Aufgelesen
Der Verfall des Priesterberufs
Versuch einer Annäherung
Anzeiger für die Seelsorge Heft 12/2006

Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Ordensschwestern in den kirchlichen Krankenhäusern. Durch ihre Anzahl und durch ihre Ausstrahlung waren sie Herz und Seele der Häuser. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jedoch begannen in den Krankenhäusern gravierende Veränderungen: Fortschritte in der Medizin, wachsende Aufgaben im Pflegebereich, soziale Errungenschaften für Arbeiter und Angestellte. Das durchschnittliche Krankenhaus konnte dies finanziell kaum verkraften. Eine Lösung sah man unter anderem darin, dass man den Ordensschwestern immer mehr Verpflichtungen aufbürdete. Aus Treue zu ihrer Berufung nahmen die Schwestern die Last auf ihre Schultern und taten ihren Dienst mit bewundernswertem Engagement.

Als junge Frauen waren sie mit hohem Idealismus, mit Glaubensfreude und Lebensfreude in einen Orden der Krankenpflege eingetreten. Dann hat man sie in Dienst genommen und immer stärker eingespannt; im Bedarfsfall hatten sie zusätzliche Nachtschichten und Vertretungsdienste zu leisten. Sie rackerten sich ab - zunehmend und dauerhaft. Die Folgen konnten nicht ausbleiben: Idealismus und Ausstrahlung vertrockneten; Glaubensfreude und Lebensfreude wurden durch das Pflichtprogramm stranguliert; sie wurden mürrisch und verbittert, - „Drachen“.

Die Ordensoberen haben das Problem und seinen strukturellen Charakter nicht oder zu spät erkannt. Sie haben einerseits Schwestern, wenn sie zusammenbrachen, entlastet und ihnen andererseits Mut gemacht, im Dienst an den Kranken ihre Kraft einzusetzen und sich in der Nachfolge Christi zu verzehren. Nicht bemerkt aber wurde, dass ein solches Berufsbild jede Attraktivität verlieren musste. Auf die Frage, weshalb der Nachwuchs ausbleibe, folgte üblicherweise als Antwort: Die modernen jungen Frauen wollten den Wohlstand und das Leben genießen; wer Krankenschwester werden wolle, könne das ja heute tun, ohne die Lasten des Ordenslebens zu übernehmen. Diese grob gezeichnete Skizze ist gewiß eine Vereinfachung des verwickelten Sachverhalts. Möglicherweise aber kann eine solche Skizze behilflich sein, auch den derzeitigen Verfall des Priesterberufs in unseren Breiten eher zu verstehen.

Die Idealisierung des Priesterberufs

In Priesterseminaren gab es vor Jahrzehnten einen vergnügten Scheindialog. Man saß gemeinsam beim Mittagstisch und das Kolloquium war eröffnet. Da fragte einer seinen Nachbarn: „Bist du glücklich?“ - Der antwortete: „Ja, ich will doch Priester werden.“ Und alle lachten. Wochen später wiederholte sich das Spiel. - Diesem Dialog lag eine wichtige Wahrnehmung zugrunde: das hohe Berufsideal, das durch Verabsolutierung die Wirklichkeit zu ersetzen drohte. Als Seminaristen haben sie es noch gespürt, später aber sich selbst in diesen Prozess hineinziehen lassen. Das Ideal wurde nicht mehr als Ideal oder als Zielvorstellung wahrgenommen, sondern trat an die Stelle der Realität. Die Fassade wurde gepflegt, die Realität dahinter vergessen oder verschwiegen.

