Aufgelesen
  Der Fall Höberth

Die Nachricht, dass ein evangelischer Pfarrer samt Frau und vier Kindern zur römisch-katholischen Kirche konvertierte und vom Wiener Kardinalerzbischof Dr. Christoph Schönborn zum Priester geweiht wurde, brachte den vorsommerlichen Blätterwald der Alpenrepublik Österreich gehörig zum Rauschen. Was davor geschah und was dahinter steckt, untersucht Rudolf Schermann.

Österreich diskutierte gerade über teure Abfangjäger und ärgerte sich über einen saudiarabischen Prinzen, der sich angeblich beim Rasieren verletzt hätte, weswegen die Benzinpreise sofort wieder gestiegen seien, als die Nachricht publik wurde, ein glücklich verheirateter evangelischer Pfarrer habe sich zur römisch-katholischen Kirche bekehrt und sei obendrein zum römisch-katholischen Priester geweiht worden.

Selbst die an fortschreitender religiöser Demenz leidende Spaßgesellschaft fragte irritiert:"Ja dürfen's das?"

Nämlich der evangelische Grenzgänger und sein "Schlepper", Schönborn. Zudem wurde allsbald bekannt, dass der Kardinal, seiner diskreten Art entsprechend, mit dem Übertrittswilligen insgeheim bereits ein halbes Jahr intensive Gespräche geführt hatte. Nicht genug: Mittlerweile stand auch fest, dass Herr Pastor, Magister Gerhard Höberth (47), bis zum 18. Lebensjahr katholisch war, dann zur evangelischen Kirche übertrat, dort zum Pfarrer ordiniert wurde und in Gosau am Dachstein seinen Dienst erfüllte, um schlussendlich - nach einer gewissenhaften Auseinandersetzung mit sich selbst und der mittlerweile fünfköpfigen Familie - wieder in den Schoß der sogenannten "Mutter Kirche" zurückzukehren.

Die evangelische Kirche Österreichs reagierte zurückhaltend zu Höberths kürzlich erfolgter Priesterweihe. Man sei verwundert über Höberths Übertrittsmotiv, nämlich dass er "in der römisch-katholischen Kirche die Fülle" erkannt habe. "Nach evangelischem Verständnis" - so die Stellungnahme - "ist die Kirche in ihrer Fülle überall da gegeben, wo das Evangelium lauter gepredigt wird und die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß gefeiert werden ( Confessio Augustana, Artikel 7). Daher verwirklicht die Evangelische Kirche A.B. die Fülle der einen Kirche Jesu Christi ebenso wie die mit ihr in der Ökumene verbundenen Schwesterkirchen." Höberth hatte auch - zur Freude der wackeren Schar erzreaktionärer Katholiken - behauptet, die Scheidungsrate bei evangelischen Geistlichen sei "relativ hoch". Was nicht stimmt. Dazu die Stellungnahme: "Das Gegenteil ist der Fall: 12 Prozent der evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer sind geschieden, die aktuelle Scheidungsrate in Österreich liegt bei 49 Prozent. Die Evangelische Kirche bedauert jede Ehescheidung. Gleichzeitig sind wir der tiefen Überzeugung, dass verheiratete Pfarrer und Pfarrerinnen durch ihr gelebtes Beispiel die Glaubwürdigkeit der Verkündigung verstärken."

Enttäuscht zeigt sich die Evangelische Kirche deswegen, weil Pfarrer Höberth laut Medien "schon bald nach seinem Dienstantritt als ordinierter Geistlicher der Evangelischen Kirche A.B. (...) mit dem Gedanken des Übertritts zur Römisch-katholischen Kirche zu spielen begonnen hat. (...) Dieser Zustand zog sich über mehrere Jahre hindurch. Wir bedauern das insbesondere mit Blick auf die Gemeinde, die sich von ihrem Pfarrer auf Grund seines Ordinationsgelübdes den aufrichtigen Dienst auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der Bekenntnisse der Kirche erwarten durfte." Nobler Nachsatz: "Aufgrund der stabilen und vertrauensvollen ökumenischenVerbundenheit mit unserer Römisch-katholischen Schwesternkirche soll die gemeinsame Freude überwiegen, dass Menschen in den Dienst des Evangeliums berufen werden. In diesem Sinn wünschen wir Pfarrer Höberth und seiner Familie alles Gute und Gottes Segen."

