14. März 2022 von Hans-Albert Link

Gedanken zum Angriffskrieg in der Ukraine

Das schlimme am Angriffskrieg in der Ukraine ist, dass er nicht mit einer säkularen Weltrevolution begründet  wird, sondern mit einer nationalistisch gewendeten Staatsreligion. Patriarch Kyrill legitimiert den  Angriffskrieg Putins mit der Idee eines Großrussischen orthodoxen Reichs,  das wieder erreichtet werden soll. Es sei als  Abwehr des dekadente Westen notwendige. Dieser Westen habe durch seinen Liberalismus und die Homosexualität die angeblich wahren christlichen Werte zerstört. Gegen diese Teufelei muss Krieg geführt werden. Die wahren christlichen Werte sollen wieder durchgesetzt werden, die Familie muss gerettet werden, die traditionelle Reinheitsideologie  gegen Homosexualität muss durchgesetzt werden. Ziel ist ein einfach strukturiertes Menschenbild, in dem klar ist, was gut und böse ist. Dazu gehört der Machomann als Oberhaupt der Familie. Alles was dem Wohl dieses Reiches dient ist gut.  Dem hat sich der Einzelne unterzuordnen.     

Ähnliche Töne kommen aus der römischen Kirche. Säkularisation,  Liberalismus, Sexismus, die bösen 68er haben den Glauben zerstört und die Grundfesten der Kirche erschüttert.     Forderungen von Bischöfen auf Änderung von Sexualmoral und Zulassung von Priesterinnen  gehen ins Leer.  Allein der Papst entscheidet. So wie es aussieht, will er keine Veränderung. Hilfreich für ihn sind die Torschlagargumente wie Rücksicht auf die Weltkirche und Evangelisierung. Durch Evangelisierung und  bildendem Gehorsam soll eine neue, alte Kirche, wie vor dem 2. Vatikanischen Konzil wiederhergestellt werden. Sexueller Missbrauch - bedauerliche Einzelfälle. Der Teufel war schuld.  Er hat von den Tätern Besitz ergriffen. Wenn`s der Teufel war, war es nicht der missbrauchende Priester oder das System Kirche. Mit dem Konstrukt Teufel kann die eigene Verantwortung bequem nach außen, vom System weg verlagert werden. Die Täter haben halt nicht richtig und gut gebetet.

Die Parallelität der Systeme, die ihre Rettung in rückwärtsgewandten Strukturen suchen, ist groß. Das liegt Heil in der Vergangenheit!

Die Päpste forderten insbesondere seit Johannes Paul II.  die Einhaltung der Menschenrechte, den Einsatz für die Armen, die Parteinahme für die Armen. Die Päpste forderten von anderen, dass sie sich ändern sollten. Andere sollten Macht, Einfluss, Gewinne abgeben und, Finanzstrukturen dazu ändern. Diese Forderungen kostete die Päpste nichts. Andere sollten sich ändern. Nicht aber die Kirche. Sie hatte und hat keine Umkehr, keine Änderung nötig außer ein paar Schönheitsoperationen. Die Menschenrechte haben im Vatikan nur begrenzt Gültigkeit. Gleichheit der Geschlechter - Fehlanzeige. Wie die aktuellen innerkirchlichen Konflikte zeigen: Nichts gewesen außer nichtssagenden Ankündigungen. Der Papst ist nicht bereit Macht abzugeben. Von anderen, der bösen Welt, fordert er das. Dagegen muss die ständische monarchistisch absolutistische Struktur, die sich aus längst untergegangenen historischen Epochen in die Gegenwart geschlichen hat,  in der Kirche um jeden Preis erhalten werden. Nur 0,04 % der Katholiken, die Kleriker, haben einen Exklusivvertrag mit dem Hl. Geist. Nur sie verfügen über den Zugang zu ewigen Wahrheiten, insbesondere der Papst. Der Papst bestimmt was Tradition ist und was nicht, unabhängig davon, ob es im Gegensatz zur kritischen Historie steht. Änderungen werden mit dem Argument der Weltkirche auf den St. Nimmerleinstag verschoben und eine Evangelisierung der Laien gefordert. Der Klerus, insbesondere der Höher, braucht das natürlich nicht. Denn er befindet sich bereits im Besitz der Wahrheit.

Sobald es den Papst, den Vatikan etwas kostet, etwa Einbuße an Macht, Verlust der Deutungshoheit über Tradition und Exegese  dann erfolgt das päpstliche "Njet"! Und dann erzählt Rom etwas über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Universalität der Menschenrechte, Freiheit von Forschung und Lehre. Wie gesagt. das gilt nur für Andere!