Die Vorgesetzten förderten diese Tendenz. Bischöfe, Spirituale und Regenten sahen es als vorrangige Aufgabe an, dieses Ideal immer wieder aufleuchten zu lassen und alle Schwierigkeiten des Alltags mit seiner Hilfe zu meistern. Autoren geistlicher Schriften beteiligten sich. Die Wirkung war nahezu umfassend: Von vielen Priestern wurde dieses Ideal mehr und mehr verinnerlicht, die Realität mehr und mehr verdrängt. Es gehörte zum Berufsethos, zufrieden und glücklich zu sein. Wer in Schwierigkeiten geriet, zog sich zurück und trug sein Elend höchstens noch seinem Beichtvater vor. Der Gemeinde gegenüber, den Mitbrüdern gegenüber und der Obrigkeit gegenüber entstand auf diese Weise nicht nur eine Mauer des Schweigens, sondern auch eine Fassade der Zufriedenheit. Die Mediziner kennen den Ausdruck „Dissimulation“ für die bewusste Verheimlichung von vorhandenen Krankheitsmerkmalen. Vielleicht ist dieser Begriff auch hier eine Hilfe zum Verständnis. Nur, wenn es bei einem Priester zum völligen Zusammenbruch kam - beruflich, physisch, psychisch - wurde das Elend sichtbar, - aber es wurde sofort auf diesen Einzelfall fixiert und damit verharmlost.

Die „Obrigkeiten“ - wenn dieser Ausdruck gestattet ist - haben bei dieser Sache ihr eigenes Problem. Da ist einmal die riesige Entfernung zwischen einem Büro im Generalvikariat und dem Alltag in den Gemeinden draußen. Wenn da ein Seelsorger neben seiner sonstigen Arbeit innerhalb von acht Tagen elf mal predigen muss, dann kommen ihm die vielen Schreiben, die das Generalvikariat versendet, vor, als seien sie von einem anderen Stern. - Da ist zum anderen das Bemühen, als gute Verwalter dazustehen, die ihrer Aufgabe und ihrer Verantwortlichkeit gerecht werden. Ein Priester, der physisch oder psychisch zusammenbricht, wird deshalb gern als „überfordert“ eingestuft. „Der kann das nicht.“ - „Der hat sich übernommen.“ - „Der hat es gesundheitlich nicht geschafft.“ Die auftretenden Probleme werden also individualisiert, so als seien es eben Probleme dieses einzelnen Priesters. Dass es da eine strukturelle Problematik geben könnte, für die auch „Obrigkeiten“ eine Mitverantwortung tragen, wird - soweit zu sehen ist - durchweg verdrängt. Auch wenn jemand von außen auf dieses Problemfeld hinweist, wird der Hinweis gern individualisiert auf den Hinweisenden selbst hin: „Wird Ihnen das zu viel?“ - Wenn aber das Thema tatsächlich gelegentlich zur Sprache kommt, dann hat sich ein einfacher Abwehrmechanismus bewährt. Der funktioniert über die Frage: „Was wollen Sie denn machen?“ Das heißt, jeder Versuch einer Diagnose wird abgewehrt, wenn nicht gleichzeitig eine praktikable Therapie mitgeliefert werden kann. Ein Mechanismus, der recht gut funktioniert, - bis heute. - Und da ist schließlich die genannte Mauer des Schweigens, die es auch für „Obrigkeiten“ schwierig macht, die Realität wahrzunehmen. Die Priester erscheinen da entweder als zufrieden oder als gescheitert. Anderes ist kaum zu erkennen.
Und dennoch! Man hätte es merken können, als die physischen und psychischen Probleme bei den Priestern in erschreckendem Maß zunahmen. Man hätte es merken können, als die Priester vor gut dreißig Jahren begannen, ihr Brevier zu verstecken, oder als die vorgesehenen „Kontaktstunden“ in den Grundschulen im zunehmenden Maß nicht mehr wahrgenommen wurden. Man hätte es sehen und hören können, als eine wachsende Zahl von Priestern das Predigen einstellte und sich damit begnügte, fertige Texte vorzulesen. Die heutige dramatische Entwicklung kam weder plötzlich, noch überraschend, noch aus dem Verborgenen. Die „Obrigkeiten“ können sich da schlecht aus der Verantwortlichkeit ausnehmen.

