert. Unter Papst Johannes Paul II. wurde das Opus Dei gezielt gefördert. Opus-Mitglieder hatten der ins Zwielicht geratenen Vatikanbank finanziell aus der Klemme geholfen. Benedikt XVI. setzte den Opus-freundlichen Kurs fort. Aber noch stärker fühlt er sich der CL verbunden. 2005 war er – noch vor seiner Wahl zum Papst – nach Mailand gereits, um den verstorbenen CL-Gründer Giussani beizusetzen. Sein Assistent, Georg Gänswein („Il bello Giorgio“ – Der schöne Georg), war Dozent in der römischen Universität des Opus Dei. Er sorgte aber auch dafür, daß vier italienische Frauen aus der CL-Bruderschaft „Memores Domini“ in die enge Umgebung des Papstes einrückten. Der deutschen Musikprofessorin Ingrid Stampa, die schon dem Kardinal Ratzinger den Haushalt geführt und ihm bei der Übersetzung seiner Werke zur Seite gestanden hatte, wurde deshalb der Stuhl vor den Päpstlichen Palast gesetzt.

Nachdem Papst Benedikt seinen Rücktritt erklärt hatte, machte die Bewegung CL ihrer Klientel deutlich, worauf sie setzt. „Bewegt durch die Ankündigung des Papstes und noch mehr durch unsere Verantwortung“, so ließ sie wissen, werde sie „intelligent und leidenschaftlich dem Charisma des Vaters Giussani“ folgen. Dabei sieht sie sich durch zehn Würdenträger unterstützt, die sie namentlich nannte. Fünf davon gehören zu den etwa 15 Kardinälen, die „papabile“ sind – also als wählbar für das Papstamt gelten und auf den Wettlisten der Buchmacher stehen: Angelo Bagnasco (Genua), Timothy Dolan (New York), Odilo Scherer (São Paulo), Christoph Schönborn (Wien) und Angelo Scola (Mailand). Nicht erwähnt wurde Kardinal Ouellet, Kandidat Benedikts XVI. für seine Nachfolge und Freund des 2005 verstorbenen CL-Gründers Giussanis.

Dolan, Bagnasco und Scherer unterhalten auch Kontakte zum Opus Dei. Diese Offenheit nach beiden Seiten lässt sie als Bindemittel innerhalb der mächtigen Seilschaft und umso eher als heiße Favoriten für die Papstwahl erscheinen. Dem Opus Dei stehen von den „Papabile“ nahe: Joao Braz de Aviz (Brasilien-Vatikan), George Pell (Sidney), Gianfranco Ravasi (Italien-Vatikan), Luis Antonio Tagle (Manila) und Jean Louis Tauran (Frankreich-Vatikan). Unter den Papstwählern lassen sich zwar nur Kardinal Scola der CL und Kardinal Cipriani Thorne (Lima) dem Opus Dei direkt zuordnen. Aber viele haben in den vergangenen Jahren offen mit den beiden Organisationen sympathisiert. Andere Mitglieder des katholischen Senats agieren trotz grundsätzlichen Wohlwollens vorsichtig, üben diplomatisch Diskretion, fördern nur punktuell eine oder beide Organisationen. Doch aus vielen gesammelten Mosaiksteinen lässt sich als Bild erkennen:

Der künftige Papst wird aus den etwa 60 Purpurträgern hervorgehen, die den beiden Organisationen nahe stehen und sich untereinander weitgehend kennen. Allerdings wird die Seilschaft nicht einfach einen Hardliner durchsetzen können. Denn Benedikt XVI. hat 2007 bestimmt, daß die absolute Mehrheit nicht mehr – wie bei seiner eigenen Wahl – reicht, sondern daß die Zweidrittelmehrheit der 115 Wahlmänner, also 77 Stimmen, notwendig ist.

Ebenso steht aber auch fest, daß der neue Heilige Vater nicht an Guerilla und Panzer vorbei auf den Thron gehievt werden kann. Und falls er es dann überhaupt wollte: es dürfte ihm nicht möglich sein, an der mächtigen Seilschaft vorbei zu regieren; oder gar im Vatikan „aufzuräumen“, wie nicht wenige Katholiken es sich nach den jüngsten Affären und Spekulationen um Sex und Dokumentenklau erhoffen. Die vatikanischen Dienststuben sind mit Mitgliedern und Sympathisanten beider Organisationen durchsetzt. Und das Geld, über das die Streitmacht verfügt, mit dem sie dem Vatikan gegebenenfalls zur Seite steht und kirchenpolitische Ziele dirigieren kann, verleiht ihr schier unbezwingbare Macht.

Peter Hertels Buchveröffentlichungen u.a.:
Schleichende Übernahme – Das Opus Dei unter Papst Benedikt XVI., 2007
Glaubenswächter – Allianzen/Instanzen/Finanzen, 2000

Zuletzt geändert am 05­.03.2013