Es fallen immer noch genug Katholiken und Vertreter anderer Konfessionen auf diese Propaganda Roms herein. Die Angst vor der großen inhaltlichen Leere, der Verlust der bisher tragenden Ideologie ist riesengroß. Die Angst, sich dem Nichts zu stellen und ohne Vorbehalte nach einem neuen tragendem Grund zu suchen, überfordert offensichtlich auch viele, die sich als Intellektuelle des Christentums verstehen.

Das Sponti Mottos der 68ger: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt, Macht kaputt, was euch kaputt macht! Gilt das nur für den Kapitalismus und das kapitalistische System, wie es damals gemünzt war? Darf sich die Ukraine nicht mit Waffen gegen Putin wehren? Manchmal habe ich den Eindruck, dass gerade linke Pazifisten dies am liebsten hätten. Muss Pazifismus heute nicht neu definiert werden?

Vor Corona wurde heftig in der Öffentlichkeit diskutiert, ob sich die Bundeswehr Drohnen, insbesondere Kampfdrohnen anschaffen darf. Es geht ja bei Drohnen nicht nur um Flugzeuge, sondern auch um Schiffe und Landfahrzeuge. Die elektronische Kriegsführung, die über die Netze die ganze öffentliche Infrastruktur lahmlegen kann, ist überhaupt noch nicht ins Bewusstsein getreten. Davon wäre z.B. nicht nur die Strom- und Wasserversorgung, sondere auch das Gesundheitswesen, Bahn und Flugverkehr (z.B. Navigations- und Landesysteme), Lebensmittelproduktion und alle Kommunikationsnetze bis hin zum Internet betroffen. Auch ein solcher Krieg würde ungezählte zivile Opfer fordern.     

Um es ketzerisch und deutlich zu sagen: Bei Entwicklungen in der Rüstung dürfen wir nicht schlafen! Frieden schaffen ohne Waffen? Solange es Autokraten gibt, wird das nicht möglich sein. So ehrlich sollten wir sein. Auch in einem Verteidigungskrieg machen wir uns schuldig. Nicht nur der Aggressor, auch der Verteidiger trifft und tötet Unschuldige, auch Kinder. Jede Waffe kann missbraucht werden, auch die, welche zur Verteidigung produziert wurden und werden.

Natürlich bleibt das Thema Waffenexport weiter virulent. An wen liefern wir? Wohl auch an Autokarten und Diktatoren. Argument: unsere Rüstungsindustrie muss ausgelastet sein, damit wir sie für uns erhalten  können. All das sind Fragen, auf die, so behaupte ich, es keine Patentantworten gibt. Auch der Westen hat mit fragwürdigen Argumentation sich in Konflikte vor Ort eingemischt. Unsäglich ist in den USA das individuelle Recht auf Waffenbesitz. Wie in der Kirche beruft sich in den USA gerade der konservative Teil der Bevölkerung auf  die Traditionen. Der freie Bürger darf Waffen besitzen um sich zu verteidigen. Die Folge: ein "Kultur der Amokläufer". Welche Chance hat dort eine Friedensbewegung sich gegen diese "Traditionen" durchzusetzen? Selbst wenn es theoretisch ein Staatsmonopol auf Waffen gibt: auch bei uns kommt jeder, der will, an Waffen, siehe den Attentäter von Hanau.

Zwei perspektivischen Frage sollten wir uns schon jetzt stellen:

  1. Was wird aus Taiwan? Welche Schlüsse zieht China aus dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine? Will China es "besser" machen? Es geht ja, machtpolitisch gesehen nicht nur um Taiwan, sondern um die Seestraße zwischen Taiwan und China. Wer diese Seestraße kontrolliert, kontrolliert ein sehr wichtige Ader des Seehandels. Kann die USA das hinnehmen? Wären wir dann einem 3. Weltkrieg noch näher als jetzt?
  2. Was ist, wenn in den USA auf Biden wieder Trump oder eines seiner Kinder im Geiste folgen sollte? Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Präsident aus der Nato austritt. Trump hatte dies ja schon erwogen. Dann wird Europa sich auf seine eigenen Kräfte verlassen müssen, noch mehr Geld als jetzt in die Rüstung und eine atomare Abschreckung stecken. Es sei denn, wir sind bereit uns bedingungslos einem Aggressor wie Putin zu unterwerfen und zu kapitulieren. Die Zukunft wird uns noch einiges abverlangen.

Hans-Albert Link, Hanau

Zuletzt geändert am 16­.03.2022