Aufgelesen
Konflikte vermeiden?

Wer in Gesellschaft, Staat und Kirche Reformen und Veränderungen will, steht unweigerlich vor der Tatsache, daß dies ohne Konflikte nicht möglich ist. In weiten Teilen unserer Gesellschaft ist jedoch eine ausgeprägte Harmoniebedürftigkeit festzustellen. Dies gilt auch für unsere Kirche. Es ist daher nicht verwunderlich, daß wir auf Schritt und Tritt der Forderung begegnen, Konflikte zu vermeiden. Konfliktvermeidungsstrategien werden gefordert.

Konflikte verlangen aber nach ihrer Lösung, nicht nach ihrer Vermeidung. Die rechtlichen Regelungen im demokratischen Verfassungsstaat, im System des auf Menschenrechten basierenden Völkerrechts und auch die vergleichbaren innerkirchlichen Regelungen dienen der Konfliktlösung, ohne die Frieden unmöglich ist. Die Seligpreisungen der Bergpredigt nennen ausdrücklich die Friedenschaffenden und damit die Konfliktlöser.

Die Lösung von Konflikten setzt die Bejahung der Konflikte voraus. Handelt es sich um diffuse Konfliktlagen, müssen die Konflikte sogar zunächst herausgearbeitet, definiert werden. Erst dann kann nach der Lösung gesucht werden. Christen, die dem Frieden verpflichtet sind, denen damit auch die Aufgabe der Konfliktlösung gestellt ist, müssen die Existenz der Konflikte bejahen und dürfen sie nicht verdrängen, wenn sie einen wirksamen Beitrag zu ihrer Lösung leisten wollen. Oder anders gesagt: Wer Konflikte um jeden Preis meidet, schafft Unfrieden und handelt demzufolge unchristlich. Und deshalb kann es für Christen keine generelle Konfliktvermeidungsstrategie geben. Wer Frieden will, muß Beiträge zur Lösung von Konflikten leisten.

Friedrich Kronenberg