Zweierlei Maß
Neben solcher Noblesse wirkt die neuerliche Ratzinger-Erklärung, die der Evangelischen Kirche das Kirchesein abspricht, wie blanker Hohn. Während verheiratete evangelische Pfarrer wie Höberth mit offenen Armen aufgenommen und zum priesterlichen Altardienst zugelassen werden, finden sich allein in Österreich rund 700 (weltweit rund 100.000!) mit viel (auch finanziellem) Einsatz ausgebildete und ihrer Kirche stets treu gewesene Priester gleichen Standes mit hahnebüchenen Kirchenrechts-Argumenten kaltschnäuzig aus der Berufungsbahn geworfen. Proteste von Gläubigen zählen im hochmütigen und machtbesessenen Vatikan ohnehin nichts. Auf sie antwortet die römische Gerontokratie entweder überhaupt nicht oder mit einem Schwall von frommen Phrasen. Gipfel des Zynismus: Man könnte ja jederzeit die Zölibatsverpflichtung für Kleriker abschaffen, wird beteuert. Nur geschieht es nicht. Im selben Atemzug wird vor der Öffentlichkeit mit frommem Augenaufschlag der angebliche Priestermangel beklagt, zum Gebet für Priesterberufe aufgerufen, gar die Gemeinden mit unerträglicher Präpotenz und Frechheit beschuldigt, sie würden nichts dazu beitragen, dass mehr Priesterberufungen entstehen würden. Nur eines tun der Papst und seine Gesinungsgenossen nicht: sich der Einsicht öffnen, dass sie mit dem halsstarrigen Festhalten an diesem mittelalterlichen Stumpfsinn unter der irrigen Begründung der angeblichen "Ganzhingabe an Gott" in eindeutigem Widerspruch zur Neutestamentlichen Offenbarung Jesu Christi stehen. Denn dort gibt es nirgendwo auch nur ansatzweise einen Ansporn zur verpflichtenden Ehelosigkeit. Zwar spricht Jesus im Zusamenhang mit der Ehe kurz auch von verschiedenen Arten des Eunuchentums, darunter auch von einer freiwilligen Eheunfähigkeit um des Himmelreiches Willen (es gab in den Reihen der zeitgenössischen Essenersekte solche Eunuchen), fügt aber lediglich hinzu: "Wer das erfassen kann, der erfasse es." (Matthäus, 19, 12)

Von einem Hinweis auf eine Ehelosigkeitspflicht keine Spur. Paulus bestätigt dies sogar ausdrücklich: "Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn." (1. Korintherbrief 7,25)

"Ich wünschte, alle Menschen wären (unverheiratet) wie ich. Doch jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so." - schrieb Paulus. Tolerant wie er war, respektierte er, treu der Botschaft Christi, die Freiheit jeder Christin, jedes Christen, beanspruchte daher lediglich für sich persönlich das zölibatäre Leben, ohne es irgendjemandem, gar ganzen christlichen Gruppen aufzuzwingen, wie es der Vatikan gegen den Willen der Mehrheit der Gläubigen tut. Aber Toleranz und paulinisch-christliche Bescheidenheit ist die Sache der Päpste und der Meisners nie gewesen. Und ihre Bibeltreue endet dort, wo es ihnen in den Kram, will sagen in die Kirchenrechtsparagraphen, passt. Warum es Magister Höberth, während er sich für das römische Zölibatsdispens bedankte, überflüssiger Weise für wichtig befand, zu erklären, ansonsten sei er durchaus für die Aufrechterhaltung des Zölibatsgesetzes, bleibt sein Geheimnis.

Selbst ein gewisser Joseph Ratzinger, hochangesehener Theologe, schrieb 1970, bevor er vom Wegbereiter der Zukunft zum Torwart der Vergangenheit mutierte: "Die Kirche der Zukunft wird neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen." ( Glaube und Zukunft, S. 110)

Die Aufregung in Österreich war freilich überzogen. Was die Meisten nicht wissen: Den kleinen Grenzverkehr von der katholischen zu anderen Kirchen oder Sekten - aber auch umgekehrt - hat es schon immer gegeben. Als die anglikanische Kirche die Frauenordination einführte, wechselten gleich haufenweise anglikanische Kleriker, die sich mit dem Anblick einer Frau in Priestertalar partout nicht anfreunden konnten, zur katholischen Kirche, die ihnen scheinbar trotz der grassierenden Pädophiliefälle einerseits und unzähliger heimlicher Zölibatsbrecher andererseits noch immer sauberer vorkam als die eigene, nun ach so frauenverseuchte Kirchengemeinschaft. Vatikanschreiber dürften damals Sonderschichten zur Anfertigung von Dispenserlaubnissen eingelegt haben. Gleichzeitig mit Pfarrer Höberth bekam auch der ebenfalls zur römischen Kirche konvertierte deutsche evangelische Pfarrer und Familienvater Hans-Tilman Gode, 44, die Priesterweihe vom Eichstätter Bischof Walter Mixa.


Schon schwieriger weil verdächtiger wird es, wenn ein Zölibatsemigrant die naheliegendste Kirchengemeinschaft als Fluchtziel wählt, nämlich die mit Rom unierte sogenannte "griechisch-katholische Kirche", deren Oberhaupt ebenfalls der Papst ist, deren Kleriker aber, mit Ausnahme der Hierarchen von den Bischöfen aufwärts, vor der Weihe heiraten und den Gottesdienst in ihrer altslawischen Sprache feiern dürfen. Diesen "Preis" zahlte Rom für deren Übertritt von der orthodoxen zur römisch-katholischen Kirche. Legendär wurde in diesem Zusammenhang jener römisch-katholische Bischof in Ungarn, der, als einer seiner Kleriker mit dem Ansinnen an ihm herantrat, er möchte vom lateinischen zum griechisch-unierten Ritus wechseln, die Frage stellte, welche Haarfarbe der Ritus habe: braun oder blond?

