18.3.2019 - Kölner Stadt-Anzeiger

„Vertrauen aufs Schwerste erschüttert“: Kölner Seelsorger richten Brandbrief an Woelki

In der Diskussion über die Zukunft der katholischen Kirche zeichnen langgediente Kölner Seelsorgerinnen und Seelsorger ein dramatisches Bild der Lage und treten für konkrete Reformen auch im Erzbistum Köln ein.

Der Skandal sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche habe „vielen Menschen unsäglichen Schaden zugefügt“ und das Vertrauen in die Kirche aufs Schwerste erschüttert, heißt es in einem offenen Brief von hauptamtlichen Pastoral- und Gemeindereferenten an Kardinal Rainer Woelki. „Wir machen in unserer täglichen Arbeit wie auch in unseren Familien und Freundeskreisen die schmerzhafte Erfahrung, dass die Kirche – auch die Kirche von Köln – ihre Glaubwürdigkeit und ihre Autorität verloren hat.“

Die Seelsorger, die ihre Ausbildung in den Jahren von 1985 bis 1988 absolvierten und damit seit mehr als 30 Jahren im kirchlichen Dienst stehen, beschreiben in ihrem Brief ein Hadern vieler Menschen jeden Alters mit der Kirche. Die Kirche werde als „verlogen, als lebensfremd, als rückwärtsorientiert“ wahrgenommen. „Diese Menschen erleben eine Kirche, die ihnen nicht dient, die keine ernstzunehmende Orientierung mehr gibt, die nur noch um sich selber kreist.“ Der Brief, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, spricht zudem von der Enttäuschung nicht weniger Christen, aber auch von Seelsorgern über den „Rückschritt“ ihrer Kirche in den vergangenen Jahrzehnten, betont demgegenüber aber auch die Bereitschaft zum Einsatz für die Kirche und die Menschen.

Die Seelsorger klagen darüber, dass die Bistumsleitung ihre Qualifikationen und Fähigkeiten nicht nutze oder nicht nutzen wolle. Konkret sprechen sie in ihrem Brief die Kompetenz in Leitungsfunktionen, in der Verkündigung und in der Begleitung von „Menschen in schwierigen Situationen“ an. Sie schlagen dem Erzbischof deshalb unter anderem vor, die Möglichkeiten der Sakramentenspendung auf die hauptamtlichen Laien auszuweiten und diese mit Leitungsaufgaben in den Gemeinden zu betrauen.

Bischöfe missachten gesellschaftliche Veränderungen

Deutliche Kritik üben die Seelsorger an mangelnder Beweglichkeit der Bischöfe. Diese täten sich schwer damit, „die gesellschaftlichen Veränderungen in unserer Zeit zu respektieren und positiv damit umzugehen“. Ausdrücklich genannt werden hier unter anderem die Rolle der Frau, neue Formen von Familie und die sexuelle Orientierung der Menschen. Entsprechend lautet eine Forderung des Briefes, die „Lebensformen der Menschen“ – damit sind nicht-eheliche Partnerschaften und homosexuelle Beziehungen gemeint – anzuerkennen, „statt Menschen auszuschließen“. Außerdem fordert der offene Brief die Kölner Kirchenleitung zu neuen Anstrengungen in der Ökumene auf. Es gehe darum, sich neu dem Dialog mit den anderen christlichen Kirchen zu öffnen, „um die Spaltung zu überwinden“.

Der Brief wird derzeit nach Angaben der Kölner Gemeindereferentin Marianne Arndt, die als Sprecherin der Verfasser auftritt, unter allen nicht-geweihten hauptamtlichen Seelsorgern im Erzbistum verteilt. Von den insgesamt 300 Männern und Frauen erhoffen sich die Initiatoren weitere Unterstützung.

Lesen Sie hier den gesamten Brief

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Sehr geehrter Herr Kardinal,

wir, die Unterzeichner*innen, wenden uns mit diesem offenen Brief an Sie, weil wir die Kirche, in der wir als Gemeinde- und Pastoralreferent*innen teilweise seit mehr als dreißig Jahren mitarbeiten, lieben. Die Kirche ist unsere Heimat, sie bietet uns die Möglichkeit, mit ganzer Kraft und großer Freude die Frohe Botschaft den Menschen zu verkünden.

Die älteren unter uns haben ihren Dienst in einer Zeit begonnen, als die Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Würzburger Synode in den Gemeinden und Verbänden zu wirken begannen. Voller Begeisterung und mit großem Einsatz haben sie die Aufbrüche in der Liturgie, in der Ökumene, in der Mitverantwortung in der Pastoral mitgetragen und weiterentwickelt.

Vor nunmehr vier Jahren haben Sie, Herr Kardinal, die geistliche Erneuerung der Pastoral in unserem Erzbistum ausgerufen. Sie haben die Getauften und Gefirmten ebenso wie die hauptberuflichen pastoralen Dienste aufgerufen, den Pastoralen Zukunftsweg zu gehen. Hier erlauben wir uns einige kritische Gedanken. Unser Ziel ist es, mit Ihnen und allen Verantwortlichen die Kirche von Köln weiterzuentwickeln.

Zuletzt geändert am 20­.03.2019