Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft katholischer Kirchenhistoriker im deutschen Sprachraum zur Selig-sprechung Pius' IX

 

Einstimmig hat sich die Arbeitsgemeinschaft katholischer Kirchenhistoriker im deutschen Sprachraum bei ihrer Vollversammlung am 13.6.2000 in Innsbruck aus historischen Gründen gegen die im Herbst anstehende Seligsprechung Pius' IX. (1846-1878) ausgesprochen. Neben erheblichen menschlichen Schwächen, die dem geforderten Tugendgrad eines Seligen widersprechen, wurde besonders auf seine prinzipielle Ablehnung von Menschenrechten wie Gewissens-, Religions- und Pressefreiheit im Syllabus errorum (1864) hingewiesen. Pius IX. war zudem Vertreter eines Antijudaismus, wie er sich etwa in der Wiedererrichtung des römischen Ghettos zeigt. Seine übersteigerte Vorstellung vom Papstamt gipfelte in der Äußerung: "Die Tradition bin ich". Damit steht er im Widerspruch zum II. Vaticanum sowie zu Lehre und Praxis Johannes Pauls II. Die Kirchenhistoriker befürchten, dass durch die Seligsprechung Pius' IX. innerkirchliche und ökumenische Spaltungen vertieft statt ausgeglichen werden.

Die Arbeitsgemeinschaft katholischer Kirchenhistoriker im deutschen Sprachraum hat am 13.06.2000 in Innsbruck einstimmig folgende Stellungnahme verabschiedet:

Aus historischer Sicht müssen wir gegen die für den 3. September diesen Jahres geplante Seligsprechung Papst Pius' IX. (1846-1878) erhebliche Bedenken anmelden.

1. Neueste kirchenhistorische Forschungen sind beim Seligsprechungsverfahren ignoriert worden. Dazu gehört vor allem die dreibändige Monographie von Giacomo Martina sowie eine Reihe von Texteditionen und Darstellungen zum 1. Vaticanum. Diese zeigen menschliche und geistliche Defizite des Papstes, die einer Seligsprechung im Wege stehen. Niemand zweifelt dabei an der persönlichen Frömmigkeit und Lauterkeit Pius' IX. Auch steht seine von den Zeitgenossen gerühmte persönliche Liebenswürdigkeit außer Zweifel. Es sind auch nicht in erster Linie seine emotionalen Ausbrüche und Entgleisungen, die eine Seligsprechung unvertretbar machen. Es ist vielmehr - insbesondere nach der Revolution von 1848 und dem Scheitern des "liberalen Experiments" im Kirchenstaat - sein völliger Verzicht auf nüchterne Zeitanalyse und geduldige Differenzierung: in einer oft groben Schwarz-Weiß-Malerei sah er überall nur Gott oder den Teufel, "Christus oder Belial" am Werke. Man kann dies nicht mit der Verteidigungssituation der Kirche entschuldigen; denn es gab damals eine Reihe von Bischöfen und Kardinälen, die einen weiteren Blick hatten. Jedenfalls offenbart das Verhalten des Papstes einen Mangel an der Tugend der "Klugheit", der für das Papstamt so gravierend ist, daß er einer Seligsprechung im Wege steht und ein Zerrbild von "Heiligkeit" fördert, das menschlich unglaubwürdig ist.

2. Eine Seligsprechung ist nicht nur die Anerkennung individueller christlicher Lauterkeit. Sie ist zugleich Zeichen für die Kirche von heute. Welches Signal soll durch die Seligsprechung Pius' IX. gegeben werden? Für den Historiker, der dieses Pontifikat kennt, kann es sich nur um eine Desavouierung all der Erklärungen und Bekenntnisse handeln, die das Zweite Vatikanische Konzil und Papst Johannes Paul II. zu den Menschenrechten, zur Ökumene und zum Verhältnis Kirche und Juden gegeben haben.

  • Die Schutzbehauptung, Pius IX. habe im "Syllabus" (1864) lediglich einen kirchenfeindlichen Liberalismus bekämpft, trifft die historische Realität nicht. Die Forschungen Martinas belegen, daß der Papst vor allem den "katholischen Liberalismus" treffen wollte, der keineswegs bequemer Anpassung der Kirche an den Zeitgeist das Wort redete, sondern die Kirche in einer Welt, die um den Wert der Freiheit kreiste, glaubwürdig machen wollte. So wurde etwa der französische Laie Charles de Montalembert, dessen Bekenntnis zur Religionsfreiheit die Erklärung "Dignitatis Humanae" des II. Vaticanums vorwegnimmt, in der Enzyklika Muanta cura" verurteilt. Die Seligsprechung Pius' IX. wirkt als eine nachträgliche Bestätigung des Syllabus und entkräftet das Bekenntnis der Kirche zu Werten wie Gewissens- und Religionsfreiheit. Zugleich wäre die Seligsprechung des Papstes, der sich der nationalen Einigung Italiens widersetzte, ein Schlag gegen den italienischen Staat. Sie würde neue Polarisierungen in die italienische Gesellschaft hineintragen und Wunden wieder aufreißen, die nach den Lateranverträgen von 1929 geheilt schienen.

  • Die Wiedererrichtung des römischen Ghettos 1850 und der "Fall Mortara" (im Kirchenstaat wurde 1858 ein in Todesgefahr ohne Wissen seiner Eltern getauftes jüdisches Kind seinen Eltern weggenommen) sind Zeichen einer anti-jüdischen Haltung, die weder dem II. Vaticanum noch der Haltung des jetzigen Papstes entsprechen und kein Vorbild in der heutigen Kirche sein können

3. Mit der gleichzeitigen Seligsprechung der beiden Konzilspäpste Pius' IX. und Johannes' XXIII. soll ein Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit des I. und des II. Vaticanums abgelegt werden. Dies kann jedoch deshalb nicht gelingen, weil Pius IX. in seinem rigiden Einsatz für die Unfehlbarkeitsdefinition jedes Verständnis für die Minorität vermissen ließ. Hinter den durchaus gewichtigen theologischen und pastoralen Bedenken der Minoritätsbischöfe und nicht zuletzt der Orientalen sah er nur schwächliche Rücksicht auf Zeitgeist, öffentliche Meinung und Fürstengunst. Dies und sein - jetzt erwiesener - Ausspruch "La tradizione sono io" (Die Tradition bin ich) gehören zu den beschämendsten Seiten seines Pontifikats. Zweifellos wird seine Seligsprechung deshalb, nicht zuletzt in der Ostkirche und selbst bei den Unierten, als anti-ökumenisches Zeichen wirken. Da sie weiter das I. Vaticanum auf die Person Pius' IX. fixiert, wird sie gerade nicht die Autorität des Konzils festigen, sondern sie noch weiter schwächen und zumal bei den getrennten Christen eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den Papstdogmen des I. Vaticanums (die dann mit dem "La tradizione sono io" identifiziert werden) erschweren. Sie wird jedoch die Gegner des II. Vaticanums, die sich dann mit gewissem Recht als legitime Erben Pius' IX. ansehen können, zusätzlich ermutigen. Statt Ausgleich und Integration zu erreichen, wird so die Spaltung innerkirchlich wie ökumenisch verfestigt.

Kontakt:
Prof. Dr. Theofried Baumeister
Theologische Fakultät der Universität Mainz
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