Ausschnitte aus der Realität

Die genannte Mauer des Schweigens ist nahezu undurchdringlich. Nur selten - im vertrauten Gespräch oder bei einem Zornesausbruch - kommt gelegentlich die Realität dahinter zum Ausdruck. Hier eine flüchtige Auswahl:

„Ich hätte nie gedacht, dass man Feiertage hassen kann.“
„Das erste, was dir verloren geht, ist die Frömmigkeit.“
„Wie viele Beerdigungen kann man eigentlich in einer Woche verdauen?“
„Was dir hilft, ist ein Herzinfarkt. Sonst nichts.“
„Wir müssten einen Aufstand machen.“
„Du bist kein Priester mehr, - du bist wie ein Filialleiter bei ALDI.“
„Früher war das mal ein schöner Beruf. Heute ist es der beschissendste Job,der auf dem Markt angeboten wird.“
„Ich freue mich über alles, was nicht stattfindet.“
„Als Priester lebt man nur von Enttäuschungen.“
„Nicht Priester, nicht Seelsorger, sondern Kirchenfunktionär.“
„Diesen Beruf kann keiner mehr ergreifen.“

Es bleibt schwierig, aus solch verbalen Bruchstücken den Sachverhalt begrifflich zu rekonstruieren. Einzelne Gesichtspunkte sollen deshalb eine Annäherung möglich machen. - Ein erster Aspekt: das quantitative Zuviel. Dabei geht es nicht einfach um „viel Arbeit“, sondern um ein Quantum, das bei weitem nicht zu bewältigen ist. Wenn man einem solchen Gemeindepfarrer die Hälfte seiner Arbeit abnehmen könnte, bliebe das Zuviel dennoch erhalten. Zitat: „Dreiviertel meiner Arbeit mache ich nicht. Das letzte Viertel sind siebzig Stunden pro Woche.“ - Damit wird ein zweiter Aspekt sichtbar: Siebzig Stunden pro Woche mag ein gesunder Mensch recht gut bewältigen; das müssen andere auch. Aber für einen engagierten Seelsorger ist die Arbeit, die er nicht tut, ebenfalls eine Last, die psychisch getragen werden muss. Er erlebt sich als einer, der mitschuldig ist am Zerfall seiner Gemeinde, weil er all das, was da nötig wäre und was er eigentlich auch tun möchte, liegenlassen muss. - Dritter Aspekt: Mancher tut sich hervor mit seinen Glanzstücken, - verschweigt aber gleichzeitig, wie er es anstellt, diese Glanzstücke zu bewerkstelligen. Es geht nur mit Hilfe von „Überlebenstechniken“. Die einen haben das Beten eingestellt; andere gehen nicht ans Telefon; vom Ersatz für Predigten war schon die Rede; die wenigsten gehen noch in die Schule; Hausbesuche werden auf ein Minimum reduziert; der Weg zu den Sterbenden im Krankenhaus ist meist zu weit; viele fliehen mit dem Auto, vielleicht um in der nahen Autobahnraststätte in Ruhe Zeitung lesen zu können; viele haben ihre menschlichen Beziehungen abgebrochen oder eingefroren, Beziehungen zu Verwandten, Freunden und Vereinen, eingestellt ihr ehrenamtliches Engagement in nichtkirchlichen Organisationen; manche versuchen es mit dem Alkohol; viele sind depressiv und vergraben sich. - Einen vierten Aspekt bietet die Verlagerung des Arbeitsbereichs. Angetreten waren sie aus Freude am Glauben, an Gottesdiensten, Glaubensverkündigung und Seelsorge. Immer war damit auch Organisatorisches verbunden. Heute aber hat sich der Akzent verlagert: Nicht das Spirituelle steht im Vordergrund, sondern das Organisa-torische. Das Spirituelle, das Charismatische, das Geistliche ist zur Nebensache geworden. Pfarrer sind Manager des Pfarralltags, oft mit 30 und mehr Angestellten und einer Verwaltungsarbeit, die sich in den letzten Jahrzehnten in bezug auf Haushaltsführung, Baumaßnahmen oder Personal vervielfältigt hat. - „Früher ging das doch auch!