Wir sind Kirche - Eichstätt
Aufgelesen

Über das Konzil hinausgehen!

von Walbert Bühlmann

Dr. Walbert Bühlmann, Kapuziner, Jahrgang 1916, war Missionar, Dozent für Missionswissenschaft an der Universität Fribourg und Generalsekretär der Kapuzinermissionen in Rom; heute im aktiven Ruhestand im "Haus der Stille" in Arth (CH).

Das 2. Vatikanische Konzil ist und bleibt der Bezugspunkt der Kirche an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. Diese Bischofsversammlung hat innerhalb von drei Jahren einen gewaltigen Sprung nach vorn getan. Stellen wir uns nun vor, sie hätte dreißig Jahre gedauert - das Konzil von Trient dauerte, mit zwei langen Unterbrechungen, 18 Jahre! -: Dann hätte sie sich mit vielen neuen Glaubensfragen und pastoralen Realitäten auseinandersetzen müssen. Wer tut das nun an ihrer Stelle? Jedenfalls darf man das Konzil nicht bloß retrospektiv als Fixpunkt betrachten. Man soll, wie die damals versammelten Bischöfe, prospektiv aus den Zeichen der Zeit die anhängigen Fragen beraten und entscheiden. Man bleibt dem Konzil nur treu, wenn man über das Konzil hinausgeht, aber immer in der Richtung, die das Konzil gegeben hat.

Die Bischofssynode in Rom hätte eigentlich diese Nachfolgefunktion. Papst Paul VI. plante, dieser Einrichtung nach einigen Gehversuchen mit konsultativem Charakter einen deliberativen Status zu geben, sie zu einer Art Minikonzil zu machen. Die römische Kurie hat ihm das ausgeredet, hat stattdessen selber das Heft fest in die Hand genommen und praktiziert nun einen konzilswidrigen Zentralismus, Legalismus, Konservatismus, was das Unbehagen in der Kirche jährlich zunehmen läßt. Ich unterschätze keineswegs die Einheitsfunktion Roms. Aber so, wie die Kurie konkret dieser Funktion nachkommt, schadet sie der Einheit und muss als Übel, und zwar als ein nicht notwendiges Übel, bezeichnet werden.

Paul VI. hat dem Konzil das Ehrenwort gegeben, er werde die Kurie erneuern. Es ist ihm nicht gelungen. Die zwei Nachfolgepäpste haben es auch versucht, ebenfalls ohne Erfolg. Die Bischöfe, Bischofskonferenzen und -synoden schauen dem Prozess machtlos zu. Es fehlt an Gestalten wie Döpfner, Frings, Suenens. Die Bischöfe sind von einem falschen Einheitsbild bestimmt. Sie möchten den leisesten Eindruck vermeiden, dass es in der Kirche Meinungsverschiedenheit, Spannung, Widerstand gebe. Mit mehr Mut, Offenheit, Transparenz würden sie glaubwürdiger wirken.

Darum muss das Kirchenvolk diese Funktion übernehmen, sich selber ernst nehmen. Wir sind Kirche! So sind nun nach verschiedenen Anläufen (Kölner Erklärung, Luzerner Erklärung usw.) die Kirchenvolks-Begehren großen Stiles angegangen. Wie immer die Wirkung auf Rom sein wird: Viel besser, sich zu regen, als in Apathie zu fallen und ohnmächtig zu resignieren! Man möchte damit auch den Bischöfen Mut machen, anhängige Fragen gemeinsam nicht bloß nach dem fixierten Kirchenrecht anzugehen, sondern nach dem heutigen Stand der Theologie und der wirklichen Not des Volkes Gottes, und im Notfall auch vollendete Tatsachen zu setzen, den vorauseilenden Gehorsam zu üben - nicht nur rechtlich, sondern pastoral zu handeln.

Die drei Bischöfe Saier, Lehmann und Kasper haben einen sachten und sehr nuanciert formulierten Versuch zugunsten der wiederverheirateten Geschiedenen gemacht, worauf Rom mit einem kategorischen Nein reagierte. Diese Bischöfe erklärten dann, einige ihrer Aussagen seinen "universalkirchlich nicht akzeptiert". Sie hätten besser gesagt: "römisch nicht akzeptiert". Rom identifiziert sich allzu rasch mit der Universalkirche, erklärt gleichsam die Ortskirche Rom zur Universalkirche!

Wie steif und starr Rom mit anhängigen Fragen umgeht, zeigt sich am Beispiel der "viri probati". Bei der Bischofssynode 1971 wurde die Frage ihrer Priesterweihe eingehend besprochen. Eine schwache Mehrheit (107 nein, 87 ja!) hat dann diese Möglichkeit abgelehnt. Seither sagt Rom beständig: Die Synode hat entschieden, basta. Als ob in der Kirche auch in 24 Jahren kein Bewusstseinswandel passieren dürfte. Das Schweizer Volk hat das Frauenstimmrecht 1959 massiv verworfen, aber es 1971 mit großer Mehrheit angenommen!

Im Grunde möchten die Kirchenvolks-Begehren etwas konzilsgemäße Bewegung in die Kirche bringen. Wenn sie keine Wirkung haben sollten, dann steht vor der Geschichte nicht das Kirchenvolk, sondern die Kurie unter Anklage!