Lockspeise des Satans
Die Rede von der "Ganzhingabe an Gott" als angebliches Motiv des Pflichtzölibats wirkt vor dem Hintergrund besonders der frühen Geschichte der brutalen Bekämpfung bibeltreuer Zölibatsgegner denkbar unpassend. So beschimpfte der bis zur Perversität in sexuellen Bildern schwelgende Kirchenlehrer Petrus Damiani (1007-1072) die Priesterfrauen mit ganzer Hingabe - noch bevor die Priesterehe verboten wurde - als "Lockspeise des Satans, Auswurf des Paradieses, Gift der Geister, Schwert der Seelen, Wolfsmilch für die Trinkenden, Gift für die Essenden, Quelle der Sünde, Anlass des Verderbens, Eulen, Nachtkäuze, Wölfinnen, Blutegel, Metzen, Buhlerinnen, Lustdirnen, Suhlplätze fetter Säue, ..."

Wie der verheiratete Priester Mag. Johann Chocholka in einem Exposé darlegt, gibt es reihenweise kirchliche Dokumente, die belegen, dass verheiratete Priester zwangsweise in Klöster gesteckt wurden. Man hat sie dort gefesselt, ausgepeitscht und auf verschiedene Weise schikaniert. Auch Priesterfrauen wurden ausgepeitscht, verkauft, versklavt. Mitte des 11. Jahrhunderts machte Papst Leo IX. (1049-1054) alle Frauen Roms, die mit Priestern zusammenlebten, zu Sklavinnen seines Palastes. Auch Priesterkinder wurden zu Sklaven der Kirche erklärt. Papst Alexander II. (1061-1073) stachelte die Gläubigen auf, die verehelichten Geistlichen "bis zur Vergießung des Blutes" zu verfolgen. Am ärgsten aber trieb es Papst Gregor der VII. (1073-1085), ein kleinwüchsiger, machttrunkener Egomane auf dem Papstthron. Während seiner Regierungszeit wurden verheiratete Geistliche während des Gottesdienstes ermordet, ihre Frauen auf den Altären vergewaltigt. So wurde der "heilige Zölibat" mit Ganzhingabe an Mord, Totschlag und Vergewaltigungen durchgepeitscht. Apropos Gregor VII: Als er die deutschen Bischöfe energisch zur Durchsetzung des Pflichtzölibats aufgefordert hatte, meinten diese, Gregor möge eher vor seiner eigenen Pforte bzw. vor dem Burgtor von Canossa kehren, wo er wochenlang fern von Rom die Gastfreundschaft der schönen Markgräfin Mathilde genoss. Sie nannten ihn - es gilt die Unschuldsvermutung - einen Heuchler...

Wiederkehr der Natur
Den Höhepunkt der Ganzhingabe an die Festigung des Zwangszölibats bildete dessen gesetzliche Verankerung unter Papst Innozenz II. im Jahr 1139. Kanon 6 dieses Laterankonzils zu Rom lautet: "Wir beschließen auch, dass diejenigen, die im Subdiakonat und in den höheren Weihegraden heiraten oder Konkubinen haben, ihr Amt und ihre kirchlichen Pfründe verlieren. Da sie nämlich Tempel Gottes, Gefäße des Herrn und Heiligtum des Heiligen Geistes sind und auch so genannt werden, ist es unwürdig, dass sie dem Ehebett und der Unreinheit dienen." Man beachte die Gleichstellung von Ehefrauen mit Konkubinen, die Einschätzung des Wertes der Ehe und des “unreinen” Ehebettes. Natürlich haben es viele Kardinäle, Päpste und Bischöfe unbeschadet ihres sturen Festhaltens am Pflichtzölibat durchaus verstanden, ihr erotisches, sexuelles und das damit zusammenhängende emotionelle Defizit mit (natürlich nur Seelen-) Freunden und Freundinnen zu kompensieren...

Die schöpferische Weisheit Gottes haben schon die alten Römer in dem prägnanten Satz zusammengefasst: Naturam expellas furca, tamen usque recurret. Will sagen: Du kannst die Natur noch so hinausprügeln, sie kehrt trotzdem immer wieder zurück. Eine Weisheit, welche die Päpste und ignorante Jubeljünger bis heute ebensowenig begriffen haben wie die biblische Version dieser Weisheit, von der bereits in Bezug auf Jesus und Paulus die Rede war. Wie schrieb doch der Apostel an die Gemeinde in Rom: "Ich ermahne euch, meine Brüder, auf die acht zu geben, die in Widerspruch zu der Lehre, die ihr gelernt habt, Spaltung und Verwirrung verursachen: Haltet euch von ihnen fern! Denn diese Leute dienen nicht Christus, unserem Herrn, sondern ihrem Bauch, und sie verführen durch ihre schönen und gewandten Reden das Herz der Arglosen". (Römerbrief, Kapitel 16, Verse 17 und 18.)

Rudolf Schermann