“ - Wer so redet, hat vermutlich mit der „Mini-Job-Zentrale“, der Schiedsstelle des Bistums oder dem Arbeitsgericht noch keinen Kontakt gehabt. - Ein fünfter Aspekt: die Sache mit den Synapsen. Die Schaltstellen in unserem Hirn sind trainierbar. Was am häufigsten aktiviert wird, entfaltet die stärkste Vitalität. Beobachtet hatte man das schon früher: „Wer die Woche über mit Maschinenteilen beschäftigt ist, schreibt am Sonntag keine Gedichte mehr.“ Übertragen auf die Arbeit heutiger Gemeindepfarrer könnte das heißen: Wer fast ausschließlich mit Organisatorischem befasst ist, verliert seine spirituelle Kompetenz. - Kommentar aus dem Ordinariat: „Die Pfarrer wollen das ja gar nicht abgeben.“ - Ja, so weit ist es inzwischen gekommen. Sie können nichts anderes mehr. Die spirituelle Kompetenz ist ihnen weitgehend verloren gegangen; im organisatorischen Bereich dagegen sind sie versiert; dort sind sie erkennbar effektiv; dort noch und nur dort noch erleben sie die Zufriedenheit getaner Arbeit. - Ein sechster Aspekt: der Verlust der Gesprächsfähigkeit. Ein seelsorgliches Gespräch setzt Sensibilität voraus, menschliche Nähe, innere Ruhe und eben Zeit. Wo ein Gesprächspartner aber spürt, dass der Seelsorger ihn eigentlich gar nicht hören will, weil er schon etwas anderes im Kopf hat, das er dringend erledigen muss, da kann Gespräch nicht mehr stattfinden. Und wo das zum Habitus wird, da ist wohl auch keine Seelsorge mehr. - Ein siebter Aspekt: Ein Großteil der Arbeit eines Gemeindepfarrers ist für Außenstehende kaum wahrzunehmen. „Was macht ein Pfarrer die ganze Woche über?“ Da gäbe es viele Beispiele. Das krasseste ist vermutlich die Sache mit der Predigt. Zu sehen bzw. zu hören sind da vielleicht 15 Minuten „Arbeit“. Die Stunden der Vorbereitung sind unsichtbar und das allgemeine Bemühen um Besinnlichkeit, Spiritualität und Kreativität erst recht. - Ein achter Aspekt: Die Idee vom „unum presbyterium“ war möglicherweise schon vor 40 Jahren eine Illusion. Die in den Priesterseminaren gepflegte Idee einer „vita communis“ ließ sich in seltenen Fällen und für begrenzte Zeit realisieren. Doch je mehr die Priester überlastet sind, je weiter sie voneinander weg wohnen und je stärker sich eine psychische Verhärtung bemerkbar macht, desto unrealistischer ist es, eine „vita communis“ als Lebensform zu empfehlen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Eine zunehmende Zahl der Priester lebt vereinzelt. Wenigen gelingt es, so etwas wie „Stadteremiten“ zu sein, eine Lebensform für Singles, die durchaus in einem religiösen Kontext steht. Viele dagegen leben nicht nur als einzelne und einsam, sondern auch in zunehmendem Maß vereinsamt, - mit allen negativen Nebenwirkungen. - Ein neunter Aspekt: der Verlust der menschlichen Nähe. Seelsorge setzt menschliche Nähe voraus. Die kann man nicht erzwingen; sie muss wachsen. Solches Wachstum menschlicher Nähe geschieht, wo man miteinander lebt; wo man sich kennt, wo man gemeinsam betet oder arbeitet, lacht oder weint, wo man miteinander redet oder feiert, wo man miteinander Kaffee oder Bier trinkt. Wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, kann menschliche Nähe im Normalfall nicht wachsen. Entsprechend verunmöglicht ist das Wirken als Seelsorger. Pfarrer, die drei oder mehr Gemeindezentren zu betreuen haben, bleiben Fremde; sie kommen gelegentlich vorbei wie Handelsvertreter. - Ein zehnter Aspekt: die bedrückende Atmosphäre bei vielen Priestertreffen. Jüngere Priester ziehen es oft vor, sich so etwas gar nicht erst zuzumuten; sie bleiben dauerhaft weg. - So weit dieser flüchtige Blick in den Alltag.

Die Frage nach dem Zölibat

Die Krise des Priesterberufs in unseren Breiten hat sicher auch mit dem Zölibat zu tun, - möglicherweise aber auf ganz andere Art, als dies in den üblichen Diskussionen zum Ausdruck kommt. Die landläufige Meinung, man brauchte nur jene unselige Zölibatsbestimmung aufzuheben, dann entschiede sich eine hinreichend große Zahl von jungen Männern für den Priesterberuf, und dann wären auch die heutigen Priester entsprechend entlastet, geht vermutlich an der Sache vorbei. Wer den Zölibat von vornherein derart negativ einschätzt, hat kaum die Möglichkeit, Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Hätte es jedenfalls den Zölibat nicht gegeben, dann wäre das Problem bereits dreißig Jahre früher offen zutage getreten. In bewundernswerter Treue und aufreibender Einsatzbereitschaft haben die Zölibatäre sich abgerackert. Aber sie haben sich selbst dabei ruiniert und ihre Berufsfreude und ihre Ausstrah-lungskraft verloren. Wer soll dann noch einen solchen Beruf ergreifen?

Es scheint also nötig zu sein, darauf hinzuweisen, dass Zölibat nicht einfach eine kirchenrechtliche Vorschrift ist, die den Leuten die Ehe untersagt, sie zur Enthaltsamkeit verpflichtet und ihnen auf diese Weise einen Verzicht an Lebensqualität aufbürdet. Das wäre ein Zerrbild und eher abstoßend. - Zölibat ist zunächst eine Frömmigkeitsform. Das mag für manchen überraschend klingen. Aber ohne diesen Kerngedanken ist es nicht möglich, sinnvoll von Zölibat zu reden. Eine Frömmigkeitsform also, wo einer, „der es fassen kann“, das Erlebnis der Nähe Gottes oder die Gemeinsamkeit mit Jesus Christus als zentralen Lebensinhalt empfindet, - wo einer mit dem Psalm beten kann: „Ich sage zum Herrn, mein Gott bist du; mein ganzes Glück bist du allein.“ Wo einer so empfindet, da erfährt er den Reichtum seines Lebens in der Begegnung mit Gott und im persönlichen Austausch mit ihm. Er erlebt die Gegenwart Gottes als persönliche Nähe, als Geborgenheit und Zärtlichkeit. Der banale Alltag, Arbeit und Freizeit, die Begegnung mit anderen Menschen, Unzulänglichkeit und Schuld, der persönliche Wachstums- und Reifungsprozess werden von diesem Zentrum aus geprägt und getragen. Der Zölibatär braucht deshalb nicht auf die Ehe zu „verzichten“; - da ist vielmehr gar kein Platz für eine andere Form der Ganzhingabe. Der Zölibatär meint deshalb auch nicht, zu kurz zu kommen. Im Gegenteil: Er fühlt sich gedrängt, aus der Fülle seines inneren Erlebens andere zu beschenken. Es verwundert darum nicht, wenn gelingender Zölibat immer auch eine eigentümliche Strahlkraft besaß, - so sehr, dass mancher junge Mensch überlegte, ob das nicht auch etwas für ihn sein könne. - So etwa der Zölibat als Frömmigkeitsform.

Damit ein solcher Lebensentwurf aber gelingen kann, bedarf er der Pflege, - so wie auch jede Ehe der Pflege bedarf, wenn sie eine lebendige Ehe bleiben soll. Das heißt: Die anthropologischen Bedingungen müssen erfüllt sein, die gesundheitlichen, die geistigen und die geistlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, wenn Zölibat gelingen soll. Genau da aber scheint zur Zeit das Problem zu liegen. Wo Priester durch ein Übermaß an Verpflichtungen stranguliert werden, hat ein Zölibat, der Strahlkraft entfaltet, keine Chance mehr. Der andere Gesichtspunkt, dass der Zölibat heute weithin von den Gemeinden nicht mehr akzeptiert oder nicht mehr mitgetragen wird, wäre eigens zu untersuchen. Die weitreichende anschließende Frage jedenfalls, ob es sinnvoll sei, diese Lebensform des Zölibats für alle Priester verpflichtend vorzuschreiben, kann ernsthaft nur angegangen werden, wenn man auch die Vorzüge des Zölibats angemessen einzuschätzen weiß. Damit aber erreicht der Gedankengang den nächsten Abschnitt.

Die Zugangsbedingungen insgesamt

Der Zugang zum katholischen Priesterberuf ist bislang geprägt durch eine Reihe von Exklusivitäten: nur Männer, nur Zölibatäre, nur Fulltimer, nur Studierte, nur vom Bischof Akzeptierte. Spätestens in Zeiten wachsenden Priestermangels drängt es sich auf, diese Exklusivitäten zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben. Viele engagieren sich in dieser Richtung. Das Hauptproblem aber wird dabei übersehen: Das alte Berufsbild war etwas Attraktives; die heutige Berufswirklichkeit ist eher abschreckend - unabhängig von den genannten Exklusivitäten. Niemand also, weder Mann noch Frau, weder Zölibatär noch Verheirateter, weder Fulltimer noch Studierter kann diesen Beruf anstreben, solange die Lebenswirklichkeit eines Pfarrers so aussieht, wie oben skizziert. Dass sich in unseren Landen dennoch vereinzelt Priesteramtskandidaten anmelden, kann einerseits an der genannten Fassadenpflege liegen, andererseits an einer wie immer gearteten anderen beruflichen Zielvorstellung. Ein Zitat aus jüngerer Zeit soll das Ergebnis unterstreichen: „Alles auf die Schultern der Pfarrer abzuladen, die damit den Schwarzen Peter haben, ist keine Lösung auf Dauer. Sie macht den Beruf des Priesters zu einer ständigen Überforderung und damit immer weniger attraktiv.“ Wenn dieser Gedanke richtig ist, dann führen alle Versuche, jene Zugangsbedingungen zu verändern, oder die Klage über einen Mangel an Gläubigen oder über einen Mangel an Berufungen nicht zum Ziel. Nicht die Zugangsbedingungen sind das Problem, nicht das Berufsbild ist das Problem, sondern die berufliche Wirklichkeit.

Fazit

Gewiss kann man bei einem derart verflochtenen Thema auch andere Aspekte bevorzugen und zu anderen Beurteilungen neigen. An der Wucht der Zahlen aber kommt niemand vorbei. Der tatsächliche Priestermangel ist evident, die Altersstruktur besorgniserregend, die sich abzeichnende mittelfristige Entwicklung desaströs; erschreckend sind die nahezu leer stehenden Priesterseminare. Doch die zur Zeit diskutierten Maßnahmen sind zwar ehrenwert, aber durchweg nicht zielführend. Verstärkte Werbeaktionen oder die Änderung der Zugangsbedingungen helfen in der gegenwärtigen Situation nicht weiter. Kernproblem ist die erschreckende Wirklichkeit des beruflichen Alltags der Seelsorgspriester. Bevor man jedoch diese berufliche Wirklichkeit verändern kann, ist es notwendig, sie wahrzunehmen, - notwendig, sie zu erkennen und zu begreifen.

Die Zeit drängt. Die letzten Priester, die heute noch berufliche Ausstrahlungskraft entfalten, geraten zunehmend in das gleiche Dilemma hinein. Selbst wenn es gelänge, kurzfristig umzusteuern, könnte es bereits zu spät sein, - wie damals bei den Ordensschwestern im Krankenhaus. - „Unwiederbringlich.“

Peter Müller-Goldkuhle, Gemeindepfarrer in Bochum.